Feiertage sind eine feine Sache, oder? Ob gesetzlich oder religiös motiviert, eines ist ihnen allen gemein: Sie sind arbeitsfreie Tage, an denen wir so richtig den Kopf frei bekommen und uns nicht mit Alltagsproblemen beschäftigen müssen. Feiertage kommen und gehen, so wie der 6. Jänner, der zwischen 1977 und 1985 kein Feiertag mehr sein durfte.
Am 6. Juni 2014 kam ebenfalls ein neuer „Feiertag“ dazu: Es war das einjährige Jubiläum der Veröffentlichung des NSA-Skandals im Guardian und der Washington Post. Weltweit führen seither Journalisten NSA und GCHQ (britischer Nachrichtendienst, A.d.R.) zur medialen Schlachtbank. Berichte und Reportagen füllen Doppelseiten in Zeitungen und ganze TV-Abende. Ihr gemeinsamer Nenner: mit dem Finger auf die bösen Buben in Übersee zeigen. Kein Grund, den 6. Juni einen Feiertag zu nennen, meinen Sie? Warum nicht, schließlich ist er einer von diesen Tagen, an denen wir ausspannen und uns nicht um Alltagsprobleme kümmern, sprich: ein Tag zum Faulenzen. Denn ein Jahr ist vorbei, alle haben sich aufgeregt – aber passiert ist nichts.
Das erinnert mich an die #aufschrei-Debatte, die kurz vor dem Snowden-Tag 2013 stattfand. Zigtausende Twitter-Nutzer teilten innerhalb weniger Tage ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen der Welt mit. Das war gut so. #aufschrei wurde mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Auch das war gut. Nur: Wie nachhaltig war die Initiative? Was hat sie uns gebracht, außer kurzzeitiger medialer Aufmerksamkeit und Anne Wizorek, der Initiatorin, etwas Sendezeit bei STERN TV? Gemessen an Taten: nicht viel.
Was macht man also an einem Feiertag wie dem Snowden-Tag? Genau. Man feiert, trifft sich, trinkt und schäkert. So geschehen beim EURAC Science Café mit dem Thema „Big Data“. Wobei schnell klar war, dass ein Modewort wie Big Data nicht an einem Abend besprochen werden kann. Schnell war auch klar, dass immer noch Verwirrung darüber herrscht, was Big Data überhaupt ist und wer es wofür einsetzt.
Beim Science Café haben wir zu dritt Bilanz gezogen, wie es denn nun um die Sicherheit unserer Daten bestellt ist, ein Jahr nach den Enthüllungen. Kurz gesagt: schlecht. Aber nicht schlechter oder besser als vorher.
Worum geht es also? Einfach gesagt, um das Horten enormer Datenmengen und die Analyse selbiger, damit wir neue Erkenntnisse daraus gewinnen können. NSA und GCHQ beispielsweise hamstern fleißig unsere Telefongespräche, E-Mails und unseren Internetverkehr (inklusive Social Media-Aktivitäten). Diese Unmengen von Daten analysieren sie mithilfe von Algorithmen und gewinnen daraus neue Erkenntnisse à la „Wie viele potenzielle Terroristen befinden sich zurzeit im Großraum Boston?“ Zu dumm nur, dass die Vorhersagen beim Boston Marathon nicht funktioniert haben. Angst ist das Mittel der Wahl der Regierungen, um uns weiszumachen, dass sie ein Recht auf unsere Daten haben – damit sie uns scheinbar beschützen können.
Regierungen und Geheimdienste sind nicht die Einzigen, die Interesse daran haben, ihre Klientel zu erforschen. Unternehmen analysieren naturgemäß die Daten ihrer Kunden, um deren künftiges Kaufverhalten vorherzusagen. Die US-amerikanische Supermarktkette Target etwa erregte 2012 Aufsehen, als sie einer jungen Frau Coupons für Schwangerschaftsprodukte nach Hause schickte. Der Vater der damals Minderjährigen stellte daraufhin den Geschäftsführer des Target-Geschäfts zur Rede und beschuldigte ihn, seine Tochter mit den Produkten zu vorehelichem Sex zu ermutigen. Dabei hatten die Target-Statistiker aus den Einkäufen der jungen Frau längst errechnet, was ihr Vater noch nicht wusste: Sie war schwanger.
