Bozen – Rund 225.000 Personen waren Ende Februar in Südtirol unselbstständig beschäftigt, über 4.300 bzw. zwei Prozent mehr als vor einem Jahr. Schon im Vorjahr gab es ein ähnlich hohes Wachstum – und auch 2022 im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau. Die Beschäftigung in Südtirol wächst also unaufhörlich weiter.
Einen wesentlichen Anteil daran hat das Gastgewerbe. Allein dort sind aktuell gegenüber dem Vorjahr rund 1.600 Menschen mehr beschäftigt, was einem Plus von knapp fünf Prozent entspricht. Zwei wichtige Gründe dafür: Der Tourismus läuft hervorragend – und durch den Trend im Hotelsektor hin zu 4- und 5-Sterne-Betrieben steigt der Personalschlüssel, sprich dort sind im Verhältnis zur Gästeanzahl mehr Beschäftigte nötig.
Was an den Südtiroler Arbeitsmarktzahlen ebenfalls auffällt: Das Beschäftigungswachstum ist fast ausschließlich auf – unter Anführungszeichen – Nicht-Südtiroler:innen zurückzuführen, also auf Ausländer:innen und Italiener:innen aus anderen Provinzen.
Lokaler Arbeitsmarkt nahezu leer gefegt
Deutlich wird das, wenn man sich die Durchschnittsdaten im Zeitraum August 2023 bis Januar 2024 ansieht, die der SWZ von der Landesabteilung Arbeitsmarktservice bereitgestellt wurden. In diesem Zeitraum ist die Zahl der unselbstständig Beschäftigten im Schnitt um 4.485 gestiegen, was ebenfalls einem Plus von zwei Prozent entsprach.
Bei 2.605 dieser Personen handelt es sich um ausländische Staatsbürger:innen. Weitere 544 Personen sind ausländischer Herkunft, jedoch in diesem Zeitraum in Italien eingebürgert. Und 870 weitere Personen sind Italiener:innen ohne Wohnsitz in Südtirol.
Übrig bleiben 466 Personen, die sowohl die italienische Staatsbürgerschaft als auch den Wohnsitz in Südtirol haben. Aber auch das sind nicht alles „waschechte“ Einheimische. Denn abzuziehen wären von dieser Zahl noch die Italiener:innen aus anderen Provinzen, die hier ansässig sind, also ihren Wohnsitz in Südtirol haben. Eine aktuelle Erhebung dazu gibt es allerdings nicht. Es sind aber sicherlich nicht wenige.
Jedenfalls lässt sich sagen, dass der lokale Arbeitsmarkt nahezu leer gefegt ist, wenn man diesen über die effektiv in Südtirol geborenen Ansässigen definiert.
Nur mehr zwei Drittel in Südtirol geboren
Die letzten vom Land aufgeschlüsselten Zahlen bis hin zu den in Südtirol geborenen Ansässigen gehen auf das Jahr 2021 zurück. Damals wurde erhoben, dass 2021 nur 67 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Südtirol geboren waren. Zum Vergleich: 1998, also 23 Jahre früher, lag der Anteil noch bei 80 Prozent.
Stefan Luther geht davon aus, dass der Anteil seit 2021 weiter gesunken ist. Der Direktor der Abteilung Arbeitsmarktservice bestätigt, dass am lokalen Arbeitsmarkt nicht mehr viel zu holen sei. Das sei aber von Sektor zu Sektor unterschiedlich. Eine Ausnahme sei in Vergangenheit etwa der öffentliche Dienst gewesen, während Nicht-Südtiroler:innen für die Landwirtschaft, den saisonalen Tourismus, das Baugewerbe und das Verarbeitende Gewerbe von höchster Bedeutung seien.
Die mit Abstand meisten Beschäftigten aus dem Ausland kommen inzwischen aus Rumänien. Im Zeitraum August 2023 bis Jänner 2024 waren es im Schnitt 6.441 der insgesamt rund 37.500 Ausländer:innen. Dahinter folgten Albanien mit 3.522, Pakistan mit 2.492, die Slowakei mit 2.355 und Deutschland mit 2.289 Personen.
