SWZ: Natürlich gibt es immer Ausnahmen, doch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestaltet sich in der Regel schwierig bzw. eine Seite muss auch im Jahr 2019 noch zurückstecken. Warum?
Lizzi Flarer: Das Frauenbild hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert und wandelt sich laufend, das heißt, es ist heute selbstverständlich, dass Frauen studieren, berufstätig sind und ihre Hobbys leben können. Allerdings „hängt“ an den Frauen noch immer ein Großteil der Kindererziehung, der Pflege von Verwandten und der Haushaltsarbeit. Das Männerbild hat sich ebenso gewandelt: Männer wachsen immer mehr in den Bereich Kindererziehung, Pflege und Haushaltsarbeit hinein, das erfolgt aber nicht so schnell, wie es sich viele Frauen wünschen. Männer, die sich für einen „Papamonat“ etc. entschieden haben, sind grundsätzlich happy damit, aber die Anerkennung dafür in der Gesellschaft ist noch nicht so stark und „mann“ tut sich mit der Hürde noch schwer. Kurz gesagt: Die Vereinbarkeit ist ein laufender Prozess, an dem man seit Jahren dran ist und für dessen weitere Umsetzung Kulturwandel und Bewusstseinsbildung nötig bzw. Traditionen zu verändern sind. Wichtig ist, dass sich jeder daran beteiligt – und nicht darauf wartet, dass die Politik Maßnahmen und Regeln setzt.
Wie sehen Sie das, Herr Pflöstl?
Alois Pföstl: Bis zu einem bestimmten Grad ist es möglich, auf die Notwendigkeiten der Familien einzugehen. Es gibt viele Möglichkeiten, auch kleine Dinge, bei denen man als Unternehmen, als Arbeitgeber unterstützen kann. Wir kommen unseren Mitarbeitern, wo es machbar ist, entgegen, und helfen im Rahmen unserer Möglichkeiten, zum Beispiel bei Ansuchen an die öffentliche Hand oder indem wir jemanden in den Betrieb holen, der die Steuererklärungen für unsere Mitarbeiter abfasst, und das auf unsere Kosten. Etwas, worauf wir im Hinblick auf die Vereinbarkeit Familie/Beruf großen Wert legen, ist, dass die Mitarbeiter das, was ihnen zusteht, auch in Anspruch nehmen – manch einen müssen wir dazu animieren, etwa Väter, damit sie die ihnen zustehenden zusätzlichen Urlaubstage nach der Geburt eines Kindes in Anspruch nehmen. Dabei unterscheiden wir auch nicht zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden – alle unsere Vereinbarkeitsmaßnahmen gelten gleichermaßen für alle Mitarbeiter.
Wie werden diese Angebote von den Mitarbeitern gesehen?
Pföstl: Letzthin haben wir unsere Mitarbeiter befragt, um zu erfahren, ob sie mit dem, was wir anbieten, zufrieden sind. Das Ergebnis ist: Sie sind es! Doch damit hört es für uns bei Ivoclar Vivadent nicht auf, sondern wir beschäftigen uns ständig mit den unterschiedlichen Ansprüchen – nicht alleine mit jenen der Familien, Themen sind etwa auch Generationenwechsel, junge Leute, junge Mitarbeiter mit jungen Familien, die andere Ansprüche haben als vorhergehende Generationen.
Tut sich Ivoclar Vivadent als mittelständische Firma mit etwa 270 Mitarbeitenden dabei leichter als kleine Betriebe mit nur wenigen Mitarbeitern?
Pföstl: Ich denke schon. Denn in kleinen Firmen ist beispielsweise der Ausfall eines Mitarbeiters schwieriger aufzufangen. Bei uns sind meist in jedem Bereich mehrere Leute tätig, deshalb ist der Ausfall, insbesondere ein kurzfristiger, einfacher zu kompensieren …
Wie sehen Sie die Vereinbarkeit Familie/Beruf im Jahr 2019, Frau Morandini: Ist das „Problem“ bereits gelöst oder eher nicht?
Michela Morandini: Das System ist – wie bereits Frau Flarer und Herr Pföstl erklärt haben – ein sich wandelndes, weil sich auch die Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ständig verändern und extrem vielfältig sind. Deshalb hoffe ich, dass das Thema für eine Gesellschaft nie als gelöst gilt. Die Vereinbarkeit wird eine Herausforderung bleiben, an der sich Unternehmen messen lassen müssen. Dabei muss die Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel weiter gedacht werden, als wir das bisher in der Regel tun.
