Rom – Fast 200 Milliarden Euro werden in Italien jährlich am Fiskus vorbei erwirtschaftet, zuletzt – so steht es in einem neuen Istat-Bericht mit Zahlen aus dem Jahr 2021 – waren es 192 Milliarden Euro. Das entspricht ganzen 10,5 Prozent des italienischen Bruttoinlandsproduktes (BIP). Ein Teil der schwarzen Geschäfte – 18 Milliarden Euro oder 1,1 Prozent des BIP – ergibt sich aus illegalen Aktivitäten wie dem Drogenhandel, der Prostitution oder dem illegalen Zigarettenhandel, heißt es im Bericht „L’economia non osservata nei conti nazionali“ des italienischen Statistikinstituts Istat. Den weitaus größeren Teil nehmen hingegen legale Tätigkeiten ein, bei denen auf unterschiedlichsten Wegen Geld am Fiskus vorbeigeschwindelt wird.
Auf 100 Euro, die hierzulande 2020 kassiert wurden, waren 9,3 Euro nicht deklariert.
9,5 Prozent des BIP
Da sind die großen Fische, die Millionen erwirtschaften, ohne dass der Staat davon Wind bekommt, genauso wie die kleinen. Sie alle gemeinsam steckten 2021 Schwarzgeld in Höhe von rund 173,9 Milliarden Euro ein. Das entspricht 9,5 Prozent des BIP. Der größte Teil davon – 91,4 Milliarden Euro – geht zurück auf nicht oder nur zum Teil gemeldete Beträge. Etwa ein Physiotherapeut, der dem Kunden einen Preisnachlass gewährt und dafür den Betrag ohne Quittung (und somit ohne MwSt) kassiert, oder die Friseurin, die der Stammkundin einen Skonto macht und dafür 60 statt 120 Euro auf die Rechnung schreibt. Oder die Familie, die dem Studenten für den Nachhilfeunterricht 25 Euro bezahlt, anstatt mit Rechnung 40.
Neben nicht oder nur teilweise deklarierten Leistungen profitierte die Schattenwirtschaft 2021 auch von illegaler Arbeit und zog daraus 68,1 Milliarden Euro Wertschöpfung. Weitere 14,4 Milliarden Euro wurden auf anderem Wege kassiert.
Die Sektoren, in denen laut dem Istat-Bericht der Anteil der nicht angemeldeten Erwerbstätigkeit am größten ist, sind personenbezogene Dienstleistungen. Dort macht die Schattenwirtschaft 34,6 Prozent der Wertschöpfung aus, darauf folgen der Handel, Transport, Beherbergung und Gastronomie (20,9 Prozent) und das Baugewerbe mit 18,2 Prozent.
9,3 von 100 Euro sind in Südtirol Schwarzgeld
Und wie steht Südtirol da? Auch in Südtirol ist Schwarzgeld weit verbreitet. Das zeigt ein Blick in einen Bericht des Studienzentrums der Handwerkervereinigung (CGIA) von Mestre aus dem Jahr 2020. Die Provinz schneidet im Ranking zwar besser als alle anderen Regionen ab, doch auch die Südtiroler:innen betrügen den Fiskus regelmäßig.
8,2 Prozent des BIP wurden hierzulande 2020 an ihm vorbei erwirtschaftet; italienweit schätzt das CGIA den Anteil im selben Jahr auf 11,6 Prozent.
Das CGIA rechnet vor: Auf 100 Euro, die hierzulande 2020 kassiert wurden, waren 9,3 Euro nicht deklariert. Auf dem zweiten Platz liegt die Lombardei (9,5 Euro), auf dem dritten die Provinz Trient (10,2 Euro). Im Süden, in Kalabrien, Kampanien oder Apulien etwa, erreicht dieser Anteil Spitzenwerte von 21,3 Euro, 20 oder 19,3 Euro je eingenommenem Hunderter.
918 Millionen Euro weniger Steuereinnahmen
Die Steuern, die allein in Südtirol hinterzogen wurden, werden 2020 auf 918 Millionen Euro beziffert. „Für Südtirol ist das ein riesiges Problem“, sagt einer, der sich mit der Materie auskennt, aber lieber anonym bleiben möchte, „denn der Großteil der hierzulande eingetriebenen Steuern fließt in den Landeshaushalt.“ Ein Betrug am Fiskus ist damit auch ein direkter Betrug an den eigenen Landsleuten. Das gilt in Südtirol stärker als in anderen Regionen.
