Bozen – So erfolgreich sein wie Steve Jobs, gütig wie Mutter Teresa oder mutig wie Pippi Langstrumpf, so gut führen können wie die eigene Chefin, so gut kochen wie der Papa oder so einfühlsam sein wie die beste Freundin: Vorbilder können vieles sein, jedenfalls Personen, zu denen man aufschaut, die man bewundert und denen man nacheifern möchte. Kinder orientieren sich meist von Natur aus an ihren Eltern. Im Laufe unserer Entwicklung reflektieren wir dann immer stärker, was uns erstrebenswert erscheint.
Typisch für Vorbilder ist, dass sie uns zu Handlungen motivieren und dass wir uns an ihren Fähigkeiten sowie Haltungen orientieren. In einem Experiment der Psychologin Michelle van Dellen hatten Freiwillige die Wahl zwischen einem Schokokeks und einer Karotte. Das Ergebnis: Wenn ein Vordermann zur Karotte griff, entschieden sie sich überwiegend auch fürs Gemüse.
Vorbilder können also durchaus unser Verhalten beeinflussen. An dieser Stelle wird auch der Unterschied zu anderen Figuren deutlich. Idole zum Beispiel werden eher schwärmerisch und übertrieben verehrt, wobei die Verehrten unerreichbar sind. Helden wiederum sind Menschen, die sich mit Unerschrockenheit und Mut einer schweren Aufgabe stellen und für bestimmte Werte stehen.
Wie perfekt müssen Vorbilder sein?
Das Experiment zeigt auch: Es gibt Vorbilder auf der Mikroebene, denen wir nachzueifern versuchen („Ich möchte so gute Präsentationen halten wie meine Chefin). Auf der anderen Seite stehen jene der Makroebene nach dem Prinzip: „Ich möchte unternehmerisch so erfolgreich sein wie Warren Buffet.“
Neue Vorbilder entstehen hingegen durch die sozialen Medien. Sie kombinieren in einer Hybridform Prominenz mit gefühlter Nähe.
Gemeinsam haben sie wohl alle, dass sie nicht perfekt sind, denn das eine Komplettpaket aus Moral und Talent gibt es nicht. Eine Studie der Psychologen Lauren C. Howe und Benoit Minin zeigt sogar, dass es eher kontraproduktiv wirkt, wenn Vorbilder allzu fehlerfrei rüberkommen. Wenn Ärztinnen und Ärzte – entsprechend ihrer Vorbildfunktion – ihre eigene Fitness überbetonen, verschrecken sie auf diese Weise ihre Patientinnen und Patienten, vor allem jene mit Übergewicht. Diese befürchten dann nämlich, gering geschätzt zu werden. Wir fühlen uns Vorbildern also näher, wenn sie auch über Schwächen und Schwierigkeiten sprechen. Gerade in einer Welt voller Krisen können uns solche Vorbilder Orientierung und Sicherheit schenken, sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext (siehe dazu das Interview mit Wolfgang Mayrhofer auf dieser Seite).
Was unsere Vorbilder über uns verraten
Welche Personen uns schlussendlich begeistern, hängt von mehreren Faktoren ab: In welcher Lebensphase stehen wir gerade? Auf welche Ziele arbeiten wir hin? Welche sind unsere Träume und Wünsche? Unsere Vorbilder verraten somit, wohin wir uns entwickeln möchten, welche Eigenschaften und Haltungen uns ansprechen. Dabei haben wir ein bestimmtes Suchbild im Kopf, denn damit jemand als Identifikationsfigur in Betracht kommt, muss uns die betreffende Person ähneln. Von unseren Vorbildern können wir somit Rückschlüsse auf uns selbst ziehen.
Doch damit nicht genug. Dank ihnen wird es uns gar möglich, uns selbst zu übertreffen. Der russische Psychotherapeut Vladimir Raikov versetzte Probandinnen und Probanden in Hypnose und gab ihnen vor, ein berühmtes Genie zu sein, etwa Albert Einstein. Bei anschließend gestellten Aufgaben entwickelten sie besonders kreative Lösungswege. Dieser sogenannte Raikov-Effekt ist heute eine bekannte Motivationsmethode, die die eigenen Stärken fördern soll. Das Prinzip ist ganz einfach. Sich in ein Vorbild hineinversetzen und fragen: Was hätte diese Person an meiner Stelle gemacht?
