Rom/Bozen – Die Neuwahlen im Frühjahr haben eine Neuauflage der großen Koalition mit PD und PdL erforderlich gemacht, aber mit einem neuen Gesicht an der Spitze der Regierung: Auf Enrico Letta ruhten viele Hoffnungen, und es schien, als habe er den Elan und den Biss, die Weichen neu und so zu stellen, dass die Italiener wieder Licht am Ende des Tunnels sehen und bereit sind, den Gürtel enger zu schnallen und die Ärmel aufzukrempeln.
Aber der Wind der Veränderung hat nie wirklich zu wehen begonnen. Diese Regierung war von allem Anfang an eine Gefangene der beiden großen Parteien, die sie tragen. Diese haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von dem, was zu tun ist – und sie sind intern heillos zerstritten, in erster Linie auf der persönlichen Ebene, aber auch mit Blick auf Konzepte und Strategien.
Im PD tobt nach dem Abgang des gescheiterten Pier Luigi Bersani längst ein Machtkampf um die zukünftige Parteiführung, wobei Matteo Renzi, der junge Bürgermeister von Florenz, an die Spitze drängt. Einmal dort, wird er den Rivalen Enrico Letta wohl nicht lange im Amt des Regierungschefs dulden. Letta seinerseits scheint darauf bedacht, bis 2015 regieren zu können, um zu tun, was er bisher nicht getan hat. Das Mitte-rechts-Lager ist längst nicht mehr kompakt und droht im Streit um den Ausschluss des rechtskräftig verurteilten Silvio Berlusconi aus dem Senat zu zerbrechen. Der Cavaliere ist dabei, seine Partei „Forza Italia“ neu zu gründen, und kündigt allen, die sich ihm widersetzen, an, sie würden wie zuvor der Abweichler Gianfranco Fini im politischen Aus enden.
Weder der PD noch der PdL scheinen großes Interesse daran zu haben, dass die Regierung Letta wirklich erfolgreich arbeitet. Der Verdacht: Beiden Parteien liegt derzeit weniger der Staat am Herzen, den sie gemeinsam regieren, sondern die beste Strategie, um bald wieder allein an den Hebeln der Macht zu sitzen, in der „casa dei bottoni“, wie es die Italiener nennen. Und genau das wirft die Bewegung 5 Stelle mit ihrem Chef Beppe Grillo ihnen vor – verbunden mit der Forderung, dass das alte System weg muss, bevor an einen Wiederaufbau gedacht werden kann.
Halb lassen ihn die Parteien nicht, halb kann er nicht, könnte man von Enrico Letta in Abwandlung eines Goethe-Wortes sagen. Alle Maßnahmen, welche diese Regierung getroffen hat, waren saft- und kraftlos; sie verfolgen, wie zuvor jene Mario Montis, nur das Ziel, das unmittelbare Überleben zu sichern, lassen aber keinen Reformwillen erkennen und jeden großen Wurf vermissen. So kann sich nichts ändern! Das „decreto del fare“ hat mehr versprochen, als es gehalten hat, und das Stabilitätsgesetz sowie der Haushalt 2014 sind die Fortsetzung des Wurstelns – mit vielen Ankündigungen und wenig Taten und mit neuen Steuern, die jeden zweiten Tag anders benannt werden. Auch auf ein neues Wahlgesetz warten wir, vielleicht deshalb, weil diese Regierung darauf spekuliert, im Amt zu bleiben, solange nach dem alten „porcellum“ gewählt werden muss. Und die versprochene Verfassungsreform mit einer Verkleinerung des Parlaments? Ausgelagert an eine Kommission, wie gehabt! Sogar die SVP ist inzwischen „stuff“ von dieser Regierung, mit der es keine autonomiepolitischen Fortschritte gegeben hat, die aber Südtirol weitere Finanzmittel vorenthalten will.
Der Patient Italien leidet an wirtschaftlicher Unterkühlung, übergewichtigen Staatsorganen, einem nimmersatten öffentlichen Magen und einem Herzen, das nicht mehr in der Lage ist, genügend Blut durch die bürokratieverengten Adern zu pumpen. Es leidet an entmutigten Unternehmern, unsicheren Verbrauchern, einer nicht funktionierenden Justiz, daran, dass die Mafia Teile des Staatsgebietes beherrscht (und die Chinesen in den Textilvierteln von Prato das alleinige Sagen haben), an einer wahnwitzigen Steuergesetzgebung, an einer nach wie vor verbreiteten Korruption. Und was macht die Regierung? Sie sorgt sich um nichts als die Einnahmen. Dabei scheut sie auch vor neuen Belastungen für Bürger und Unternehmen nicht zurück, anstatt endlich bei den Ausgaben anzusetzen und Reformen anzupacken – vom Arbeitsrecht bis zur Verwaltung, vom Wahlrecht bis zur Justiz. Allein eine Anpassung der Normen über die Arbeitssicherheit an das, was in anderen EU-Staaten vorgeschrieben ist, brächte einen Wachstumsschub und wäre ein Zeichen, dass sich doch noch etwas bewegt im Land, wo die Zitronen (bald nicht mehr) blühen.