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Dolce Vita in orange: Die Erfolgsgeschichte von Aperol

GETRÄNKEMARKT – Selten stand ein Getränk so sehr für Feierabend, Wohlfühltemperatur und Freizeit wie Aperol – meist als Spritz. Obwohl mehr als 100 Jahre alt, ist die Lust auf den italienischen Likör so groß wie nie. Was hinter dem Erfolg steckt.

Sabina Drescher von Sabina Drescher
17. Mai 2024
in Italien
Lesezeit: 4 mins read

Das knallige Orange dient als Alleinstellungsmerkmal. Es kann aber durchaus auch zu einer Kettenreaktion in einem Lokal führen. Jemand sieht am Nebentisch einen Spritz und bekommt selbst Lust darauf. (Foto: Shutterstock / baibaz)

Novi Ligure – Die Welt wird geflutet von einer orangen Welle. Sie kommt in bauchigen Gläsern daher, meist mit vielen Eiswürfeln und einer halben Orangenscheibe. Aperol, meist gemischt mit Mineralwasser und Prosecco, verleiht den Trinkenden ein Gefühl von Feierabend und Dolce Vita. Dabei scheint der Konsum direkt proportional zu den Temperaturen zu steigen. Und obwohl der heurige Frühling sich lange schüchtern zeigte, ist es nun doch wieder so weit: Die Aperol-Zeit ist eingeläutet.

Die erste Flasche des Likörs wurde bereits im fernen Jahr 1919 in Padua abgefüllt (weiter nördlich erschien zugleich die erste Ausgabe einer gewissen Südtiroler Wirtschaftszeitung). Die Zutaten sind seither unverändert: Rhabarber, Chinarinde, gelber Enzian, Bitterorange und aromatische Kräuter verleihen dem Likör seine unverkennbare Farbe und den bittersüßen Geschmack. Trotz der mehr als 100 Jahre auf seinem Buckel schaut er heute alles andere als alt aus der Wäsche – im Gegenteil. Der Hype um Aperol ist größer denn je.

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Sieben Jahre bis zum perfekten Rezept

Erfunden wurde das Getränk angeblich als etwas leichteres Gegenstück zum damals sehr beliebten Americano. Die Brüder Luigi und Silvio Barbieri hatten 1912 die Likörfabrik ihres Vaters geerbt und versuchten sich an verschiedenen Mischungen – bis sie sieben Jahre später das Rezept zum Aperol in den Händen hielten. Es wird noch heute gehütet wie ein Staatsgeheimnis und soll in einem Safe aufbewahrt werden. Der Name des Getränks leitet sich vom Französischen „Apéro“ ab, umgangssprachlich für Aperitif. Der Likör soll appetitanregend wirken und daher besonders gut als Drink vor dem Essen passen.

Die erste Flasche des Likörs wurde bereits im fernen Jahr 1919 in Padua abgefüllt. Die Zutaten sind seither unverändert: Rhabarber, Chinarinde, gelber Enzian, Bitterorange und aromatische Kräuter.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Aperol in ganz Italien immer beliebter, vor allem bei jungen Erwachsenen, die sich in den Cafés von Padua und den traditionellen Bars von Venedig trafen. Der heute so beliebte Spritz – bei uns als Veneziano bekannt – entstand hingegen erst in den 1950er-Jahren. Zugleich gab es den ersten Aperol-Werbespot in der Rai-Sendung „Carosello“.­ Zeitungsbanner und künstlerische Werbeplakate trugen ebenfalls ihren Teil zum Erfolg bei.

Campari kauft Aperol

Seinen großen Siegeszug feierte Aperol aber erst Jahrzehnte später. 2003 wurde Aperol vom Unternehmen Campari übernommen. Tradition schluckt Tradition, hätte die Schlagzeile dazu lauten können. Campari ist nämlich sogar noch etwas älter als Aperol. Gegründet wurde es von einem Bauernsohn, Gaspare Campari, der aus einem Dorf in der Lombardei stammte. In Turin studierte er die Kunst des Destillierens. Um 1860 eröffnete er als Likörmeister das „Caffè dell’Amicizia“ in Novara, wo er mit Kräutergemischen experimentierte, bis er eine besondere Kreation ersann. Sie war rubinrot und soll aus 80 Zutaten bestanden haben. Er nannte sie Bitter Campari. Ende des 19. Jahrhunderts zog die Familie nach Mailand und eröffnete die erste Produktionsstätte. Camparis Sohn Davide baute das Unternehmen des Vaters aus und gründete 1917 das „Camparino“, ein Café im Jugendstil. Es wurde zum Treffpunkt von Künstlern und Reisenden wie Giuseppe Verdi oder Maria Callas. Der Getränkehit zu dieser Zeit: Campari Seltz.

Heute fließen um die 18 Prozent des Umsatzes in Marketing und Werbung.

