In Südtirol waren die verschiedenen Interessenvertretungen schon immer direkt in die Parteipolitik eingebunden. Auch regiert seit Kriegsende dieselbe Partei. Dies fördert allerdings eine bedenkliche Form von Lobbyarbeit, vor allem, wenn nicht alle Interessenvertretungen gleich stark vertreten sind. Solange die Mehrheitsverhältnisse klar waren und die Landesregierung, allen voran der Landeshauptmann, ihre Linie durchziehen konnten, gab es kaum Probleme. Niemand hätte es gewagt, sich offen gegen ihre Entscheidungen zu stellen. Auch galt es vorrangig, die Autonomie zu festigen, dem Schutz der Minderheit mussten sich viele Partikularinteressen unterordnen. Heute ist die sprachliche Minderheit relativ gut abgesichert und die Prioritäten haben sich verschoben. Meist geht es um die Selbstverwaltung von wirtschaftlichen und steuerlichen Anliegen und weniger um Ideale.
Wer an der Quelle sitzt
Auch ist die SVP im Landtag zahlenmäßig geschwächt und die allgemeine Politikverdrossenheit nimmt immer mehr zu. Im Kampf um jede Stimme wirkt die Politik heute schwach und zerstritten. In einer solchen Situation gilt verstärkt das Sprichwort: „wer an der Quelle sitzt, ist selten durstig“. Zusätzlich gibt es ein Ungleichgewicht zwischen den Wirtschaftsvertretern, denen die SVP in der Vergangenheit eine übergeordnete Rolle zugestanden hat und dem Rest der Gesellschaft. So spielen die Vertreter der Arbeitnehmer seit jeher meist eine eher untergeordnete Rolle, trotz der viel gelobten Sozialpartnerschaft. Dabei wäre, gerade aufgrund der komplexen und weitreichenden Probleme, eine breitere Diskussion und mehr Partizipation notwendig. Ohne einen großen Konsens werden wir z. B. die Klimaziele nicht erreichen, falls dies überhaupt mittelfristig möglich sein sollte.
Die Aussage bestimmter Kreise, dass wir alle im selben Boot sitzen, bedeutet nicht, dass es dort keine Hierarchie gibt. Diese reicht vom Kapitän bis zum einfachen Matrosen. Das Hickhack um den Bettenstopp war nur ein weiterer Beleg dafür, wie bestimmte Verbände die Politik heute vor sich hertreiben. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Angelegenheit die nur die direkt Interessierten angeht, sondern um ein Thema, das in vielerlei Formen die gesamte Gesellschaft betrifft. Der Arbeitskräftemangel, die Verkehrsproblemen, die Verbauung der Umwelt, der Verbrauch von Ressourcen, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes gehen uns letztlich alle an. Und trotzdem ist die Mehrheit der Menschen neuerlich zum Zuschauen verdammt.
Alfred Ebner, Generalsekretär SPI/LGR
Der Leserbrief bezieht sich auf folgende Texte, beide aus SWZ 27/22: Spiel der Könige und Das Beste für Südtirol