Bozen – In den Stiefel steigt man am besten von oben, raten manche Südtiroler vor allem Firmen aus dem deutschen Sprachraum, die sich anschicken, in den italienischen Markt einzusteigen. Ein Unternehmen, das sich das offensichtlich zu Herzen genommen hat, ist die Gruppe Signa. Die im Jahr 2000 vom damals 23 Jahre alten, in Innsbruck geborenen René Benko gegründete Gesellschaft ist in nur zwei Jahrzehnten zu einer Großen in den Branchen Real Estate (Immobilien) und Retail (Einzelhandel) aufgestiegen und mischt mit Beteiligungen auch am Medienmarkt mit (siehe beigestellte Infobox). Das Gesamtvermögen der Gruppe wird auf 15 Milliarden Euro geschätzt, die Bilanzsumme beträgt 25 Milliarden, im Rekordjahr 2019 wurde ein Gewinn von 1,1 Milliarden Euro erzielt, im Corona-Jahr 2020 waren es immerhin noch stolze 800 Millionen. Die Kriegskasse des Giganten scheint prall gefüllt.
Der Waltherpark
Eine breitere Öffentlichkeit in Südtirol wurde auf die Signa erstmals im Jahr 2004 aufmerksam, als sie das Kaufhaus Tyrol in Innbruck erwarb, abriss, an gleicher Stelle einen Neubau errichtete und 2010 mit 55 Geschäften neu eröffnete. In Südtirol wurde die Gruppe, die hierzulande vom Bozner Wirtschaftsberater Hans Peter Hager vertreten wird, durch den Kauf des Hotels Alpi in Bozen und ihre Initiativen zur kompletten Umgestaltung des Viertels zwischen Südtiroler Straße, Garibaldistraße und Bahnhof bekannt – mit Errichtung eines großen Kaufhauses, eines Hotels, von Büros, Wohnungen, einer Tiefgarage und mit neuen Verkehrslösungen. Die Bozner Kaufleute haben sich lange gegen das Vorhaben zur Wehr gesetzt und ein Alternativprojekt vorgelegt, aber am Ende hat die Signa alle Hindernisse überwunden, und die Stadtverwaltung hat ihr den Weg frei gemacht. Inzwischen wird seit gut zwei Jahren abgerissen und nach einem Konzept des bekannten Architekten David Chipperfield auch schon gebaut. Die für 2023 geplante Fertigstellung dürfte sich etwas verzögern, aber am Ende wird das Viertel eine komplette städtebauliche Umgestaltung erfahren.
Gries Village und Bürogebäude
Die Signa wäre nicht die Signa, hätte sie sich mit einem (großen) Fisch an der Angel begnügt. Sie erwarb von der Kellerei Bozen deren altes Betriebsgebäude in der Nähe des Grieser Platzes und hat dort auf einer Fläche von 11.000 Quadratmetern zehn Wohngebäude mit über 100 Wohnungen errichtet. Fast alle Appartements im Gries Village sind laut Heinz Peter Hager schon verkauft.
Auch übernahm die Signa von der Stadt Bozen die sogenannte Baulücke neben dem Sitz der Handelskammer in der Südtiroler Straße in Bozen und zog dort in kürzester Zeit ein Bürogebäude hoch. Dieses ist im vergangenen Jahr von Norbert Gassers Fruitservice erworben worden.