Weibliche Vorbilder für Mädchen und Frauen besonders wichtig
Besonders wichtig scheinen Vorbilder für Frauen zu sein, so der Tenor verschiedener Studien. Beispiel Berufswelt: Aufgrund mangelnder Identifikationsfiguren können sich selbst gut qualifizierte Frauen oft nicht vorstellen, dass eine Topposition für sie überhaupt infrage kommt. Bereits bei der Studienwahl kommt zum Tragen, ob in einem Fach weibliche Vorbilder vorhanden sind oder nicht, das gilt vor allem für den Mint-Bereich.
Unabhängig vom Geschlecht gilt für die Vorbildsuche: realistisch bleiben. Vorbilder inspirieren zwar und offenbaren Möglichkeiten, aber sie zeigen nicht, was wir selbst tatsächlich umsetzen und erreichen können. Die eigenen Grenzen zu kennen und zu wissen, welche Ziele zum eigenen Leben passen, ist deshalb unabdingbar.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „So will ich auch sein!“.
Interview
Wie der Nordstern
SWZ: Als „menschliches Urbedürfnis“ hat die Autorin Margarete Mitscherlich die Suche nach Vorbildern einmal in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit beschrieben. Inwiefern gilt dieses Bedürfnis im beruflichen Kontext?
Wolfgang Mayrhofer*: Dort ist es nicht anders. Wir fragen zum Beispiel unsere Studierenden regelmäßig kurz vor ihrem Abschluss, wer denn ihre Vorbilder sind. Das Interessante ist: Sie nennen häufig nicht die Lenkerinnen und Lenker der ganz großen Organisationen. Möglicherweise weil die so weit weg sind in jeglicher Hinsicht. Vielmehr wählen sie Menschen aus dem persönlichen Umfeld, Eltern, Onkel, Tanten, Bekannte usw.
Wieso brauchen wir Vorbilder?
Wir sind ständig auf der Suche nach Orientierung und wollen all das, was auf uns einprasselt, irgendwie einordnen. Was wie läuft, ist eine der Grundfragen unseres Lebens, da ist der Beruf nicht ausgeschlossen. Wenn wir Personen sehen, die ihre jeweiligen Aufgaben gut handhaben, picken wir uns diese Aspekte heraus und denken uns: So will ich das auch machen.
Sie haben bereits erwähnt, dass häufig Personen aus dem Umfeld als Vorbilder genannt werden. Bieten sich Lichtfiguren wie Steve Jobs weniger an?
Ein Vorbild muss in irgendeiner Form anschlussfähig sein. Wir wissen vom Modelllernen nach Bandura (Sozialkognitive Lerntheorie nach Albert Bandura; Anm. d. Red.), dass es eine Art Verbindung braucht. Als Normalsterblicher, selbst als Leiter eines mittelgroßen Unternehmens, findet man einzelne Eigenschaften eines Steve Jobs oder Bill Gates vielleicht faszinierend, aber effektiv Vorbilder sind dann ehemalige Vorgesetzte, Mentorinnen oder Ähnliches.
Sollte, wer selbst noch kein Vorbild hat, sich eines suchen? Oder anders formuliert: Sind die positiven Aspekte derart ausgeprägt, dass es sich lohnt?I
Ich bin skeptisch, wenn Sie von einem Vorbild im Singular sprechen, denn wir orientieren uns je nach Bereich an unterschiedlichen Menschen. In Hinblick auf Mitarbeiterführung kann das X sein, in Hinblick auf strategisches Denken Y. Daraus können wir dann schon eine Idealgestalt kreieren, die sich aus Elementen von unterschiedlichen Personen speist. Aber es ist wohl selten nur eine einzige reelle Person, die uns als Vorbild dienen kann. Wer hingegen sagt, er oder sie hat gar kein Vorbild, muss entweder derart von sich überzeugt sein, dass ich mir denken würde: Das ist eher gefährlich. Oder er oder sie kennt niemanden, der nacheifernswert erscheint. Dann würde ich sagen: Geh schleunigst raus und lerne neue Leute kennen.
Kann die Frage nach Vorbildern in einem Vorstellungsgespräch aufschlussreich sein oder zählt sie eher zu denen, die man getrost streichen kann?
Ich vertrete da insgesamt eine recht extreme Position, denn in meinen Augen gibt es keine Fragen, die nicht irgendeine kleine Information liefern würde, egal wie sehr sich ein Kandidat oder eine Kandidatin vorbereitet hat. Die Frage nach Vorbildern finde ich eine der intelligenteren. Ob wahrheitsgetreu geantwortet wird, weiß natürlich niemand. Aber allein die Tatsache, dass er oder sie diese Person oder Personen nennt, sagt etwas aus. Das finde ich schon interessant, denn gerade im Vorstellungsgespräch und bei der Personalauswahl geht es ja darum, die grundsätzlichen Leitdifferenzen von Menschen herauszufinden.
