Die Vertreter der Occupy-Bewegung wollen die Welt verbessern: soziale Ungleichheiten beseitigen, den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik bzw. die Macht der multinationalen Konzerne bekämpfen ebenso wie Spekulationsgeschäfte von Banken. Im Herbst 2011 wurden Occupy-Aktivisten ausgehend von der New Yorker Wall Street innerhalb kürzester Zeit in hunderten Städten rund um den Globus aktiv. In Europa waren spanische und griechische Städte in Gegenden mit 50 und mehr Prozent Jugendarbeitslosigkeit die ersten, in denen Protestanten auf die Straße gingen. Es waren Städte, in denen kein Aufschwung in Sicht ist.
Dennoch leisteten sich viele der Protestierenden eine Guy-Fawkes-Maske, das weltweite Symbol der Occupy-Bewegung – wohl nicht nur, um die Zugehörigkeit zur Gruppe zu signalisieren und Guy Fawkes als Sinnbild des Widerstands zu ehren, sondern in erster Line, um ihr Gesicht vor Polizei- und Sicherheitskräften zu verbergen. Dieselbe Maske wird übrigens auch von den Aktivisten des Web-Kollektivs Anonymous verwendet, die für ein freies Internet kämpfen, und von den sogenannten Indignados, den „Empörten“, die 2011/2012 in Spanien gegen die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Missstände auf die Straße gingen. Allen drei Gruppierungen gemeinsam ist die Aversion ihrer Mitglieder gegen den Kapitalismus und seine Auswüchse.
Zurück zur Maske: Der Engländer Guy Fawkes war ein religiöser Fanatiker, der 1605 das englische Parlament in die Luft sprengen und den König töten wollte. Doch das Terrorkomplott flog auf, Fawkes wurde hingerichtet. Ein Jahr nach dem missglückten Attentat machte das Parlament den Tag zum Festtag, an dem das Überleben des Königs gefeiert werden sollte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Guy-Fawkes-Day zu einer Art Volksfest und viele Engländer, so schrieb das Wochenmagazin „Spiegel“ im Jahr 1949, würden gar Sympathie für den „Edelmann“ Fawkes empfinden, weil er damals die Namen seiner Mitverschwörer erst nach furchtbarer Folter preisgab und „mannhaft starb“. Zum Symbol des Widerstands wurde der religiöse Fanatiker dann Anfang der 1980er-Jahre durch den Comicautor Alan Moore und den Zeichner David Lloyd und deren Comicserie „V for Vendetta“. Die titelgebende Figur V war ein als Guy Fawkes verkleideter Anarchist und Terrorist. Zentrales Thema des Comics ist die selbstbestimmte Freiheit des Individuums und der Gesellschaft sowie der Gegensatz zwischen Freiheit und Macht.
Diesbezüglich besteht ein Zusammenhang mit der Occupy-Bewegung, dem Kollektiv Anonymous und den Indignados. Doch gleichzeitig sorgen die Aktivisten mit der Entscheidung für das Symbol Guy-Fawkes-Maske und dem massenhaften Kauf desselben dafür, dass das System, gegen das sie kämpfen, unterstützt wird. Denn die Comicserie „V for Vendetta“ wurde 2006 von der US-amerikanischen Filmgesellschaft Warner Bros. verfilmt, die seitdem die Rechte auf alle Merchandising-Produkte rund um den Comic hält. Das bedeutet, dass Warner Bros. Zahlungen für jeden Gegenstand erhält, der mit dem Film im Zusammenhang steht und verkauft wird – zum Beispiel Guy-Fawkes-Masken. Davon wurden in den beiden Jahren, in denen die Occupy-Bewegung ihre Hoch-Zeit hatte, mehr als 100.000 Stück verkauft.
Neben dem Filmkonzern freut sich auch die New Yorker Familie Beige über diese Verkaufszahlen. Sie ist die Besitzerin der Rubie’s Costume Company (3.000 Mitarbeiter in 14 verschiedenen Ländern) und damit Kapitalistin seit vier Jahrzehnten. Rubie’s Costume Company gilt als weltweit größter Produzent von Halloween-Artikeln, hat aber auch 150 Lizenzen für Herstellung und Vertrieb von diversen Filmkostümen inne, von Superman über Harry Potter bis zu „V“.
Die „V“- bzw. Guy-Fawkes-Masken sind ab einem Preis von sechs Dollar (4,60 Euro) zu haben, es gibt aber auch solche, die 50 Dollar (38,50 Euro) kosten. Ein Teil des Verkaufspreises geht an Warner Bros., einer an die Familie Beige – und ein weiterer meist an Amazon. Denn über das Internetkaufhaus wird der größte Teil der Guy-Fawkes-Masken vertrieben.
So finanzieren die antikapitalistischen Bewegungen Occupy, Anonymous und Indignados also gemeinsam „den Feind“: einen alteingesessenen, familiengeführten Spielwarenkonzern, einen Mediengiganten und einen New-Economy-Koloss.
Nun ist die Zahl der verkauften Guy-Fawkes-Masken in den letzten Monaten des vergangenen Jahres zwar deutlich zurückgegangen, wie der „Corriere della Sera“ kürzlich berichtete. Doch wird das – zum einen – keines der drei Unternehmen in den Ruin treiben: 2012 verbuchten alle drei Gewinne; zum anderen vermuten Experten, dass der Maskenverkauf wieder steigen wird, wenn die sozialen Brandherde wieder mehr werden.
Und die Moral von der Geschicht’? Um ihrer Einstellung wirklich treu zu sein, hätten sich die Antikapital-Aktivisten wohl besser Papiertüten übers Gesicht gezogen. Damit hätten sie den drei genannten Konzernen kein zusätzliches Geld zugeschanzt und selbst auch noch Geld gespart – denn Papiertüten gibt es in jedem Supermarkt um wenige Cent.