SWZ: Herr Professor Paech, Sie leben und arbeiten in Oldenburg in Norddeutschland und es heißt, dass Sie bei den rund 80 Vorträgen, die Sie alljährlich im gesamten deutschen Sprachraum und darüber hinaus halten, ausschließlich per Fahrrad oder Bahn anreisen. Stimmt das?
Niko Paech: Das Fahrrad benutze ich nur in Norddeutschland, wenn sehr kurze Distanzen zurückzulegen sind, zwischen meinem Wohn- oder meinem Arbeitsort und dem Vortragsort. Ansonsten bewege ich mich mit Eisenbahn und Bus fort – und natürlich zu Fuß.
Geflogen sollen Sie erst einmal in Ihrem Leben sein…
Das ist vollkommen richtig.
So wie Sie das erzählen, erhält man den Eindruck, Sie seien in Ihrer Zeitplanung trotz Ihrer Bekanntheit und Ihres Erfolges nicht ganz so gestresst wie der „normale“ moderne Mensch.
Naja, das ist nicht ganz richtig. Bei mir ist eine Ausnahmesituation eingetreten. Mein Leben hat sich vor einigen Jahren verändert, als der Begriff Postwachstumsökonomie von mir in die Diskussion eingebracht wurde und gleichzeitig die Finanzkrise 2008 ihren Ausgang nahm. Damals war plötzlich eine immense Nachfrage nach wachstumskritischen Zukunftsentwürfen und einer wachstumskritischen Auslegung des Nachhaltigkeitsbegriffs da. Und weil es nur wenige Wirtschaftswissenschaftler gibt, die sich damit beschäftigten, bin ich in den Fokus geraten. Doch ich halte die derzeit noch immer anhaltende Verdichtung meines Terminkalenders für einen Ausnahmezustand und gehe davon aus, dass die Nachfrage nach einer gewissen Zeit wieder abebben wird.
Aber wohl nicht so schnell, denn das Thema Postwachstumsökonomie interessiert immer mehr Menschen…
Ich bin aber nicht mehr der Einzige, der etwas dazu zu sagen hat. Es wachsen jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach. Hinzu kommt noch etwas anderes: Manche Personen, die viel in den Feuilletons schreiben oder an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Selbstdarstellung agieren, springen jetzt auf den wachstumskritischen Zug auf und versuchen, davon zu profitieren. Und weil sie die Wirtschaft ohne Wachstum kuscheliger, schmuseweicher auslegen, können diese Leute mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als jemand, der etwas unbequeme Botschaften vermittelt, so wie ich.
Sie sagen also selbst, Sie vermitteln unbequeme Botschaften. Doch mit Ihren Forderungen – wie etwa jener, Autobahnen und Flughäfen zu schließen oder keine neuen Dinge zu kaufen, sondern Altes zu tauschen – verschaffen Sie der Postwachstumsökonomie große Aufmerksamkeit. Könnte man Sie wegen Forderungen wie dieser auch als Grünen bezeichnen?
Im Gegenteil. Ich gelte in Deutschland wohl als größte Zumutung der Grünen-Partei, weil ich sie aus ökologischer Perspektive kritisiere.
Doch gerade Dinge wie das möglichst umweltschonende Reisen…
Bei mir geht es nicht um umweltschonendes Reisen, sondern es geht darum, unter Umständen gar nicht zu reisen. Und die Grünen in Deutschland sagen nichts gegen Flugreisen – obwohl Flugreisen ökologische Schadensmaximierung sind. Die Grünen wollen grünes Wachstum und sie wollen vor allem Konsum und Mobilität unter gar keinen Umständen antasten, sondern nur über technischen Fortschritt erreichen, dass diese Dinge ökologisch von Schäden entkoppelt werden. Die tonangebenden Personen unter den deutschen Grünen sind aus meiner Sicht Wachstumsfetischisten.
Sie dagegen sagen, es braucht eine Reduktion, einen Rückbau?