Das bedeutet?
Welche Maßstäbe legen wir grundsätzlich an die Welt an, um aus der Welt Sinn zu gewinnen? Das sagt etwas über unsere Werte aus, über unsere Ziele, darüber, was uns in unterschiedlichen Situationen wichtig ist. Sie erfahren weniger über Fachliches, sondern können verstehen, welcher Typ Mensch Ihnen gegenübersitzt und wie er in gewissen Grundfragen denkt.
Es heißt, Vorbilder haben die Wirkung, uns zu motivieren. Inwiefern trifft das zu?
Das kommt darauf an, was wir unter Motivation verstehen, da müssten wir aber schon den sehr weiten Motivationsbegriff bemühen. Ich sehe Vorbilder eher als Nordsterne, die uns eine grobe Richtung weisen, in die wir uns dann bewegen. Es ist seltener so, dass ein Vorbild unmittelbar energetisierende Wirkung hat. Aber: An den großen Kreuzungen des Lebens kommen Vorbilder durchaus zum Tragen, indem wir uns fragen, wie er oder sie an diesem Punkt entschieden hat. Manchmal sind die Vorbilder ja in unserem Leben, zum Beispiel als Mentoren, da kann man dann sogar anrufen und sich treffen. Zusammengefasst sind Vorbilder also motivierend, ja, aber im Sinne von grob richtungsweisend wie eben der Nordstern.
Welche weiteren Wirkungen haben Vorbilder?
Sie erlauben ein latent mitlaufendes Benchmarking. Drei oder vier Vorbilder, die richtig internalisiert sind, bilden ein Stück weit einen Vergleichsmaßstab und sind dadurch verdinglichte, inkorporierte, fleischgewordene Wert-Ziel-Kombinationen. Das finde ich wertvoll und wichtig.
Wie wichtig ist es, in Unternehmen positive Vorbilder aufzubauen?
Das ist ganz zentral. Nicht nur „talk the talk”, sondern „walk the walk”. Ein Unternehmen, das bestimmte Dinge kommuniziert, aber niemanden hat, der diese zumindest in Ansätzen glaubhaft verkörpert, hat ein Problem. Es braucht Personen, die Werte und Ähnliches leben und Fleisch werden lassen – und sie müssen von der Organisation dafür belohnt werden, befördert werden, wichtige Aufgaben anvertraut bekommen. Ansonsten bleiben die schönen Slogans nur Theorie. Die Embassador-Idee kommt genau daher.
Was kann jede einzelne Führungskraft machen, um das umzusetzen?
Führen durch Vorbild ist im Grunde etwas ganz Fades, weil Bekanntes, aber zugleich etwas sehr Starkes. Du bist im Fokus deiner Leute, die dich tagtäglich erleben in der intrapersonalen Führung. Das eigene Verhalten ist einer der größten Hebel, Menschen zu beeinflussen.
Haben Sie weitere Tipps für den Unternehmenskontext?
Letztens ist mir in einem Projekt mit einer großen österreichischen Bank etwas aufgefallen. Jedes Unternehmen und jede Organisation sollte sich eine Frage stellen: Bekommen diejenigen, die bei uns bestimmte Aspekte dessen vorbildlich darstellen, was organisational wünschenswert ist, die Bühne dafür? Oder anders: Sind sie innerhalb der Organisation bekannt? Der Mitarbeitende des Monats ist abgedroschen, aber so etwas in diese Richtung sollte man sich überlegen. Wer sind die Personen, die bei uns verschiedene Aspekte vorleben, und wie können wir sie so ins Rampenlicht stellen, dass es zur Unternehmensform passt?
Gilt das auch für kleine Unternehmen?
Da reicht dann manchmal, dass man am Mittagstisch zusammensitzt und die Führungskraft ein Lob vor der Gruppe an ein Teammitglied ausspricht: „Super, wie du das neulich gemacht hast.“ Der Fokus der Gruppe ist sofort auf der einen Person, das Ganze kostet nichts und dauert 15 Sekunden. Botschaft angekommen.
* Wolfgang Mayrhofer ist Leiter des Interdisziplinären Instituts für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er war zudem erfolgreicher Regattasegler und gewann 1980 die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Moskau.