Ein Gemeinwesen braucht Einnahmen, um Schulen zu betreiben, Straßen zu erhalten, Gesundheitsdienste zu gewährleisten und dergleichen mehr. Laut Verfassung ist es Pflicht eines jeden Bürgers, gemäß seiner Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben beizutragen. Dies gilt für Personen ebenso wie für Unternehmen. Eine Firma, die nach Abzug der Steuern nicht genügend abwirft, um überleben zu können, hat am Markt nichts verloren. Soweit die Theorie.
In der Praxis ist es so, dass die Steuerhinterziehung in Italien Tradition hat. Manche Bürger sehen darin eine legitime Verteidigung, weil die öffentliche Hand unverantwortlich mit dem Geld umgeht, das sie mehr oder weniger hart erarbeitet haben. Andere wiederum verweisen darauf, dass Hinterziehung einige Menschen wohlhabend macht, während der Staat verarmt. Dieser reagiert mit immer schärferen Strafen und Kontrollen. Die Festsetzung eines „redditometro“, eines Maßstabes zur Bemessung des Einkommens aufgrund des Lebensstandards, war sicher nicht die letzte Maßnahme.
Und doch: Es besteht der Eindruck, dass die Versuche, dem Staat vorzuenthalten, was ihm laut Steuergesetzen gehört, in jüngster Zeit zugenommen haben, ja, dass sogar unvorsichtig dreist hinterzogen wird. „Keine Rechnung, das regeln wir unter der Hand“: dieses Motto scheint so aktuell wie seit Jahren nicht mehr.
Eine Erklärung dafür hat Stefano Fassina, Absolvent der Bocconi und Staatssekretär im Wirtschafts- und Finanzministerium, letzte Woche geliefert. „In Italia c´é anche“, sagte er, „un´ evasione di sopravvivenza“, das heißt, es wird hinterzogen, um überleben zu können. Der Steuerdruck sei so massiv geworden, dass Unternehmen ihrer Zahlungspflicht trotz des hohen Risikos, das sie damit eingehen, nicht mehr nachkommen. Die Alternative lautet nämlich: hinterziehen oder Konkurs anmelden.
Die Aussagen haben Widerspruch erregt, aber sie sind doch ein Eingeständnis, dass Handlungsbedarf besteht: Entweder der Staat senkt seine Ausgaben, um Unternehmen und Bürger zu entlasten – oder wir laufen Gefahr, die Kuh zu schlachten, die da gemolken werden soll.