Anstieg trotz technologischem Fortschritt
Wie sind die kontinuierlich wachsenden Beschäftigungszahlen trotz des technologischen Fortschritts und des neuen Beschleunigungsfaktors künstliche Intelligenz (KI) zu erklären? Stefan Luther nennt zwei Gründe. Zum einen gebe es nun einmal sehr personalintensive Sektoren. Das Gastgewerbe etwa brauche aufgrund des höheren Personalschlüssels in den zunehmend vielen 4- und 5-Sterne-Hotels immer mehr Mitarbeitende. Es sei fraglich, ob im Gastgewerbe ein wesentlicher Teil durch Technologie ersetzt werden kann.
„Zum anderen“, so Luther, „braucht es für die Umsetzung von KI ebenfalls Arbeitskräfte, um den Wandel herbeiführen zu können. Wir befinden uns vermutlich in einer Übergangsphase, in der Altes noch nicht wirklich abgelegt worden ist und Neues noch nicht wirklich angekommen ist, sodass entsprechend viele Arbeitskräfte nötig sind.“
„Wenn immer nur gesagt wird, man könne lokal nichts tun, weil die nationalen Kollektivverträge noch nicht so weit sind, lösen wir das Problem nie.“
Der Arbeitsmarktexperte ist sich aber sicher, dass eine massive Veränderung bevorsteht, unter anderem bei den Berufsprofilen, wenngleich Prognosen über die Auswirkungen in Südtirol schwierig seien. Effizienzsteigerung mithilfe von Technologie ist laut Luther auch dringend notwendig, um den Fachkräftemangel und den demografischen Wandel zu bewältigen.
Folgen für Wohnen, Verkehr usw.
Die Tatsache, dass Südtirols Wirtschaft laufend mehr Personal benötigt, aber das Beschäftigungswachstum fast nur mehr durch Nicht-Südtiroler:innen zustande kommt, wirft Fragen über die Folgen für das lokale Gefüge auf. Wo etwa sollen die Tausenden Menschen leben, die jährlich neu ins Land kommen? Der Wohnraum in Südtirol ist jetzt schon knapp und überteuert.
Hinzu kommen Aspekte wie zusätzliche Verkehrsbelastung und Effizienz der öffentlichen Dienstleistungen. Die Gesundheitsversorgung etwa ist bereits seit Jahren am Anschlag.
Stefan Luther sagt, die oberste Priorität jeglicher Arbeitsmarktpolitik müsse es eigentlich sein, das lokale Potenzial bestens auszuschöpfen. „Erst wenn dieses nicht mehr ausreizbar ist oder die gesuchten Qualifikationen nicht vorhanden sind, sollte der Ruf nach Auswärtigen erfolgen. Ansonsten könnte es sich gesamtgesellschaftlich gesehen irgendwann wirklich nicht mehr rechnen“, findet er klare Worte.
Lokales Potenzial noch nicht ausgeschöpft
Luther betont, dass es noch reichlich Potenzial gebe, die lokale Bevölkerung besser in den Arbeitsmarkt einzubinden. Das Land hat dazu politische Zielwerte definiert, die sich an vergleichbaren Regionen orientieren. „Wenn wir sie erreichen und gleichzeitig die Technologisierung verbessern, ist der demografische Wandel händelbar“, lautet Stefan Luthers These.
So fehlen etwa bei der Frauenbeschäftigungsquote 3,3 Prozentpunkte auf den Zielwert von 77 Prozent. Bei der Jugendbeschäftigung sind es 2,7 fehlende Prozentpunkte auf den Zielwert von 42 Prozent – bei den 55- bis 64-Jährigen 3,3 Prozentpunkte auf die gewünschten 70 Prozent.