Ja. Der Rückbau muss ein Ziel der Politik sein, das natürlich nicht von heute auf morgen zu erreichen ist – aber wir brauchen den Rückbau von Straßen, von Flughäfen, von Parkplätzen, der Agrarindustrie und natürlich auch von anderen Industrien. Verbaute Flächen müssen entsiegelt werden, damit diese Flächen wieder Naturkapital bilden können oder von Selbstversorgern verwendet werden können, beispielsweise für den Nahrungsmittelanbau.
Kurz gesagt, Sie fordern eine Regionalisierung?
Ganz genau, aber nur soweit das geht…Wenn wir alle Potenziale dieser Art der Nahversorgung, der Nutzungsdauerverlängerung, der Nutzungsintensivierung bei Verbrauchsgütern ausgeschöpft haben, dann wird immer noch ein Quantum an Konsum- und Mobilitätsbedarf bestehen bleiben, das nur zu befriedigen ist, wenn auch immer noch eine moderne Infrastruktur und eine moderne Industrie vorhanden sind. Aber die Dosis macht das Gift. Das heißt, wir werden modern bleiben, wir werden nur die Quantität bestimmter Dinge reduzieren. Natürlich gibt es gewisse Mobilitäts- und Konsumformen, die wird man nie retten können, wenn man es ernst meint mit einer Wirtschaft ohne Wachstum.
Zum Beispiel?
Fliegen, Autofahren, Elektronik, Fleisch, Neubau etc. Diese Dinge sind Extremfälle – Dinge, die wir zukünftig nur noch selten und in sparsamen Dosen verwenden können.
Nun wurde uns bisher immer erklärt, wirtschaftliches Wachstum sei nötig, um den Wohlstand zu sichern und der moderne Mensch strebt ständig danach, seinen Wohlstand zu steigern. Deshalb stellt sich die Frage, kann eine Wirtschaft ohne Wachstum tatsächlich funktionieren?
Ihre Frage suggeriert, wir hätten noch eine Wahl, aber das ist falsch. Nur ohne Wirtschaftswachstum kann die Menschheit überleben. Es ist nicht möglich, über technischen Fortschritt ein weiterhin wachsendes ökonomisches System von ökologischen Schäden zu entkoppeln. Das hat noch nie irgendwo funktioniert und dort, wo vorgerechnet wird, es habe funktioniert, wird die zeitliche, die räumliche, die materielle und die systemische Verlagerung der Schäden einfach nicht einkalkuliert.
Beispielsweise?
Regenerative Energien: Die sind überhaupt keine Lösung für irgendein Problem, weil man regenerative Energien nicht zum ökologischen Nulltarif erhält – alleine die Landschaftszerstörung, die wir dadurch derzeit erleben, ist fulminant. Dazu kommt, dass die Emissionen trotz des hohen Anteils an regenerativer Energie weiterhin steigen.
Der Mensch muss demnach verzichten…
Nein, ich rede nicht von Verzicht. Ich rede von Befreiung vom Überfluss. Wir haben ja nicht nur ökologische, sondern auch psychologische Wachstumsgrenzen. Diese machen sich in Deutschland zum Beispiel dadurch bemerkbar, dass innerhalb der letzten Dekade die Anzahl der Antidepressiva-Verschreibungen verdoppelt wurde, also in einer Phase, in der wir enorme Zuwächse an materieller Selbstverwirklichung erwirkt haben. Wir sind schon lange nicht mehr in der Lage, diesen Wohlstand, um den wir kämpfen, psychisch zu verarbeiten. Wir haben eine Epoche der Zeitknappheit erreicht: Uns fehlt die Zeit, die wir bräuchten, um all das auszukosten, was wir uns kraft Wohlstandsexpansion kaufen können. Deswegen geht es nicht um Verzicht, sondern um eine Rückkehr zum menschlichen Maß, was uns auch psychologisch gut täte.
