SWZ: Herr Michaeler, Sie waren im vergangenen Jahr im Auftrag Ihres Arbeitgebers GKN immer wieder für einige Wochen in San Francisco – insgesamt waren es gute sechs Monate, die Sie im Silicon Valley verbracht haben. Was haben Sie dort gemacht?
Thomas Michaeler: Ein großer Teil meiner Arbeit bei GKN besteht darin, mich um innovative Dinge zu kümmern, u. a. Ausschau zu halten nach anderen Ansätzen. Es geht dabei um Dinge wie: Wie können wir interaktive Whiteboards und Smart Glasses mit Augmented Reality verwenden, um global besser zusammenzuarbeiten? Wie können wir Machine Learning und Artificial Intelligence nutzen, um schneller und bessere Informationen aus unseren Daten zu gewinnen? Welche Voraussetzungen sind notwendig, um in Zukunft selbstfahrende Fahrzeuge in Produktionshallen zu verwenden? Dazu kommt das große Thema „Industrie 4.0“…
… ein Bereich, in dem GKN eine tragende Rolle spielen möchte …
Ja. Wir haben auch schon wirklich gute Systeme, zum Beispiel wissen wir, was jede Maschine an jedem der mehr als 30 weltweiten Standorte von GKN Powder Metallurgy gerade produziert, wie schnell, wer an der Maschine arbeitet, ob alles nach Plan läuft, welches Teil als nächstes an dieser Maschine produziert werden soll usw. Die Fragen, die sich stellen, sind: Was können uns die Industrie 4.0 und die neuen Technologien noch alles bieten? Und: Wo können wir hingehen, um uns diesbezüglich weiterzuentwickeln? Peter Oberparleiter, der CEO unserer division, war selbst in Kalifornien und begeistert vom spirit und der Kultur dort – und war der Meinung, dass wir unsere „Weiterbildung“ im Silicon Valley angehen könnten. Was dann auch passiert ist. Insgesamt waren bisher etwa 50 Leute von verschiedenen Standorten in San Francisco und haben dort an diversen Projekten gearbeitet. Auch ich habe einige dieser Projekte begleitet und bin deshalb immer wieder für mehrere Wochen und auch Monate im Silicon Valley gewesen.
Wie schaut dieses – bezeichnen wir es als – „GKN-Powder-Metallurgy -Programm“ im Silicon Valley aus?
In San Francisco gibt es den RocketSpace, laut Eigendefinition einen TechCampus, ich würde ihn jedoch als Mischung aus Coworking Space und Business Accelerator bezeichnen. Im RocketSpace arbeiten zu jeder Zeit zwischen 150 und 200 Start-ups, vom Einpersonenunternehmen bis zu zehnköpfigen Teams; es gibt dort zudem einen corporate branch, den wir nutzen – aber auch Unternehmen wie Converse, Samsung oder Microsoft.
In diesen Bereich des RocketSpaces können sich also „traditionelle“ Unternehmen einmieten?
Genau. Diese werden von den RocketSpace-
Mitarbeitern unterstützt, damit sie sich im Silicon Valley umschauen können – nach interessanten Start-ups, potenziellen Partnern oder tollen Produkten. So werden Start-ups und etablierte Unternehmen zusammengebracht.
Wie haben Sie die Zeit im Silicon Valley erlebt?
Das Allerspannendste war, zu sehen, wie sich Leute alleine durch das Dortsein verändern. Wir waren immer zwei bis fünf „GKNler“, die gleichzeitig in San Francisco waren, gemeinsam haben wir in einem Airbnb gewohnt. Egal, wer dort war, wie lange und wie unterschiedlich schnell die Entwicklungen verliefen, aber die Gespräche am ersten Tag und jene am letzten waren völlig verschieden.
Inwiefern?
Am Anfang ging es oft darum, warum und weshalb etwas nicht funktionieren kann; am Ende ging es dann nicht nur um mögliche Lösungen und Ansätze, sondern auch um zusätzliche Features und um potenzielle weitere Anwendungsbereiche, die ursprünglich nicht angedacht waren. Man traut sich ein wenig zu träumen …
Welches Projekt, das Sie für GKN im Silicon Valley begleitet haben, hat Sie am meisten beeindruckt?
Bei einer der coolsten Sachen ging es um Additive Manufacturing, um 3-D-Drucken mit Metall. Das ist ein großes Thema für uns bei GKN Powder Metallurgy, weil wir einerseits mit dem Unternehmen Hoeganaes Metallpulver herstellen und andererseits mit Sinter Metals Präzisionsteile vor allem für die Automobilbranche – und der 3-D-Druck mit Metallen damit unser Business, zumindest theoretisch, ersetzen könnte. Noch ist der 3-D-Druck allerdings weit weg von der Geschwindigkeit, den Kosten usw., die wir bieten können.
Um was ging es bei dem Projekt konkret?
Wir waren ein Team von zwölf Leuten von verschiedenen Standorten und mit unterschiedlichen Kompetenzen: Ingenieure, Verkäufer, Computerspezialisten etc. Gemeinsam haben wir in etwa drei Monaten ein neues Business entwickelt: Über die Website instametal.online, noch ist sie in der Testphase, können Kunden ein 3-D-Modell hochladen, das Programm berechnet umgehend, ob der Gegenstand überhaupt mit Metall gedruckt werden kann, und, falls ja, wie viel es kosten würde, und dann kann er gegebenenfalls bestellt werden. Das Besondere an dem Ganzen ist, dass die Website, über welche die Bestellung läuft, mit den nötigen Maschinen verknüpft und der ganze Vorgang digitalisiert ist – ein riesiger Schritt in der Automotiveindustrie, wo das Erstellen eines Angebotes auch einige Wochen dauern kann.
