Bozen/Rom – Nirgendwo in Europa kostet Treibstoff so viel wie in Italien. Allein seit Herbst ist der Literpreis sowohl für Diesel als auch für Benzin um gut 20 Cent auf über 1,70 Euro geschnellt. Inzwischen bleiben Südtirolurlauber bereits vereinzelt an den Tankstellen stehen und fotografieren die Preisanzeigen – der Spritpreis ist zur (traurigen) Attraktion geworden. Südtiroler, die nahe an der österreichischen Grenze wohnen, tanken trotz hiesiger Benzinpreisreduzierung für Grenzgemeinden nach Möglichkeit jenseits des Brenners, wo etwa 30 Cent weniger zu zahlen sind. Bei einer 50-Liter-Volltankung beträgt die Einsparung immerhin 15 Euro. Lkws lassen sich ebenfalls seltener an Südtirols Zapfsäulen blicken, berichten Tankstellenbetreiber – offensichtlich wird bewusst jenseits der Grenze vollgetankt.
Der Blick auf die Spritpreisentwicklung der letzten Jahre lässt jeden Autofahrer erschaudern. Eine 50-Liter-Tankfüllung Diesel kostete im Sommer 2004 47 Euro, inzwischen werden 85 Euro fällig. Wer mit seinem Fahrzeug pro Jahr 20.000 Kilometer zurücklegt und einen Diesel-Verbrauch von sieben Litern pro 100 Kilometer aufweist, musste 2004 Jahreskosten von etwa 1300 Euro tragen, heute hingegen sind es 2400 Euro.
Den meisten Autofahrern ist noch in guter Erinnerung, wie ein Liter Diesel weniger als einen Euro kostete. Das war 2004, und damals wirkte die nahende Ein-Euro-Marke irgendwie furchteinflößend. Im Dezember 2004 kostete Diesel dann erstmals mehr als einen Euro – ein beinahe historisches Ereignis. Angetrieben von einer unaufhaltsamen Verteuerung des Erdöls, setzten die Spritpreise in der Folge zu einem Höhenflug an, der bis zum Sommer 2008 anhielt. Die gewohnte Schere zwischen Benzin- und Dieselpreis schloss sich komplett, und erst knapp unter 1,60 Euro pro Liter (Benzin und Diesel) stoppte die Preis-Rallye. Der Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 und die folgende Finanz- und Wirtschaftskrise ließen international nicht nur Banken, Unternehmen und Arbeitsplätze purzeln, sondern auch die Spritpreise. Im Frühjahr 2009, nur ein Dreivierteljahr nach den Rekordständen, war in Italien für den Liter Diesel plötzlich wieder die Ein-Euro-Marke in Sichtweite: Unter 1,10 Euro kostete der Liter Diesel, etwa 1,20 der Liter Benzin. Inzwischen ist wieder alles anders: Die Rekordwerte von 2008 wurden erreicht und sogar deutlich übertroffen. Selbst die Zwei-Euro-Schallmauer scheint nicht mehr gänzlich unrealistisch, weder für Diesel, noch für Benzin.
Da ist es ein schwacher Trost, dass Treibstoff nicht nur in Italien teurer geworden ist, sondern auch anderswo. Im benachbarten Österreich etwa kostete Diesel im Frühjahr 2009 durchschnittlich zwischen 0,90 und 0,93 Euro, Benzin zwischen 0,95 und 0,95 Euro – drei Jahre später sind es um die 1,40 Euro.
Doch wer trägt die Hauptschuld dafür, dass sich Treibstoff in den letzten drei Jahren wieder dermaßen verteuern konnte? Wie viel Schuld trägt die Preisentwicklung des Rohstoffs Erdöl, wie viel Schuld die Gier des italienischen Fiskus? Der reine Erzeugerpreis, also die steuerbereinigte Spritpreiskomponente, hat letzthin deutlich zugelegt: Diesel ohne Steuern kostet derzeit zirka 0,84 Euro, Benzin knapp 0,72 Euro, während es vor drei Jahren mitten in der weltweiten Krise schlappe 0,47 bzw. 0,44 Euro waren. Aber auch der Fiskus hält sich schadlos, und wie!! Grob gesagt darf die Spritpreisexplosion der letzten drei Jahre je zur Hälfte der Erzeugerkomponente und der Steuerkomponente zugeschrieben werden: Beim Diesel stieg der Erzeugerpreis um 0,37 Euro und die Steuerbelastung um 0,29 Euro, beim Benzin waren es 0,28 bzw. 0,26 Euro.
