Bozen – Italiens neuer Regierungschef Mario Monti rückt dem Bargeld zu Leibe. Völlig abschaffen will er es zwar nicht. Sehr wohl aber möchte er den Bargeldverkehr noch viel radikaler einschränken, als es seine Vorgänger Silvio Berlusconi und Romano Prodi bereits getan hatten (siehe Info „Von 12.500 auf 300 Euro“). 500, vielleicht sogar 300 Euro könnten schon bald die Obergrenze für Bargeldzahlungen sein.
Auf Anhieb klingt das Vorhaben freilich recht nachvollziehbar: Je weniger Bargeld zirkuliert, desto schwieriger wird es für die „Schlauen“, Einnahmen am Fiskus vorbeizuschwindeln. Und je weniger Schlaue es gibt, desto kleiner müsste theoretisch die Steuerbelastung für alle werden bzw. desto zügiger die Sanierung des Staatshaushaltes gelingen. Gäbe es überhaupt kein Bargeld, dann könnten auf einen Schlag alle Zahlungen bzw. Inkassi mit einem einfachen Blick auf den Kontoauszug nachverfolgt werden, auch von den Steuerfahndern. Tatsächlich schätzt die Regierung Monti, dass ein Herabsetzen der Bargeldschwelle auf 300 Euro sage und schreibe drei Prozentpunkte des BIP wert wäre – drei Prozentpunkte, die derzeit für den Fiskus unsichtbar zirkulieren.
Was in der Theorie gut klingt, wirft in der Praxis aber einige Probleme auf, wenn auch nicht in allen Branchen gleichermaßen. Es gibt nun einmal Menschen, die aus Gewohnheit am liebsten mit Bargeld bezahlen. Sie fühlen sich mit Bargeld wohler, weil sie die Furcht plagt, mit Bancomat- oder Kreditkarten würde ihnen die Kontrolle über ihre Finanzen entgleiten. Oder sie wollen ihre Privatsphäre schützen, weil es ihnen unangenehm ist, wenn Familienangehörige oder auch Bankmitarbeiter (vor allem in Südtirol, wo jeder jeden kennt) auf den Bank- und Kreditkartenauszügen nachlesen können, wo und wie teuer der Urlaub verbracht, im Restaurant gespeist und im Geschäft eingekauft wird. Die Kreditkarten-affinen US-Amerikaner können über solche Argumente nur lachen, aber in Italien und Südtirol genießt Bargeld nach wie vor einen überdurchschnittlich hohen Stellenwert. Daher muss Bargeld – selbst in größeren Summen – nicht zwingend Schwarzgeld sein.
Walter Amort, der Präsident des Handels- und Dienstleistungsverbandes (hds), stellt zwei konkrete Fragen in den Raum, die für den Handel auftauchen: „Sollen die Kaufleute den Auslandsgast, der bar bezahlen will, ablehnen und auf das Inkasso verzichten? Sollen sie der älteren Frau, die über keine Karte verfügt, das Überraschungsgeschenk für ihre Enkel abgeschlagen?“ Betroffen von der Maßnahme wären weniger die Lebensmittelgeschäfte, sehr wohl aber die Bekleidungsbranche, Elektrogeschäfte sowie Juweliere, vermutet Amort und fügt hinzu: „Eine Maßnahme, die die Ausgabefreudigkeit bremst, ist derzeit das Letzte, was wir brauchen.“ Er steht der 300-Euro-Schwelle skeptisch gegenüber, egal ob Barzahlungen über 300 Euro überhaupt nicht mehr angenommen werden dürfen oder ob sie angenommen werden dürfen, aber gemeldet werden müssen. Letzteres würde neue Bürokratie schaffen, abgesehen davon, dass angenehmere Aufgaben existieren, als vom Kunden den Personalausweis zu verlangen.