Welches war das spannendste Start-up, das Sie im Silicon Valley kennengelernt haben? Oder anders gefragt: Haben Sie sich manchmal gedacht, unglaublich, dass jemand an so etwas arbeitet?
Immer wieder. Häufig ging es dabei um AI, Artificial Intelligence. Wir haben zum Beispiel Vicarious zu einem Demo Day eingeladen. Zu den Unterstützern von Vicarious zählen Leute wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg, Amazon-CEO Jeff Bezos oder Tesla-Boss Elon Musk. Zum Treffen kommt dann ein junger Typ, setzt sich hin, schaut uns an und fragt: „So, was braucht ihr denn?“
Wie war das gemeint?
Das haben auch wir gefragt – und der junge Mann meinte: „Wir können alles – ihr müsst nur sagen, was ihr braucht!“ Dann hat er mit seiner Präsentation losgelegt: Es ging um die Intelligenz verschiedener Tiere und von Menschen und wie er diese natürlichen Vorbilder in seiner Technologie verwendet. Es ist erstaunlich, was heute schon alles möglich ist, und wie wenig wir von dem Ganzen nutzen, was möglich ist. Wie weit Technik und Wissenschaft irgendwann tatsächlich gehen sollen, ist eine andere Sache …
Wie würden Sie Ihre Eindrücke vom Silicon Valley zusammenfassen?
Es hat mich immer wieder begeistert, dass es wirklich nicht viel braucht, um ein Unternehmen zu gründen und auf dieses aufmerksam zu machen. Man muss sich nur trauen und tun, und dann kann man sogar in einer simplen Küche Sachen entwickeln, die die Welt verändern. Die „Traditionalisten“ dagegen sind überzeugt, sie bräuchten Meetings, Agendas, Sitzungsprotokolle, und noch x andere Formalitäten und dann schließlich noch acht Leute, die das Beschlossene absegnen.
Aber es gibt doch auch Unterschiede in den Unternehmensstrukturen: GKN mit Zehntausenden Mitarbeitern rund um den Globus beschreitet einen anderen Weg bei der Entscheidungsfindung als eine Firma mit 20 Leuten, die alle im selben Haus sitzen, und in der die Hierarchien ganz andere sind als in einem traditionell gewachsenen Unternehmen …
Absolut. Es gibt ganz viele Gründe, warum so ein Silicon-Valley-Unternehmen anders arbeiten kann, als „traditionell gewachsene“ Firmen es tun. Aber es geht darum, dass man sich einige Kleinigkeiten abschaut, um auch weiterhin mithalten zu können. Denn durch Technologie und zahlreiche neue Möglichkeiten ist die Entwicklung am Markt, in der Wirtschaft viel, viel schneller, und viel direkter geworden. In vielen Firmen ist das noch nicht angekommen.
Wie war es für Sie, nach den Aufenthalten im Silicon Valley wieder nach Südtirol zurückzukehren? Immer wieder ein kleiner Kulturschock?
Ein wenig schon. Im Silicon Valley leben und arbeiten die Menschen nach dem Motto: Go big or go home, je größer, desto besser. Entscheidungen zu treffen, ist demnach nur wichtig, wenn es um etwas Weltbewegendes geht – um etwas, das das Leben möglichst vieler Menschen verändert. Alles, was kleiner als weltbewegend ist, wird einfach getan, ohne sich lange den Kopf zu zerbrechen. Wenn man dann aus der Silicon-Valley-Welt zurück in die „andere Welt“ kommt, dann geht es –
in Silicon-Valley-Dimensionen – oft nur um Kleinkram.
Haben Sie auch Leute kennengelernt, die desillusioniert waren davon, dass es ihre Idee nicht geschafft hat, die Welt zu verändern?
Failure ist im Silicon Valley ja was Positives: Wenn jemand drei Firmen in den Sand gesetzt hat, dann sagt er dir das voller Stolz, – weil er es probiert hat und aus dem Scheitern gelernt hat, und meistens hat sich das Netzwerk, das im Valley so wichtig ist, trotz unternehmerischen Misserfolgs erweitert. Failure wird auch insofern positiv interpretiert, als es nicht unbedingt am Start-upper gelegen haben muss, dass seine Idee nicht groß wurde, sondern daran, dass die Zeit nicht reif war oder der Markt oder was auch immer … Die Leute, die sich im Silicon Valley präsentieren, sind so drauf. Es gibt sicher auch solche, die frustriert sind oder aufgegeben haben, aber die gehen nicht auf die einschlägigen Events.
Was könnte Südtirol vom Silicon Valley lernen?
Ich glaube, dass es generell wichtig ist, dass sich Südtirol, die Südtiroler und auch Südtiroler Unternehmen internationalen Trends nicht verschließen. Denn wenn wir wollen, dass die Jungen nach dem Studium im Ausland wieder zum Arbeiten zurückkommen und auch hier bleiben, dann muss man sich in dieser Welt – die immer schneller wird –
mitbewegen. Dazu müssen auch bestimmte Dinge, die bisher gut funktioniert haben, umgekrempelt werden. Es reicht nicht mehr, abzuwarten und zu schauen, was auf dem Markt funktioniert, und dann das Beste für sich auszuwählen, denn dann ist man schon hinterher – deshalb finde ich es gut, wenn man sich von den Vorreitern etwas abschaut. Nicht alles, was im Silicon Valley passiert, ist gut, aber man sollte wissen, was es gibt und was möglich ist.
Interview: Simone Treibenreif