Der „Trick“ bei Big-Data-Analysen ist es, „zwischen den Zeilen“ der Daten zu lesen. Die Target-Kundin hatte nirgends explizit angegeben, schwanger zu sein. Kauft eine Frau in den ersten zwanzig Schwangerschaftswochen Vitaminpräparate, Mineralstoffe und Spurenelemente, könnte sie schwanger sein. Kauft sie im zweiten Schwangerschaftsdrittel geruchlose Lotionen, erhärtet sich dieser Verdacht. Nach und nach kommen weitere Faktoren hinzu, aus denen Target schließen kann, dass jemand schwanger ist, so zum Beispiel der Einkauf spezieller Waschlappen kurz vor dem Geburtstermin. So war es auch im Fall der Schwangeren. Das Problem in diesem Fall ist aber, dass Target – ohne es zu wollen – Daten über den Gesundheitszustand eines Kunden preisgegeben hat.
Die Target-Kundin hatte ihre Daten unabsichtlich und damit passiv generiert. Da sie mit Kreditkarte zahlte, wurden ihre Transaktionen elektronisch gespeichert. Ihre Einkäufe (was, wann, wie viel) landeten in der Datenbank von Target.
Passive Daten generieren wir durch all unsere elektronischen Aktionen, egal, ob bei Offline- und Online-Einkäufen, beim Surfen oder beim Chatten. Kreditkartenfirmen und Webseitenbetreiber speichern jeden Klick, jede Eingabe auf ihren Servern. Oftmals sind wir uns nicht bewusst, welche digitalen Fußabdrücke wir so hinterlassen.
Daneben gibt es aber auch Daten, die wir aktiv hinterlassen, wie beispielsweise Bilder, Videos und Statusmitteilungen über soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook. Auch diese Unternehmen arbeiten mit großen Datenmengen, analysieren sie und machen damit, was sie wollen. Per Likes, Follows und Favorites teilen wir diesen Konzernen mit, was und wen wir mögen, über Umfragen und Bewertungen beurteilen wir Produkte.
Dazu gibt es auch noch etwas umsonst: Wir dürfen die Plattformen umsonst benutzen, bekommen GMail- und Outlook-Konten, Facebook- und Twitter-Profile kostenlos, richtig? Falsch! Denn es handelt sich um profitorientierte Unternehmen, die mit unseren Daten Geld verdienen, meist über Werbung. Für die scheinbar kostenlosen Dienste greifen diese Unternehmen tief in die Tasche, denn Server und Internet-Verbindungen wollen auch bezahlt werden. Die Währung, in der wir als Nutzer diese Dienste bezahlen, heißt demnach Daten.
Warum ist es also schlecht um die Sicherheit bestellt? Daran ist nicht unbedingt die Technik schuld, eher wir selbst. Ich bin überzeugt, Narzissmus spielt eine Rolle, vor allem in sozialen Netzwerken. Das Urlaubsfoto vom Strand aus online stellen und Likes zählen. Psychologisch ist das ein einfaches Belohnungssystem – und es funktioniert. Dafür, dass wir unseren Narzissmus und Voyeurismus online ausleben können, knöpfen uns Facebook & Co. unsere Daten ab. Wenn wir die einmal hochgeladen haben, gehören sie – je nach AGBs – den Unternehmen. Wir haben dann die Kontrolle über unsere Daten verloren, die zum kostbarsten digitalen Gut des 21. Jahrhunderts werden, schon allein der Masse wegen.
Wir werden sicherlich nicht erreichen, dass Geheimdienste aufhören, uns auszuspähen, auch wenn es unbehaglich anmutet. Warum sollten sie auch? Es ist deren Job, und das war schon immer so. Mit einfachen Mitteln wie der Verschlüsselung von Festplatten und E-Mails können wir ihnen die Arbeit aber zumindest erschweren. Anleitungen dafür gibt es seit Snowden praktisch an jeder Ecke.
Empörung, Aufschreie und Anklagen sind in Ordnung. Das allein reicht aber nicht. Darum ist der Jahrestag der Snowden-Enthüllungen ein Feiertag, wie er im Buche steht. Weil wir genauso faulenzen wie am selben Tag ein Jahr zuvor. Weil an den meisten Feiertagen sowieso egal ist, was gefeiert wird. Weil die NSA genauso weitermacht wie bisher. Und weil das Leben am Tag danach genauso weitergeht wie vorher.
Der Autor: Martin W. Angler ist als freier Wirtschaftsjournalist und an der Europäischen Akademie Bozen als Projektleiter und Informatiker tätig.