Wengen – Anna Miribung traf ihre Studienwahl nicht mit Hilfe von Berufsberatungen oder Universitätsbroschüren. „Angefangen hat die Geschichte mit dem Geigenbau lustigerweise auf dem Fußballplatz“, erinnert sich Miribung. „Ein Geigenbauer aus Rumänien ist der Arbeit wegen nach Südtirol gekommen und hat mir während des Fußballspielens im Dorf von seinem Beruf erzählt. Das hat mich sofort fasziniert, weshalb ich noch während meiner Oberschulzeit ein Praktikum in seiner Werkstatt absolviert habe. Von da an wusste ich, was ich später machen will.“ Diese Erkenntnis kam kurz vor ihrer Matura an der Kunstschule in Gröden.
Früh übt sich
Bereits von Kindesbeinen an hat der jungen Gadertalerin die handwerkliche Arbeit Freude bereitet, sowohl beim Schnitzen im Wald als auch beim Malen zahlreicher Gemälde, von denen einige an den Wänden ihres Ateliers hängen.
Bevor sie sich den anspruchsvollen Aufnahmekriterien der Geigenbauschule in Mirecourt stellte, fuhr sie in sechs Monaten mit dem Fahrrad nach Marokko – allein.
Bevor sie sich den anspruchsvollen Aufnahmekriterien der Geigenbauschule in Mirecourt – dem französischen Mekka des Geigenbaus – stellte, unternahm sie eine sechsmonatige Fahrradreise und landete schließlich in Marokko. Den gesamten Zeitraum über war sie allein unterwegs. Das, so sagt sie, habe sie stark geprägt: „Ich habe gelernt, mir selbst zu vertrauen, und habe mich als Mensch noch einmal ganz anders kennengelernt. Natürlich gab es hin und wieder schlechte Tage, aber jeder einzelne von ihnen hat zu meiner persönlichen Weiterentwicklung beigetragen.“
Erste Schritte in Frankreich

Nach ihrer Rückkehr ins Heimatdorf Wengen wurde es ernst. Im Rahmen der strengen Aufnahmeprüfungen der Geigenbauschule musste Miribung zahlreiche Zeichnungen, Fotos und Gemälde versenden, um ihr künstlerisch-handwerkliches Können unter Beweis zu stellen. „Am schwierigsten fand ich nicht die Aufgabenstellungen, sondern die Sprache“, lacht sie. Erst im Anschluss lud man sie zu einem persönlichen Gespräch nach Mirecourt ein. Miribung schaffte die Aufnahme. In Frankreich lernte die junge Frau viele praktische Feinheiten und baute ihre allererste Geige. „Ein Moment, den ich nie vergessen werde. Es war wunderschön, als ein Violinist auf meiner Geige spielte, immerhin ist das eigentliche Endresultat der Klang. Zu wissen, dass ich dieses Instrument mit meinen eigenen Händen gefertigt hatte, gab mir ein Gefühl von Zufriedenheit“, erinnert sie sich. Jene Geige befindet sich in Miribungs Atelier und hat für sie einen ganz besonderen Wert. Verkaufen werde sie das Instrument nie.
Auf das Jahr in Frankreich folgte ein weiteres in Parma, wo sie von den Besten des Fachs lernte. Von Parma ging es direkt weiter nach Cremona. Im Atelier des erfolgreichen Geigenbauers Vincenzo Bissolotti sammelte sie wertvolle praktische Erfahrungen und lernte den sogenannten metodo classico cremonese kennen, den die berühmten Geigenbauerfamilien des 18. Jahrhunderts – etwa Stradivari, Guarnieri und Amati – geprägt haben.
Zurück in die Heimat
Wieder zu Hause in Wengen angekommen, war Miribung voller Tatendrang, benötigte für die Umsetzung ihrer Pläne jedoch ein eigenes Atelier. Dieses fand sie in einem roten Baucontainer, dessen Vorderseite ausgeschnitten und durch Fenster und eine Tür ersetzt wurde – eine Idee ihres Vaters. Laut der jungen Frau ist die derzeitige Werkstatt nur eine vorübergehende Lösung: „Ich würde meine Geigen in Zukunft gerne in meiner eigenen kleinen Holzhütte bauen. Mal schauen, was daraus wird“, erklärt sie.