„Alles zusammengezählt ergibt sich ein nicht geringes Potenzial. Umgerechnet wären es an die 13.000 bis 14.000 Personen. Das würde nicht alle Probleme lösen, aber den Arbeitskräftemangel lindern“, erklärt Luther.
Luther schlägt Südtiroler Kollektivvertrag vor
Es gehe etwa darum, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und ältere Menschen länger in einem Job zu halten. Handlungsbedarf sieht Luther dabei nicht nur bei der Politik, die passende rechtliche Rahmenbedingungen schaffen müsse, sondern in erster Linie bei den Sozialpartnern, also bei den Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften: „Die Politik kann unterstützen, aber es geht nicht von oben herab. Wenn die Sozialpartner nicht wollen, kann es nicht funktionieren.“
Stefan Luther hat angesichts der hohen Lebenshaltungskosten und der zunehmenden Abwanderung von Südtirolerinnen und Südtirolern ins Ausland einen konkreten Vorschlag parat: „Ich frage mich, ob wir wirklich im Korsett der nationalen Kollektivverträge drinbleiben müssen. Es sollte angedacht werden, sich davon zu befreien und einen lokalen Südtiroler Kollektivvertrag auf die Beine zu stellen. Wenn immer nur gesagt wird, man könne lokal nichts tun, weil die nationalen Kollektivverträge noch nicht so weit sind, lösen wir das Problem nie. Auch wenn Widerstände wahrscheinlich sind, sollten die Sozialpartner dahingehend ihre Rolle übernehmen.“
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Ungenutztes Potenzial“
Info
Mühsame Vermittlung der Hoppe-Entlassenen
Die Massenentlassungen in den Hoppe-Werken in Laas und Schluderns im Herbst zeigen eindrücklich, dass Arbeitnehmer:innen, die ihren Job verlieren, trotz Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel nicht so einfach eine neue Arbeit finden. Im Fall Hoppe wurden eher Geringqualifizierte entlassen. Für sie ist es am Arbeitsmarkt besonders schwierig, einen gleichwertigen Job zu finden. Immerhin hat sich die Situation zuletzt deutlich verbessert. Mit Stand Anfang dieser Woche haben sich 105 entlassene Hoppe-Mitarbeitende bei den Arbeitsvermittlungszentren gemeldet. 33 davon wurden erfolgreich vermittelt, 14 weitere haben eine zeitnahe Arbeitszusage. Vermittelt wurden die Personen quer durch alle Wirtschaftssektoren. Die allermeisten haben im Vinschgau einen neuen Job erhalten, Einzelne in Graubünden. 18 Personen stehen kurz vor Pensionsantritt und zehn werden aus verschiedenen Gründen nicht mehr betreut (Mutterschaft, selbstständige Tätigkeit begonnen, abgewandert). 22 Personen sind derzeit noch arbeitslos, haben allerdings Vorstellungsgespräche offen. Und acht Personen wurde der Arbeitslosenstatus aberkannt – sie sind demnach beschäftigungslos. „Arbeitsvermittlung ist ein Knochenjob und kein Selbstläufer, jeder Fall ist individuell“, sagt Stefan Luther. Die Qualifikationen der Betroffenen seien häufig nicht mit den Notwendigkeiten der Betriebe kompatibel. Ein Problem sei auch, dass sich „viel zu wenige“ Betriebe mit ihrem Personalbedarf ans Land wenden.
Alpitronic verdoppelt
Fast zehn Prozent des Beschäftigungswachstums in Südtirol entfielen im Jahresvergleich auf ein einziges Unternehmen: den Ladesäulenhersteller Alpitronic. Südtirols neuer Vorzeigebetrieb, der in einem rasanten Tempo wächst, hatte im Jänner 2024 sage und schreibe 400 Mitarbeiter:innen mehr als im Jänner 2023. Er hat seine Mitarbeitendenzahl somit innerhalb eines Jahres auf über 800 verdoppelt.