Einen Vorgeschmack auf das, was eine Bargeldgrenze von 300 oder 500 Euro bringen würde, hat der Tourismus bereits in der Herbstsaison bekommen. Die kurzfristige Herabsetzung der Schwelle von 5.000 auf 2.500 Euro im September habe so manchen Gast überrascht „und wahnsinnig geärgert“, weiß Walter Meister, der Präsident des Hoteliers- und Gastwirteverbandes (HGV). „Wir durften die Barzahlung nicht mehr entgegennehmen, konnten das vorab aber nicht kommunizieren“, bedauert Meister. Zwar würden viele Gäste inzwischen mit Kreditkarte zahlen, viele aber nach wie vor in bar. Meister würde sich daher wünschen, dass die neuerliche Herabsetzung der Bargeldschwelle zeitlich verzögert greift: „Dann könnten wir im Internet auf unseren Preislisten kommunizieren, dass keine Barzahlungen mehr möglich sind.“ Ansonsten laufe man Gefahr, die Gäste unvorbereitet zu treffen und massiv zu verärgern. Möglicherweise läuft man auch Gefahr, das Geld mit großer Verspätung zu kassieren: Wenn der Gast über keine Karte verfügt, muss der Hotelier auf eine spätere Überweisung hoffen – ein völlig neues Gefühl für eine Branche, die es gewohnt ist, das Geld sofort zu kassieren. Abgesehen davon kursiert in Italiens Tourismus derzeit die bange Frage, ob bargeldverliebte Italiener, aber auch Auslandsgäste künftig ihren Urlaub anderswo verbringen werden – aus Protest gegen das Bargeldverbot in Italien.
Eine effiziente Waffe im Kampf gegen die Schattenwirtschaft werde die Maßnahme ohne Zweifel sein, glaubt Walter Meister: „Der Staat macht es immer schwieriger, Schwarzgeld auszugeben und somit auch Schwarzgeld zu kriegen.“
In der Landwirtschaft hat Montis Ankündigung ebenfalls etwas Bauchweh verursacht. Auf Viehmärkten wird in der Regel bar bezahlt, und die Erntehelfer wünschen sich die Lohnzahlungen häufig in barer Form, erläutert Leo Tiefenthaler, der Obmann des Südtiroler Bauernbundes (SBB). „Sollte die Bargeldschwelle auf 300 Euro herabgesetzt werden, wird es ein Umdenken brauchen. Schon heuer wollte so mancher Erntehelfer erst nach langem Erklären verstehen, dass der Lohn nicht mehr bar bezahlt, sondern überwiesen wird, weil die Schwelle ja erstmals nicht mehr 5.000 Euro, sondern 2.500 Euro betrug“, so Tiefenthaler, der sich auch die Frage stellt, was mit den 500-Euro-Scheinen passiert, wenn nur mehr 300 Euro in bar bezahlt werden dürfen.
„Wenn die Maßnahme im Kampf gegen die Steuerhinterziehung tatsächlich wirkungsvoll sein sollte, dann begrüße ich sie. Ich habe da aber so meine Zweifel“, meldet Tiefenthaler Bedenken an, mit denen er nicht allein dasteht. „Ob das der richtige Weg im Kampf gegen die Steuerhinterziehung ist, wage ich zu bezweifeln“, pflichtet Gert Lanz, der Präsident des Landesverbandes der Handwerker (LVH), bei. Für das Handwerk sieht er „in den meisten Fällen“ keine praktischen Schwierigkeiten. Schon heute seien Banküberweisungen die Regel. Problematisch ist für Lanz vielmehr die Einschränkung des persönlichen Freiraums. „Wieso muss ich ein Bankkonto haben? Kann mich der Staat wirklich verpflichten, eine Bancomat- oder Kreditkarte zu besitzen?“, fragt er. Lanz gehört selbst zu jenen Zeitgenossen, die ohne Bancomatkarte auskommen. Die Entwicklung zum gläsernen Menschen mache ihm Angst, sagt Lanz.
Ein Befürworter der 300-Euro-Bargeldgrenze ist hingegen Peter Gliera, der neue Präsident der Vereinigung Südtiroler Freiberufler (VSF). Die Freiberufler hätten jedenfalls kein Problem damit, weil die Kunden eh großteils per Überweisung bezahlen. Und der Kampf gegen die Schattenwirtschaft sei am ehesten mit solchen Maßnahmen zu gewinnen. „Die Leute werden sich immer weniger trauen, große Barbehebungen bei der Bank zu tätigen, um damit Schwarzzahlungen zu tätigen“, so Gliera. Der neue Ansatz des Fiskus, die Aufmerksamkeit vermehrt dem Verbrauch – etwa über den Einkommensmaßstab oder die niedrige Bargeldschwelle – und weniger der Feststellung des Einkommens zu widmen, verspricht laut Gliera Erfolg. Tatsächlich ist allen bisherigen Versuchen, über Steuerquittungen, doppelte Buchführung oder andere Instrumente eine wahrheitsgetreue Einkommenserklärung zu erzwingen, der gewünschte Erfolg verwehrt geblieben. Jetzt wird eine neue Strategie erprobt. Die Begleiterscheinung ist, dass die Bürger sich das Bargeld abgewöhnen müssen – selbst wenn es kein Schwarzgeld ist.