„Der Bau einer einzigen Geige nach dem metodo classico cremonese beansprucht in etwa vier Monate. Im Geigenbau darf man auf keinen Fall ungeduldig sein, denn wer schnell arbeitet, büßt bei der Qualität des Instruments ein.“
Miribung ist fest entschlossen, ihre berufliche Zukunft dem Geigenbau zu widmen, ihrer großen Leidenschaft. Weil sie ihre Geigenbaukenntnisse ständig perfektionieren möchte, tauscht sich Miribung regelmäßig mit Südtiroler Musiker:innen aus, die ihre Geigen ausprobieren und im Anschluss hilfreiches Feedback liefern. Dass sie ihre Instrumente irgendwann einmal in alle Welt verkaufen wird, bezweifelt sie, denn es ist gerade der persönliche Austausch mit den Musiker:innen, den sie schätzt: „So kann ich mein Instrument in seiner Entwicklung verfolgen und, falls nötig, kleine Einstellungen vornehmen.“ Miribung räumt ein: „Mein Talent liegt im Handwerk und der Kunst, weniger im Geschäftlichen.“
Fingerspitzengefühl und Herzblut
In jeder einzelnen Geige stecken monatelange Arbeit und Herzblut. Das unterscheidet laut Miribung handwerklich gefertigte Unikate von Industriemodellen, die beispielsweise in China angefertigt werden. „Der Bau einer einzigen Geige nach dem metodo classico cremonese beansprucht in etwa vier Monate. Im Geigenbau darf man auf keinen Fall ungeduldig sein, denn wer schnell arbeitet, büßt bei der Qualität des Instruments ein“, so Miribung. Das Holz für ihre Geigen sucht sie in den nahegelegenen Wäldern selbst aus. Nachdem sie infrage kommende Hölzer auf Herz und Nieren – und Klangfarbe – geprüft hat, kauft sie die besten Stücke dem jeweiligen Grundstücksbesitzer ab und bringt sie zum Trocknen ins Atelier. Dazu erklärt sie: „Die Faserung des Holzes ist eines der wichtigsten Auswahlkriterien. Die Faserung muss so linear wie möglich verlaufen, die Jahresringe müssen einen möglichst homogenen Durchmesser aufweisen, und auch die Klangleitung soll stimmen. Die heimischen Fichten weisen meistens einen Drehwuchs auf, weshalb die Faserung ‚schief‘ ist. Diese Hölzer sind für den Geigenbau ungeeignet, und auch jene mit vielen Ästen können nicht verwendet werden. Hin und wieder finde ich aber doch den perfekten Stamm.“
Einige Teile der Geige, wie beispielsweise die Kinnhalterung, werden üblicherweise aus Tropenhölzern gefertigt, da diese aufgrund ihrer Härte besonders geeignet sind. Die Handwerkerin beweist hier ihren Ideenreichtum und experimentiert mit einheimischen Holzarten, die sie in Zukunft gerne als Ersatz für die importierten Hölzer verwenden würde. Zuletzt habe sie für manche Stücke Wacholder oder Steinweichsel ausprobiert.
Zeit ist Geld
Qualität hat bekanntlich ihren Preis – ebenso im Metier des Geigenbaus. Was kostet also eine handwerklich gefertigte Geige? So gern Miribung über den Geigenbau spricht, so ungern spricht sie über das Wirtschaftliche, „weil ich es nicht so wichtig finde“. Nur so viel: Studierende würden ihre ersten Modelle um 3.000 bis 4.000 Euro verkaufen, was gemessen am Aufwand natürlich viel zu wenig ist. In Ausnahmefällen werden für Geigen bis zu 60.000 Euro bezahlt. Der Durchschnittspreis für eine Geige liege zwischen 10.000 und 15.000 Euro. „Preise sind relativ“, meint Miribung.