Das Virgl-Projekt
Hand in Hand mit dem Projekt Waltherpark ergriff die Signa eine Initiative zur Nutzung des brachliegenden Virgls. Zuletzt hat die Gruppe dem Land Südtirol ein neues PPP-Projekt präsentiert. Der Berg soll durch eine moderne Seilbahn erschlossen werden. Oben untergebracht würden das Ötzi-Museum, für das seit längerer Zeit eine neue Bleibe gesucht wird, außerdem ein großer Konzertsaal mit einem Fassungsvermögen von 850 Personen und weitere Freizeiteinrichtungen. Insgesamt sollen an die 170 Millionen investiert werden, um den Virgl zu einem touristischen und kulturellen Zentrum zu machen und „das Bozner Stadtzentrum zu entlasten“, wie Heinz Peter Hager angesichts der Bozner Klagen über die vielen Touristen und anderen Besucher, die in die Stadt strömen, ein wenig süffisant angemerkt hat. Die Haushaltslage des Landes erlaubt es in nächster Zeit kaum, eine neue Bleibe für den Ötzi im Stadtzentrum zu erwerben und den Aus-, Um- oder Neubau zu finanzieren. Das PPP-Angebot der Signa dagegen läuft darauf hinaus, dass diese Gesellschaft die gesamten Investitionen stemmt und das Land 50 Jahre lang Miete zahlt, bevor die geschaffenen Infrastrukturen in dessen Eigentum übergehen.
Das Virgl-Projekt lässt wie zuvor die Waltherpark-Pläne die Wogen in der Talfeststadt hochgehen. Manche Zeitgenossen sehen im Engagement der Signa eine Chance, die Stadt umfassend zu modernisieren, andere warnen vor einem Ausverkauf an Investoren, für die nur der Gewinn zählt. Kaufleute und manche anderen Wirtschaftstreibenden befürchten eine wirtschaftliche Austrocknung des Zentrums und die Abwanderung von Kaufkraft aus der Fußgängerzone in das Waltherpark-Kaufhaus. Auch geht die Angst um, der Koloss Signa werde mit seinen Millionen die Einheimischen faktisch entmündigen und die satten Gewinne transferieren. Mehr: Die Stadt werde in vielerlei Hinsicht von Benko abhängig.
Das Bahnhofsareal
Denn neben dem Virgl steht noch ein anderes Großprojekt an, nämlich die Umgestaltung des Bozner Bahnhofs und die Verbauung der frei werdenden, 35 Hektar umfassenden Fläche. Das Projektvolumen weist bei einer Siedlungsdichte von 3,5 m3/m2 ein Bauvolumen von gut 1,2 Millionen Kubikmetern auf. Im Raum stehen über viele Jahre hinweg Investitionen im Umfang von über einer Milliarde Euro. An einem Markttest in Vorbereitung der Ausschreibung, die im kommenden Jahr erfolgen dürfte, hat sich auch Signa beteiligt – und dieses Unternehmen wird als Favorit für den Zuschlag gehandelt.
Einen solchen hat René Benkos Gesellschaft kürzlich für die Neugestaltung des ehemaligen Güterbahnhofs von Verona erhalten. Im Central Park Verona soll auf einer Fläche von 45 Hektar nach den Vorgaben eines Masterplans der Stadt und nach Absprachen von dieser mit der Region und der Staatsbahn ein großer Park als grüne Lunge für Verona entstehen, etwas über vier Hektar werden Baugebiet. Bereits 2026 soll der neue Park zugänglich gemacht werden. Bürgermeister Federico Sboarina war bei der Vorstellung des Wettbewerbssiegers und des Projekts letzte Woche voll des Lobes für die Signa. Dabei gibt es auch Skeptiker, die meinen, Benko betreibe mit seinen Geschäften einen Drahtseilakt. Sie beobachten seine Nähe zu Politikern wie dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz argwöhnisch.
