München/Bozen – Die Studie, welche das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut ifo vergangene Woche veröffentlicht hat, ist durchaus auch für Südtirol von Bedeutung. Die Erkenntnis: Berufsspezifische Ausbildungen sind für den Arbeitsmarkt keinesfalls jene Selbstläufer, als die sie gerne dargestellt werden – und dies trotz der Tatsache, dass die Jugendarbeitslosigkeit in all jenen Ländern am geringsten ausfällt, in denen die Berufsbildung und vor allem die duale Lehrlingsausbildung fest im Schulsystem verankert sind und eine gleichberechtigte Schiene neben den allgemeinbildenden Schulen bilden. Südtirol und Italien sind das beste Beispiel: Während hierzulande die Jugendarbeitslosigkeit (wie ganz allgemein die Arbeitslosigkeit) eine verschwindende Rolle spielt, stöhnt Italien unter einer erschreckenden Jugendarbeitslosenquote. Italien hat keine Tradition in der dualen Lehrlingsausbildung und unternimmt erst seit Kurzem erste zaghafte Versuche; Südtirol hingegen verfügt in Anlehnung an das deutschsprachige Ausland über eine jahrzehntelange Lehrlingstradition. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich italienische Regierungsvertreter in jüngster Vergangenheit wiederholt über das Südtiroler Modell informiert haben, ein Modell, das neben allgemeinbildenden Oberschulen berufsbildende Fach- und Berufsschulen kennt.
Mit Blick auf ebensolche Unterschiede in den Statistiken zur Jugendarbeitslosigkeit schenken Bildungspolitiker in vielen Ländern – so auch Italien – der Förderung berufsspezifischer Ausbildungen ein erhöhtes Augenmerk.
Aber auch in Südtirol besteht noch „Luft nach oben“, wie es jüngst der deutsche Bildungslandesrat Philipp Achammer bei der Auftaktveranstaltung von insgesamt drei Abenden unter dem Titel „Begegnungen zwischen Schule und Wirtschaft“ ausdrückte. Die Veranstaltungen, die gemeinsam von der Handelskammer und dem Deutschen Schulamt organisiert werden, sollen die Bedürfnisse und Vorstellungen der Unternehmen und der Bildungslandschaft aufeinander abstimmen. Hinter dem Austausch steht ein vordringliches Ziel. Bei der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zum Bildungsgesetz „La Buona Scuola“ von 2015 soll eine zusätzliche Bildungsschiene entstehen, die – ähnlich der sogenannten Höheren Berufsbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz – nach der Oberschule eine technische zwei- bis dreijährige Spezialisierung vorsieht. Diese „Istituti tecnici superiori“ sollen laut dem rechtlichen Rahmen an Oberschulen angesiedelt sein und mit Universitäten kooperieren. Das Konzept, dessen Leitlinien bereits 2008 in einem Regierungsdekret vorgelegt wurden, zielt darauf ab, der „wachsenden Nachfrage nach höheren technischen und fachlichen Kompetenzen“ gerecht zu werden. In Südtirol wird dies oft vereinfachend mit „Fachkräftemangel“ ausgedrückt. Fest steht: Die Höhere Berufsbildung würde Jugendliche später spezialisieren als die duale Ausbildung – und wäre den Ifo-Studienergebnissen zufolge geeigneter, auch über das mittlere Arbeitsalter hinaus Beschäftigungschancen zu haben.
Franziska Hampf und Ludger Wößmann vom ifo-Zentrum für Bildungsökonomik haben sich etwas näher mit den Statistiken befasst. Für ihre Studie „Vocational vs. General Education and Employment over the Life-Cycle: New Evidence from PIAAC” (Berufsspezifische contra allgemeine Bildung im Lebenszyklus: neue Erkenntnisse aus PIAAC” haben sie die Zahlen von 16 Staaten angesehen. Darunter befinden sich mit Irland, Japan, Südkorea, Spanien, Großbritannien und den USA sechs Länder mit schwach entwickelter Berufsbildung, mit Österreich, Dänemark, Deutschland und Tschechien vier Länder mit starker dualer Ausbildung in Schule und Betrieb, sowie mit Australien, Finnland, Frankreich, Niederlande, Norwegen und Schweden sechs Länder mit stark verwurzelten Fachschulen. Für alle, die es genau wissen wollen: Die Studienautoren haben Daten des „Programme for the International Assessment of Adult Competencies“ (PIAAC) herangezogen, das von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 2011/12 durchgeführte sogenannte „Erwachsenen-PISA“.
Die Studienautoren kommen zum Schluss, dass Menschen mit einer berufsspezifischen Ausbildung in jungen Jahren zwar höhere Beschäftigungschancen haben als Personen, die allgemeinbildende Programme absolviert haben. Aber wenn die spezifischen beruflichen Kompetenzen im Laufe der Zeit im technischen und strukturellen Wandel nicht mehr nachgefragt werden, so erhöht sich später die Gefahr, die Arbeit zu verlieren. „Um unser duales System zukunftsfähig zu halten, sollten wir die frühe Spezialisierung der Auszubildenden verringern, indem wir die Zahl der spezifischen Berufe senken, den allgemeinbildenden Anteil an den Inhalten ausweiten, Ausbildungsbestandteile modularisieren und die lebenslange Weiterbildung stärken“, schlussfolgert Ludger Wößmann, Leiter des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik.
Unter allen 16 teilnehmenden Ländern sind die Beschäftigungsnachteile im Alter dort besonders stark ausgeprägt, wo es – wie in Deutschland – ein duales Berufsausbildungssystem gibt. In diesen Ländern dreht sich der Beschäftigungsvorteil der beruflichen Ausbildung schon im Alter von 44 Jahren in einen Beschäftigungsnachteil um. Die neuen Ergebnisse bestätigen frühere Befunde, die einen ähnlichen Konflikt im Lebensverlauf für die 1990er Jahre belegt hatten. „Auch nach den Veränderungen am Arbeitsmarkt durch Globalisierung, Digitalisierung und Rentenreformen scheint die berufsspezifische Ausbildung nun den Übergang von der Schul- in die Arbeitswelt zu erleichtern, aber gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer an eine sich ändernde Wirtschaft zu verringern“, analysiert das ifo in einer Aussendung.(cp/hp)