Vom Geigenbau leben kann die junge Gadertalerin noch nicht, weshalb sie regelmäßig im Fahrradverleih des Vaters aushilft. Dennoch ist sie voller Überzeugung, dieses Ziel irgendwann zu erreichen. Was die Zukunft betrifft, würde sie sich gerne in der Anfertigung von Cellos versuchen: „Mein Hauptprodukt wird aber auf jeden Fall die Geige bleiben“, sagt sie. Bis dahin brauche es zwar noch Zeit, in Geduld ist Anna Miribung jedoch geübt.
Karin Inama
DIE AUTORIN studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Wien und absolvierte während der Sommermonate ein Praktikum in der SWZ.
Interview
Probieren über Studieren
SWZ: Wie haben die Menschen in Ihrem Umfeld reagiert, als Sie ihnen vom Wunsch erzählten, Geigenbauerin zu werden?
Anna Miribung: Meine Eltern wussten schon immer, dass ich mich für Kunst und Handwerk interessierte, was der Geigenbau schlussendlich vereint. Meine Mutter war anfangs etwas skeptisch, weil sie der Meinung war, man müsse etwas studieren, womit man später seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Der Beruf der Geigenbauerin gehört sicher nicht dazu, es sei denn, man hat viel Glück, vor allem angesichts der Tatsache, dass es allein in Cremona über 180 offizielle und fast gleich viele inoffizielle Geigenbauer:innen gibt.
Im Geigenbau sind Präzision und Geduld das Um und Auf. Gibt es Situationen, in denen selbst Ihnen einmal der Geduldsfaden reißt?
Würde ich keine Geduld haben, wäre das Problem, dass ich noch länger an einer Geige arbeiten müsste (lacht). Bestimmte Schritte erfordern volle Konzentration, denn die kleinste Unaufmerksamkeit führt unweigerlich zu Fehlern, die man nur schwer korrigieren kann. Ich muss mich manchmal schon zusammenreißen, um genau und präzise zu arbeiten, dafür komme ich aber umso schneller ans Ziel.
Wie viele Stunden am Tag verbringen Sie durchschnittlich im Atelier?
Es gibt Tage, an denen ich nur fünf Stunden arbeite und an anderen dafür zehn. In Zukunft will ich versuchen, meinen eigenen Rhythmus zu finden – vielleicht so um die acht Stunden pro Tag.
Haben Sie mittlerweile ein Gefühl dafür entwickelt, welchen Klang eine Geige haben sollte?
Lustigerweise habe ich viele Instrumente ausprobiert, aber nie richtig Geige gespielt. Ich habe zwar ein paar Sachen gelernt, aber auf jeden Fall nicht genug (lacht). Ich muss sicher noch daran arbeiten, trotzdem würde ich behaupten, mich zumindest ein bisschen damit auszukennen. Außerdem höre ich mir gerne die Meinungen und Anregungen der Violinist:innen an, die meine Geigen ausprobieren. Das Interessante an einer Geige ist, dass ihr Klang umso schöner wird, je öfter sie gespielt wird – vorausgesetzt, sie ist gut gebaut. Das Spielen versetzt alle Teile in Vibration, sodass das zuvor starre Holz bewegt wird und der Klang quasi mit jedem Mal freier wird.
Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung in Verbindung mit Ihrer Selbstständigkeit?
Wahrscheinlich die Erfahrung, die ich noch sammeln muss und der Kontakt zu den Kund:innen, den ich bisher noch zu wenig hatte. Violinist:innen sind eine ganz besondere Art von Kundschaft, weil sie bereits fixe Ideen und Erwartungen an eine Geige haben. Ich habe zwar das Handwerk gelernt, dafür aber weniger Gespür, was den Verkauf und das Geschäftliche betrifft.
Mit dem Handwerk verbinden viele heutzutage noch ein männliches Metier. Wie sieht es in der Welt des Geigenbaus aus?
Im Geigenbau war das früher der Fall, mittlerweile ist die Geschlechterverteilung im Beruf recht ausgeglichen. Meine Klasse in Mirecourt bestand zum Beispiel zur Hälfte aus Männern und zur anderen Hälfte aus Frauen.