Der italienische Staat verdient also ordentlich mit. Wie ordentlich, zeigt ein Vergleich mit den Höchstpreisen vom Sommer 2008. Die reine Erzeugerpreiskomponente lag damals sowohl beim Diesel als auch beim Benzin sogar höher als heute – trotzdem ist der Sprit seit damals beträchtlich teurer geworden. Daraus folgt: Die gesamte Preiserhöhung seit Sommer 2008 geht auf das Konto des Fiskus. Würde der Staat an den Tankstellen gleich viel Steuern abschöpfen wie 2008, betrüge der Spritpreis 1,52 bis 1,54 Euro und nicht 1,73 Euro!
So aber freut sich der Staat über beachtliche Zusatzeinnahmen. Um beim Vergleich mit Sommer 2008 zu bleiben, schöpft der Fiskus heute etwa 21 Cent mehr pro Liter Diesel ab und 20 Cent mehr pro Liter Benzin. Weil laut Ministerium für die wirtschaftliche Entwicklung pro Jahr in Italien rund 25 Milliarden (!) Liter Diesel und 10 Milliarden (!) Liter Benzin verfahren werden, bleiben dem italienischen Staat unterm Strich steuerliche Mehreinnahmen von über sieben Milliarden Euro – eine versteckte „manovra“ sozusagen.
An den Zapfsäulen melkt Vater Staat die Bürger, und er melkt sie mit Blick auf die klammen Staatsfinanzen immer unverschämter, weil es dort am einfachsten ist. Das weiß auch ein „Techniker“ wie Mario Monti, weshalb er in seine allererste große Sanierungsmaßnahme – benannt als „Sparpaket“, real aber vielmehr ein Steuerpaket – eine weitere sogenannte Akzise packte: 11,2 Cent beim Diesel, 8,2 Cent beim Benzin. Akzisen sind nichts anderes als Steuern für verschiedene Finanzierungszwecke, wobei auf jedem Liter Diesel inzwischen Akzisen im Gesamtwert von 59 Cent lasten und auf jedem Liter Benzin Akzisen von sogar 72 Cent. Unter anderem zahlen Italiens Autofahrer nach wie vor eine Akzise von 1,90 Lire (0,1 Cent) für den Abessinienkrieg 1935/36, dazu Akzisen für die Suezkrise 1956, den Libanonkrieg 1983, die Bosnienmission 1996 sowie für den Wiederaufbau nach längst vergessenen Erdbeben und Überschwemmungen. Die Akzisen werden traditionsgemäß eingeführt und nicht mehr wieder abgeschafft. Die jüngste Akzise, jene der Regierung Monti, soll zur „Rettung Italiens“ beitragen.
Weil auf die Akzisen auch noch die Mehrwertsteuer berechnet wird (eine Steuer auf die Steuer), wächst die Belastung weiter. Im Grunde darf sich der Fiskus gleich doppelt freuen, wenn die Regierung eine Akzise einführt, genauso wie er sich freut, wenn der Erzeugerpreis steigt und folglich ohne eigenes Zutun das Mehrwertsteueraufkommen wächst. Apropos Mehrwertsteuer: Im Vergleich zu den erwähnten paradiesischen Zeiten von 2004 knöpft Vater Staat den Autofahrern heute für jeden Liter Diesel um sage und schreibe 92 Prozent mehr Mehrwertsteuer ab, für jeden Liter Benzin immerhin 58 Prozent. Dabei ist der Mehrwertsteuersatz seither nur um einen schlappen Prozentpunkt von 20 auf 21 Prozent gestiegen – „Il trucco c’è, ma non si vede“, pflegt in solchen Fällen der Italiener zu sagen.
Allein 2011 ist der Dieselpreis in Italien um 26 Prozent gestiegen, rechnet das „Centro Studi Promotor GL events“ vor. Während aber der reine Erzeugerpreis „nur“ um 15,4 Prozent zugelegt hat, ist die Steuerkomponente um 37,1 Prozent gewachsen. Benzin verteuerte sich 2011 um geringfügig bescheidenere 16,7 Prozent, aber auch hier geht der größte Teil auf das Konto der Steuerkomponente: plus 23,8 Prozent gegenüber plus 7,3 Prozent des reinen Erzeugerpreises. Laut Untersuchung haben die Italiener 2011 unglaubliche 64 Milliarden Euro für Treibstoff ausgegeben. Davon sind 32,5 Milliarden nur Steuern. Der Fiskus durfte sich 2011 über ein Plus von 2,7 Milliarden freuen. Auch nicht schlecht! Derweil steigen die Spritpreise zu Beginn dieses Jahres weiter – und Mario Monti, selbst Finanzminister, darf sich freuen.