Es gibt aber einen kleinen Lichtblick: Das Phänomen Schattenwirtschaft geht in Italien – und auch hierzulande – seit einigen Jahren zwar langsam, aber stetig zurück. Friedrich Schneider, emeritierter Professor der Abteilung für Wirtschaftspolitik am Forschungsinstitut für Bankwesen der Universität Linz, erklärte das vor einigen Jahren in einem SWZ-Interview so: „Der Rückgang der Schattenwirtschaft hängt mit dem hohen Wirtschaftswachstum und der Erholung der Wirtschaft von der Weltwirtschaftskrise zusammen. […] Wenn die offizielle Wirtschaft wächst, sinkt die Arbeitslosigkeit. Wer arbeitslos ist, hat einen stärkeren Anreiz schwarzzuarbeiten als jemand, der einen guten Job hat und Überstunden machen kann.“ So richtig im Griff hat der Stiefelstaat das Phänomen Schattenwirtschaft allerdings bei Weitem noch nicht. Dafür gibt es mehrere Gründe.
„Es ist beinahe peinlich, nach einer Quittung zu fragen“
„Die Schattenwirtschaft ist in Italien fast schon kulturell verwurzelt“, sagt die Person, mit der die SWZ gesprochen hat. Der Fiskus gilt gemeinhin nicht als Freund, sondern eher als Feind. Insbesondere in Süd- oder Mittelitalien würden sich viele Menschen mehr auf familiäre als staatliche Strukturen verlassen. Steuerhinterziehung wird dabei als eine Art Selbsthilfe empfunden und nicht als Betrug.
„Maßnahmen wie die elektronische Rechnungslegung sind hilfreich, aber allein mit Kontrollen werden wir die Schattenwirtschaft nicht in den Griff bekommen.“
Auch in Südtirol gilt: Steuerhinterziehung wird als Kavaliersdelikt betrachtet. „Es ist in vielen Fällen fast schon peinlich, nach einer Quittung zu fragen“, bestätigt die Fachperson. Der Gesellschaft fehle schlichtweg das Verständnis dafür, dass der Staat Steuern eintreiben müsse, um damit fundamentale Dienste wie die Schule oder Krankenhäuser zu finanzieren. „Die Menschen verlangen vom Staat, dass er ihnen bei Bedarf unter die Arme greift, aber sie scheinen nicht zu verstehen, dass der Staat eigentlich wir selbst sind.“ Die Folge: Italien muss Schulden aufnehmen, u. a. um grundlegende Dienste zu finanzieren, „gleichzeitig hinterlassen wir den künftigen Generationen einen hohen Schuldenberg und Strukturen, die nicht funktionieren.“
Kontrollen reichen nicht
Was also tun? Ein Pauschalrezept gegen Steuerhinterziehung gibt es nicht, das sagte bereits Friedrich Schneider vor einigen Jahren zur SWZ. Seit Jahrzehnten versucht Italien mit den verschiedensten Maßnahmen die Schattenwirtschaft einzudämmen. Einige der letzten Maßnahmen waren etwa die Kassenbonlotterie sowie die Pflicht zur elektronischen Rechnungslegung. „Solche Maßnahmen sind hilfreich, aber allein mit Kontrollen werden wir die Schattenwirtschaft nicht in den Griff bekommen. Dafür brauchen wir einen Mentalitätswandel.“
Wenn Italien auf lange Sicht etwas ändern wolle, müsse beim Bildungswesen angesetzt werden. Das heißt, Lehrpersonen müssten dazu animiert werden, das Bewusstsein für das Gemeinwohl bereits in der Schule zu schaffen und zu fördern. „Daneben braucht es konkrete Maßnahmen: Steuergesetze müssen vereinfacht werden. Das wird allerdings derzeit schon stark getan“, so der Branchenkenner. Er beobachtet: Der Wille vonseiten der Regierung sei da. Bei der Bevölkerung müsse die Botschaft hingegen noch ankommen.
Info
Wie misst man etwas, das man nicht sieht?
In den Wirtschaftswissenschaften wird Schattenwirtschaft als „non observed economy“ (NOE) bezeichnet. Dazu gehören etwa falsch deklarierte Umsätze, Schwarzarbeit, nicht gemeldete Mieteinnahmen genauso wie illegale Tätigkeiten wie Drogenhandel oder Prostitution. Wie misst man aber etwas, das unsichtbar ist? Das Istat verwendet dafür verschiedene Methoden, liest man auf der Website des Statistikinstitutes. Dazu gehören ökonometrische Modelle, die Auskunft darüber geben, ob sich das Verhalten eines Unternehmens unter Berücksichtigung seiner Größe und des Sektors, in dem es tätig ist, innerhalb einer normalen Bandbreite bewegt. Darüber hinaus werden beispielsweise Verwaltungsdaten mit solchen aus Erhebungen verglichen, um etwa den tatsächlichen Arbeitsaufwand zu schätzen. Auch werden beispielsweise Löhne von Angestellten mit der Entlohnung von Freiberuflerinnen und Freiberuflern verglichen, die dieselbe Arbeit verrichten. Das soll Unstimmigkeiten wie eine zu niedrige Wertschöpfung von sehr kleinen Unternehmen aufzeigen. Um hingegen Schätzungen zu illegalen Aktivitäten wie dem Drogenhandel abgeben zu können, kooperiert das Istat mit Ordnungskräften und weiteren Institutionen.