Seit 1995 erweitert der Spirituosen-Hersteller sein Portfolio kontinuierlich. „Wachstum durch Zukauf“ lautet die Formel. Auf der Shoppingliste standen häufig etwas verstaubte Traditionsmarken, die Campari wieder flott macht: Cinzano zum Beispiel, der Bourbon­ Wild Turkey – oder eben Aperol. Wo Campari auch einsteigt, wird das Marketingbudget hochgefahren. Seit jeher ist dies Teil der Unternehmensstrategie. In den 1920er- und 1930er-Jahren zeichneten namhafte Künstler wie der Futurist Fortunato Depero Poster, die bis heute Vorbilder für Werbeschaffende sind. Für einen Spot ließ sich gar Regisseur Federico Fellini gewinnen. Heute fließen um die 18 Prozent des Umsatzes in Marketing und Werbung.

2023: Aperol generiert ein Viertel des Umsatzes

Davon profitiert(e) auch Aperol. Als Campari das Unternehmen kaufte, lag der Ausstoß bei vier Millionen Litern pro Jahr, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Davon seien drei Millionen Liter in nur drei Städten getrunken worden: Venedig, Treviso und Padua. Heute macht das Getränk fast ein Viertel des Umsatzes aus (24 Prozent), der bei drei Milliarden Euro lag. Allein im vergangenen Jahr gab es beim Aperolverkauf ein Plus von 23,1 Prozent. Wie ist das gelungen? „Wer Konsumenten dazu bringen will, eine Marke neu kennenzulernen, braucht einen Signature-Drink“, erklärte CEO Bob Kunze-Concewitz gegenüber der SZ das Erfolgsrezept. Man habe ein Image festgelegt („Aperol gleich jung und dynamisch, Campari gleich sinnlich und erwachsen“) und sich für den Spritz entschieden. In ausgesuchten Bars im Mailänder Szene-Viertel Brera startete ein Testlauf. Von dort aus breitete sich der Aperitif aus wie ein Lauffeuer, auch außerhalb Italiens. Es war dies die erste Phase der Aperol-Strategie („geografische Ausbreitung“). Die zweite lautete „Entsaisonalisierung“, die dritte „Trinkgewohnheiten der Gäste ändern, wo sie nicht ins Konzept passen“. Anders ausgedrückt: Spritz sollte nicht mehr bloß ein Aperitif sein, sondern auch zum Essen getrunken werden.

Heute macht das Getränk fast ein Viertel des Umsatzes aus (24 Prozent), der bei drei Milliarden Euro lag. Allein im vergangenen Jahr gab es beim Aperolverkauf ein Plus von 23,1 Prozent.

Dazu wurden verschiedene Marketingmaßnahmen getroffen.

  1. Werbekampagnen wurden stark diversifiziert. Hauptziel war und ist es, ein junges Publikum anzusprechen und einen ungezwungenen Lebensstil zu zelebrieren.
  2. Im Bereich Storytelling und Kommunikation arbeitet Aperol mit gleichbleibenden Claims und eingängigen Soundtracks wie „Spritz life“ und „Happy Together“.
  3. Aperol nutzt auch Events als Teil seiner Strategie. Bei der „Aperol Spritz Tour“ fuhr ein gebrandeter Van an Strände, Skipisten und berühmte Plätze. Bei „Aperol Spritz Live“ traten berühmte Künstlerinnen und Künstler auf.
  4. Außerdem wurden exklusive Orte geschaffen wie die „Terrazza Aperol“ in Mailand mit Blick auf den Mailänder Dom.
  5. Besonders wichtig: das Social-Media- und Influencer-Marketing.

Die Lust auf Spritz ist ansteckend

Letzteres gewann vor allem während der Pandemie an Bedeutung. Als sich der Konsum vom Öffentlichen ins Private verlagerte, stellte Campari Videos online. Darin zeigte das Unternehmen, wie man sich den perfekten Spritz für zu Hause mischt: ein bauchiges Glas mit Eiswürfeln, eine halbe Orangenscheibe, drei Teile Prosecco, zwei Teile Aperol, ein Teil Mineralwasser. Es war der Beginn des viralen Einflusses. Die Hashtags #Aperol und #AperolSpritz trendeten auf Instagram und TikTok, auch dank der Fotogenität des Drinks.

Das knallige Orange ist ohnehin ein Gewinn. Zum einen dient es als Alleinstellungsmerkmal. Zum anderen kann es durchaus zu einer Kettenreaktion in einem Lokal führen. An einem Tisch wird ein Spritz geordert – und plötzlich bekommen die rundherum auch Lust darauf.

Der Aperol-Trend freut Hersteller Campari. Kürzlich eröffnete er eine neue Abfüllanlage, um die Aperol-Produktion zu verdoppeln. Ewig werde das Wachstum allerdings nicht anhalten, prognostizierte Campari-CEO Kunze-Concewitz in der SZ. Nach einer Generation, 25 Jahren, werde der Absatz auf hohem Niveau stagnieren, aus einem einfachen Grund: „Es gibt absolut niemanden, der trinken will, was seine Eltern getrunken haben.“

Schlagwörter: 19-24free

Ausgabe 19-24, Seite 25

Sabina Drescher

Sabina Drescher

Die Kaltererin hat in Innsbruck und Cagliari studiert. Sie blickt gerne hinter die Fassaden von Gebäuden, noch lieber hinter die von Menschen.

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