Ein Gegenmittel gegen die Zeitknappheit könnte Ihr Vorschlag sein, dass die Menschen nur noch 20 Stunden pro Woche arbeiten sollten – damit würden zeitliche Ressourcen für Tauschhandel, Gartenarbeiten etc. frei. Gleichzeitig hätten die Menschen aber nur noch einen Bruchteil ihres Gehalts. Kämen sie dann noch über die Runden?
Man kann nicht gleichzeitig reich sein und nachhaltig leben. Wir haben zu viel Geld. Und Geld ist ja nicht neutral, wie viele aus meiner Zunft behaupten, sondern Geld ist Kaufkraft. Mein 20-Stunden-Modell soll im Übrigen bewirken, dass diejenigen, die heute null Stunden arbeiten, dann ebenfalls 20-Stunden Erwerbsarbeit haben. Es geht nicht nur um Reduktion, sondern auch darum, die verbleibende Erwerbsarbeitszeit gerecht zu verteilen. Ohne eine Reduktion der Kaufkraft ist es nicht möglich, die Ökosphäre zu schützen.
Wenn wir das Konzept der Postwachstumsökonomie nicht umsetzen, dann zerstören wir also unseren Planeten?
So einfach ist es auch nicht. Es könnte sein, dass andere Krisen der ökologischen Krise zuvorkommen, beispielsweise die psychologische Krise, die ich schon angesprochen habe, oder der „Peak Everything“, das heißt, die Rohstoffe werden knapp, vor allem Öl. Und wenn ein Barrel Rohöl beispielsweise 200 oder 250 Dollar kostet, dann ist die Party vorbei, weil es nichts gibt, was ohne Rohöl produziert werden kann, nicht einmal simple Nahrungsmittel in der Region. Die Zerlegung der Produktion in immer mehr räumlich entfernt liegende Bestandteile bedeutet, dass die Produktion immer transportintensiver und damit abhängiger von fossilen Rohstoffen ist.
Gerade im Transportsektor bemüht man sich aber um Alternativen…
Diese Versuche sind ja gescheitert: Die sogenannte Bioenergie ist eine ökologische Tragödie und Elektromobilität ist eine Lachnummer. Alle reden seit zehn Jahren von Elektromobilität, aber sie ist nicht vorhanden, weil keiner Lust hat, die Autos zu fahren und weil wir Elektromobilität auch gar nicht übertragen können auf Gütertransporte, die die Lebensadern unserer modernen europäischen Staaten sind.
Dann hilft nur noch Reduktion?
Ja. Und nach der Reduktion, die nicht bis zum Nullpunkt gehen darf, weil keiner ins Mittelalter oder in die Steinzeit zurückfallen möchte, müssen wir die verbliebenen Produktionsanlagen, Infrastrukturen und vor allem die Versorgungssysteme umbauen.
Wie?
Wir müssen vieles, anstatt es zu produzieren, länger nutzen und gemeinschaftlich nutzen. Aber – auch das wird niemals dazu führen, dass wir nicht mehr produzieren müssen; selbstverständlich wird es immer noch eine Restproduktion geben, wir werden weiterhin Flugzeuge und Autos haben – aber in viel geringeren Mengen. Menschen werden sich Autos ausleihen oder mit anderen teilen, und sie werden in ihrem Leben bestenfalls noch zwei oder drei Flugreisen machen. Von denen werden sie dann Abenteuergeschichten erzählen. Der Wert einer Aktivität steigt dadurch, dass man sie nicht so oft in Anspruch nimmt. Glück kann man nämlich auch inflationieren.
Info
Niko Paech ist Wirtschaftswissenschaftler und vertritt den Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er forscht und lehrt unter anderem in den Bereichen Klimaschutz, nachhaltiger Konsum, Umweltökonomik, Sustainable Supply Chain Management, Nachhaltigkeitskommunikation, Diffusionsforschung, Innovationsmanagement und Postwachstumsökonomik. Momentan ist er Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ), gehört unter anderem dem Post Fossil Institut (PFI) und dem wissenschaftlichen Beirat von Attac an. Er ist zudem Aufsichtsratsvorsitzender der Oldenburger Energiegenossenschaft (OLEGENO).