Interesse für Terlan
Derweilen hat die die Signa ihre Fühler in Südtirol schon nach einem weiteren Objekt ausgesteckt. In Terlan, vor den Toren von Bozen, gibt es – nur einen guten Steinwurf vom Rathaus entfernt – große, ungenutzte Gebäude, einst Sitz und Lager der Terlaner Obstgenossenschaft (TOG). Das 22.000 Quadratmeter große Areal wurde von dieser vor zehn Jahren an die Tudor GmbH von Franco Delago verkauft, zu einem kolportierten Preis von neun Millionen Euro. Delago hat sich viele Jahre lang vergeblich bemüht, eine Umwandlung des Areals von landwirtschaftlichem Grün in Wohnbaugebiet zu erreichen. Die Gemeindeverwaltung unter dem vormaligen Bürgermeister Klaus Runer hatte jedoch schwere Bedenken, weil hier bei einer Baudichte von zwei m3/m2 je nach Größe 110 bis 150 Wohnungen entstehen könnten und viele kommunale Einrichtungen mit einem solch rapiden Bevölkerungszuwachs überfordert würden. Delago hat schließlich das Handtuch geworfen und als Partner die Wohnbaugesellschaft Zima geholt. Derzeit laufen Verhandlungen über ein Engagement auch der Signa. Heinz Peter Hager nennt die Pläne „noch nicht spruchreif“, bestätigt jedoch das grundsätzliche Interesse. Derzeit würde eine interne Umweltprüfung vorgenommen, um zu eruieren, ob beim Abriss eventuell gefährliche Materialien wie Asbest anfallen, die teuer entsorgt werden müssen, dann werde man weitersehen. Dass auf dem Areal ohne neue Flächenwidmung nichts geht, stört Hager nicht besonders. Die Gemeinde, so seine Einschätzung, werde früher oder später etwas unternehmen müssen, um zu vermeiden, dass die Gebäude verfallen und das Dorfbild nachhaltig stören. Auch gilt in Südtirol das Prinzip „braun vor grün“, was bedeutet, dass bestehende Gebäude genutzt werden sollen, bevor neues Bauland ausgewiesen wird. In nächster Zeit wird sich zeigen, ob der neue Bürgermeister Hansjörg Zelger mit seinem Ausschuss und Gemeinderat das bisherige kommunale Nein überdenkt.
Die Signa hat Argumente – und einen langen Atem.
Info
Die Signa Group
Die Signa Holding GmbH ist ein im Jahr 2000 gegründetes Immobilien- und Handelsunternehmen, das mit zwei Mitarbeitern gestartet ist und inzwischen 46.000 Beschäftigte zählt. Ihr Initiator René Benko hat sich 2013 aus der Geschäftsführung zurückgezogen, dessen Familie hält aber 85 Prozent der Anteile. Miteigentümer sind unter anderem die Privatstiftung von Hans Peter Haselsteiner und Niki Laudas Family Office. An Gruppengesellschaften sind namhafte internationale Investoren beteiligt.
Vermögen: 14 Milliarden Euro
Die Signa Group gliedert sich in die Bereiche Signa Real Estate, Signa Retail und Signa Medien. Die Immobiliensparte weist an Standorten in Österreich, Deutschland, Italien und der Schweiz ein Vermögen von rund 14 Milliarden Euro auf. Zum Immobilienteil gehören fünf unabhängige Bereiche, darunter Signa Prime Selection AG, die sich auf Investition in Innenstadtanlagen konzentriert. Die Abteilung Handel erzielt mit 45.000 Mitarbeitern einen Umsatz von jährlich rund sieben Milliarden Euro. Mit ihrer Mediensparte ist die Signa durch den Erwerb von 49 Prozent der Anteile an der Auslandstochter der Funke Mediengruppe Miteigentümerin der großen österreichischen Boulevardblätter Kronen Zeitung und Kurier geworden. Einige der wichtigen Übernahmen betreffen den Erwerb der Mehrheit an Karstadt Sports und an Karstadt Premium (heute The KaDeWeGroup), der Karstadt Warenhaus GmbH und der Galeria Kaufhof. Außerdem besteht ein Joint Venture mit Eataly, dem Spezialisten für den Handel mit Lebensmitteln aus Italien. Auch im Onlinehandel ist Signa aktiv. Signa gehören auch Luxushotels wie das Park Hyatt in Wien, das Chalet N in Lech am Arlberg, das Villa Eden Luxury Resort am Gardasee und – seit 2020 – das Hotel Bauer in Venedig. Aufsehen erregt hat 2019 der Kauf des 1930 errichteten Chrysler Building in New York, einst das höchste Gebäude der Welt, für angeblich 150 Millionen Euro, gemeinsam mit dem New Yorker Immobilienentwickler RFR Holding.