Bozen, Innsbruck – Die Einsatzmöglichkeiten von Technologien zur Unterstützung eines selbstbestimmten, aktiven, sicheren und sozial integrierten Lebens älterer Personen sind im Zeitalter des demografischen Wandels von wachsender Bedeutung. Die Entwicklung und der Praxistest von „Active/Ambient and Assisted Living“-Lösungen (AAL-Lösungen) wollen in diesem Kontext dazu beitragen, dass ältere Menschen länger im gewohnten Wohnumfeld leben können. Dank der schnell voranschreitenden Neuerungen im Bereich intelligenter Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), aber auch aufgrund der Tatsache, dass kommende Generationen mit IKT aufwachsen, gibt es in der Zukunft zahlreiche Möglichkeiten für ältere Personen, in vielfältiger Weise von der Technik zu profitieren.
Doch nicht nur zukünftig ältere Personen, sondern auch die heute über 65-Jährigen sind Zielgruppe dieser assistierenden und aktivierenden Technologien, die sich in Form von Produkten und Dienstleistungen in den Bereichen Sicherheit, Komfort, Gesundheit und soziale Interaktion bereits am Markt befinden.
Dieser Markt ist groß – und er wird weiter wachsen: Der Anteil der Generation 65+ an der Gesamtbevölkerung der Länder Deutschland, Schweiz, Österreich und Südtirol bzw. Italien liegt zwischen fast 18 und 22,4 Prozent. In Summe sind es 34 Millionen Personen oder durchschnittlich 21,3 Prozent der Gesamtbevölkerung der genannten Länder (siehe dazu auch Infografik 1). Somit fällt schon heute gut ein Fünftel der Bevölkerung in die potenzielle Zielgruppe der Assistenzsysteme. Bei solchen liegt der Fokus nicht nur auf der Unterstützung von Personen mit altersbedingten Einschränkungen, sondern es soll generell ein positiver Einfluss auf alle Ebenen der Lebensqualität erzielt werden.
So steigern etwa Anwendungen der Hausautomation den Komfort im eigenen Wohnumfeld durch intelligente Licht- und Heizungssteuerungen. In der Nacht erhöht eine intelligente Lichtsteuerung außerdem das Sicherheitsempfinden, da Stürzen und anderen Malheuren aufgrund eines eingeschränkten Sichtfeldes im Dunkeln vorgebeugt wird. Dieses Beispiel illustriert, dass nicht ausschließlich körperlich beeinträchtigte ältere Personen zur Zielgruppe von AAL gehören. Vielmehr können Technologien aus dem gesamten Marktsegment Smart Home und dessen Unterkategorien Home Automation, Gebäudesicherheit, Home Entertainment, Ambient Assisted Living (AAL) und Energy Management auch für agile, fitte ältere Menschen nützlich und komfortabel sein.
Dass dieser Bereich von erheblicher Bedeutung ist, kann auch beigestellter Infografik 2 entnommen werden. Diese zeigt den aktuellen Umsatz des Marktsegments „Smart Home“ in Europa sowie eine Entwicklungsprognose bis zum Jahr 2021. Demnach wird in den kommenden Jahren mit einem bedeutsamen Wachstum der Branche gerechnet: Der Umsatz im „Smart Home“-Markt beträgt laut Berechnungen des Statistikportals „Statista“ im Jahr 2017 etwa 4,9 Milliarden Euro, laut Prognose wird im Jahr 2021 bereits ein Marktvolumen von 17,5 Milliarden Euro erreicht werden. Dies entspricht einem jährlichen Umsatzwachstum von 37,7 Prozent.
Somit lässt sich ein hohes Marktpotenzial für altersgerechte Assistenzsysteme, aber auch für Smart-Home-Systeme zur Unterstützung älterer Personen feststellen. Aufgrund der Komplexität des Themas sind einige Punkte aber noch nicht vollständig geklärt. Zahlreiche technische Herausforderungen, wie schnelle und flächendeckende Internetverbindung, aber auch eine realistische Abschätzung über die notwendigen technischen Kompetenzen der Nutzer sowie deren individuelles Umfeld sind Themen, die in der Entwicklung dieser Technologien unbedingt zu berücksichtigen sind. Oftmals wird dadurch der Einsatz in der Praxis erschwert. Erkenntnisse dazu können aber insbesondere über Tests in kontrollierten Testhaushalten generiert und somit für die Weiterentwicklung berücksichtigt werden.
