Sie strahlen uns vom TV-Schirm an und aus farbigen Zeitungsseiten, sie sind jung, unverbraucht und dynamisch oder werden zumindest als solche präsentiert. Die Rede geht von den neuen SEL-Verwaltungsräten – alle erst etwas über 30 und voller Tatendrang. Die neuen Saubermänner und Sauberfrauen müssen sich zwar erst noch bewähren, aber sie verdienen einstweilen einen Vertrauensvorschuss, ob jemandem da etwas spanisch vorkommt oder nicht. Diese Mann- und Frauschaft, das ist entscheidend nach den letzten Vorkommnissen, hat noch nicht gesündigt an den Futtertrögen des Landes. Also nichts wie energiegeladen an die Arbeit! Neue Besen kehren gut, basta.
Szenenwechsel. Wenige Tage vor dem Umbruch bei der SEL ist in Rom auf Druck des 86 Jahre alten Staatspräsidenten der Ministerpräsident zurückgetreten und mit ihm eine Regierung, in der zwar auch einige Ältere gedient haben, daneben aber auffallend viele junge Minister und Ministerinnen, die auch als unverbraucht und dynamisch durchgehen, Stefania Prestigiacomo etwa oder Giorgia Meloni, Mariastella Gelmini, Raffaele Fitto und die schöne Mara Carfagna. Als diese junge Exekutive, die im Schatten des „Cavaliere“ stand, unter dem Druck der Märkte abdanken musste, schien Italien erleichtert. Giorgio Napolitano beauftragte dann Mario Monti mit der Bildung einer neuen Regierung, und jetzt ist der jüngste Minister fast 60 und das Durchschnittsalter liegt deutlich jenseits des Renteneintrittsalters. Und doch: Alle Hoffnungen Italiens und der Italiener liegen auf dieser Regierung, in der lauter erfahrene Fachleute sitzen, darunter viele in Ehren ergraute Universitätsprofessoren. Wir haben, wenn man so will, die Jungen verjagt und vertrauen den Alten, denen es gelingen muss, Italien vor dem Bankrott und damit den Euro vor dem Aus zu bewahren, nachdem Berlusconi und seine Jungen dabei versagt haben.
Das alles zeigt uns: Es geht nicht darum, die Jungen ans Ruder zu lassen, sondern um einen neuen Trend: Was wir haben, muss weg (zum Teil, weil es nicht gut ist, zum Teil, weil es nicht als gut akzeptiert wird), und Neues muss her. Das ist heute überall so in der Politik und den Institutionen. So wurde Rot-Grün in Deutschland abgewählt, obwohl Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 das einzig Richtige getan hat, und in Österreich ist der konservative Wolfgang Schüssel bestraft worden, obwohl er die Weichen richtig gestellt hat. Und zuletzt haben die Wähler/-innen in Spanien und in Griechenland die Sozialisten in die Wüste geschickt und die Konservativen an die Schalthebel geschickt, und es kann als sicher angenommen werden, dass es genau umgekehrt gekommen wäre, wenn die Konservativen in den letzten Jahren regiert hätten.
Damit aber nicht genug. In Südtirol ist in den letzten Jahren sehr viel über Basisdemokratie diskutiert worden und über Volksabstimmungen: Die da unten wollen mitbestimmen und nicht bloß zuschauen, was die da oben entscheiden. Gut so! Wirklich? Der Applaus in Italien angesichts des Umstandes, dass eine gewählte Regierung abtreten muss und Leute ans Ruder kommen, die niemand gewählt hat, ist eigentlich etwas, was einen Demokraten verwundern, wenn nicht besorgen sollte. Da haben doch glatt die verrückten Märkte den Irrtum der Mehrheit der italienischen Wähler/-innen korrigiert – und wir sind dankbar für diesen Putsch, ohne den die Staatspleite vorprogrammiert gewesen wäre, während jetzt die Hoffnung weiterlebt, dass dieser Kelch an uns vorübergehen wird.
Zusammenfassend: Wir leben derzeit in den Wechseljahren, ja, es geht beinahe eine Wechselsucht um in Europa. Verursacht wird sie weniger vom Wunsch nach Veränderung, sondern von der weit verbreiteten Unsicherheit darüber, wie es weitergehen soll, wo doch alle, die gerade am Steuer gesessen haben, ganz offensichtlich die Herrschaft über das Staatsfahrzeug verloren haben. Das Fahrzeug, das wir Staat (oder ganz allgemein öffentliche Hand) nennen, ist von Politikern und Parteien überladen worden und droht zu sinken, und wer Ballast von Bord wirft, wirft auch viele Annehmlichkeiten mit, die wir vier Jahrzehnte lang mit Schulden finanziert haben.
In einem Punkt wirkt sich unsere Wechselsucht auf jeden Fall positiv aus: Ein dynamisches Gemeinwesen zeichnet sich dadurch aus, dass nicht alles beim Alten bleibt, dass Menschen von unten nach oben kommen und andere absteigen, dass die Sonne nicht immer über den Gleichen scheint, sondern Leistung belohnt wird, nicht Beziehungen oder Zugehörigkeit zu Parteien und Lobbys. Nur eine Gesellschaft, in der alle Chancen haben, die sich einbringen, ist eine gerechte Gesellschaft – und eine lebendige.
Insofern haben Wechseljahre ihre guten Seiten.