In Südtirol gibt es mehrere Projekte, die sich mit Smart Living Technologies für ältere Mitbürger befassen. Beispielsweise das Interreg-Projekt „Care4Tech – Cross-sectoral Alliances for Smart Living“, eine Zusammenarbeit von öffentlichen Behörden, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft aus sechs Ländern mit Beteiligung von IDM Südtirol. Oder der Test des Systems LISA habitec, der seit März in einer Versuchswohnung im Seniorenwohnheim von Deutschnofen läuft. LISA habitec ist ein Gemeinschaftsprojekt von fünf Südtiroler Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben, der Technischen Universität München und des Berliner Instituts für Sozialforschung, unterstützt von lvh und Stiftung St. Elisabeth.
Daneben verfolgt eine Forschungsallianz des Instituts für Public Management von Eurac Research und des Instituts für Strategisches Management, Marketing und Tourismus der Universität Innsbruck die Entwicklung und Erprobung von Technologien im Bereich altersgerechter Assistenzsysteme im Rahmen internationaler Projekte. Im Zuge dieser langjährigen Zusammenarbeit wurde umfangreiches fachspezifisches und interdisziplinäres Wissen und Kompetenz an beiden Forschungseinrichtungen aufgebaut. Auch sind daraus bereits marktfähige Lösungen entstanden, etwa die Notfalluhr 2PCS und der Onlinekatalog „AAL-Products.com“.
Die Notfalluhr 2PCS (Personal Protection and Caring System) ist aus einem internationalen Projekt des „AAL Joint Programme“ entstanden, einer Initiative der EU-Kommission sowie der nationalen Förderstellen (u.a. nationales Ministerium für Bildung, Universität und Forschung MIUR und Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie bmvit), die Partnerschaften zwischen Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Endanwenderorganisationen in diesem Bereich fördern. Dafür wurde von 2011 bis 2013 ein mobiles und universell einsetzbares Service- und Notrufsystem mit vielfältigen Lokalisierungs- und Kommunikationsfunktionen für verschiedene Lebensphasen sowie für Pflege- und Betreuungsstrukturen entwickelt.
Der Online-Produktkatalog „AAL-Products.com“ ist auf die Studie TAALXONOMY zurückzuführen (FFG-Benefit-Studie 2014). TAALXONOMY ist ein einfaches und intuitives Kategorisierungssystem von AAL-Produkten und -Dienstleistungen. Diese Taxonomie bildet die Grundlage für den Onlinekatalog AAL-Products, in dem Anbieter ihre assistiven und smarten Technologien platzieren und Anwenderorganisationen die passenden Lösungen für ihren Bedarf finden können.
Weitere gemeinsame Projekte von Eurac Research und Universität Innsbruck im Bereich AAL waren und sind:
ExpAct – Experiences keep people active (Entwicklung einer Internetplattform zur Aufwertung von Kompetenzen älterer Menschen. Südtiroler Partner war Ethical Software Cooperativa Sociale Onlus.)
FairCare – The network based solution for collaborative future care (Entwicklung einer Onlineplattform zur Organisation von Dienstleistungen für ältere Menschen. Südtiroler Partner ist ASP Servizi GmbH; die Pilotanwendung wird mit der Genossenschaft „Wohnen im Alter“ getestet.)
gAALaxy – The universal system for independent and interconnected living (Entwicklung einer Schnittstelle für die Steuerung verschiedener AAL-Geräte in der Wohnung älterer Menschen. Südtiroler Partner ist die Privatklinik Villa Melitta; die Pilotanwendung wird in Kooperation mit dem Landesrettungsverein Weißes Kreuz durchgeführt.)
Die beiden Forschungseinrichtungen sind sich einig: Durch solche Projekte gelingt es, Marktlösungen für mehr Lebensqualität für ältere Menschen zu forcieren, aber nicht nur. Es geht auch um die aktive und positive Gestaltung des demografischen Wandels für die Gesellschaft. Netzwerke zwischen Forschungs- und Unternehmenspartnern sind die Grundlage für anwenderfreundliche Lösungen und Technologien.
Davon ist man auch in der Bozner Privatklinik Villa Melitta überzeugt, die an mehreren Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit verschiedensten Projektpartnern beteiligt war und ist (u.a. bei der Notfalluhr 2PCS und gAALaxy). „Forschung gehört für uns zur Philosophie der Klinik“, unterstreicht Rupert Waldner von der Villa Melitta. „Dafür braucht es kompetente Partner im In- und Ausland. Durch Forschungskooperationen können wir Innovationen vorantreiben, die letztlich den Menschen helfen, möglichst selbstbestimmt bis ins hohe Alter zu leben.“
Die Autorinnen: Kristina Förster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Innsbruck, Sonja Vigl bei Eurac Research in Bozen.
Info 1: Die Generation 65+, Info 2: Umsatzwachstum im „Smart-Home“Bereich