Wie kann es gelingen, an dieser Herausforderung bzw. Hürde nicht zu scheitern?
Morandini: Wenn wir von Vereinbarkeit Familie/Beruf reden, reden wir von drei Ebenen, einer Dreierkonstellation, die vielschichtig ist und in der sich ständig Änderungen ergeben: Erstens dem politischen System, zweitens den Unternehmen – Sie haben diesbezüglich bereits etwas Wichtiges angesprochen, Herr Pföstl – und den vorherrschenden Unternehmenskulturen und -werten. Und drittens haben wir noch das Thema der Familie, das auch schon angesprochen wurde: Wie leben wir unser Vatersein, Muttersein, die Geschlechterrollen … Letzteres ist derzeit DAS Thema.
Warum?
Morandini: Weil es sich so oft „beißt“: Wir haben einerseits einen Arbeitsmarkt, der sehr häufig noch klassische Arbeitsmodelle anbietet, sowie Familien, in denen sehr häufig beide Elternteile arbeiten wollen/müssen/dürfen. Und wir haben zugleich ein System, das noch in der Vergangenheit steckt – denken wir an die Schulen und die langen Sommerferien. Diese wurden in einer Zeit eingeführt, in der der Arbeitsmarkt und die Gesellschaft noch völlig andere waren, in der in Italien mehr als 70 Prozent der Frauen nicht berufstätig waren. Jetzt schaut die Situation anders aus, wenn es auch ein Nord-Süd-Gefälle gibt. Aus diesem Grund muss die Politik die Hausaufgaben machen und Rahmenbedingungen vorgeben, damit beide Elternteile arbeiten können, wenn sie wollen/müssen/dürfen.
Tun sich Unternehmen mit mehr Mitarbeitern tatsächlich leichter, für Vereinbarkeit Familie/Beruf zu sorgen, als kleinere Firmen?
Morandini: Maßnahmen für eine bessere Vereinbarkeit umzusetzen, ist in jedem Betrieb möglich – die Ansätze sind allerdings andere. Die zentrale Frage ist immer: Was brauchen unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, damit es ihnen im Betrieb gut geht?
Wie erleben Sie das als Auditorin bei den Audits in den Unternehmen, Frau Flarer: Wo hakt es? Wann sagen Unternehmer, Unternehmerinnen, Führungskräfte: Das ist nicht umsetzbar?
Flarer: Im „Audit familieundberuf“ dürfen Mitarbeiter ihre Ideen und Verbesserungsvorschläge einbringen, und Arbeitsbedingungen bzw. -prozesse werden analysiert. Dass es dann vonseiten der Entscheidungsträger heißt, das und jenes geht nicht, erlebe ich kaum.
Gibt es keine Themenfelder, in denen sich Unternehmen schwertun?
Flarer: Schwertun möchte ich nicht sagen, aber sicher sind die Gegebenheiten je nach Sektor verschieden. Ein Beispiel ist die Arbeitszeit, da kann ein Dienstleistungsunternehmen seinen Mitarbeitenden mehr Möglichkeiten zur Verfügung stellen als ein Produktionsbetrieb. Aber ich habe auch bei Produktionsbetrieben erlebt, was möglich ist, etwa durch Pilotprojekte, bei denen über den „Tellerrand“ hinausgeschaut wird. Das ist das Großartige der Veränderung, dass auch Bereiche umgekrempelt werden können, auf die bisher nicht geschaut wurde. Veränderung ist möglich, und Unternehmer werden dadurch offener.
Her Pföstl, Sie haben erzählt, dass rund 80 Prozent der Mitarbeiterinnen bei Ivoclar Vivadent Teilzeitverträge haben. Wie viele Männer arbeiten in Teilzeit?
Pföstl: Derzeit ist es einer, wenn ich mich recht erinnere, dazu kommen einzelne, die die Möglichkeit wahrnehmen, im Home Office zu arbeiten. Bei den Männern ist Teilzeit kein gefragtes Modell, aber nicht, weil wir es nicht anbieten – es gibt wenige Stellen, für die wir das Modell nicht umsetzen würden –, sondern vielleicht weil es gesellschaftspolitisch noch nicht so akzeptiert ist …
Dann ist Vereinbarkeit Familie/Beruf bei Ihnen im Unternehmen vor allem ein Frauenthema?
Pföstl: Nein, schon auch eines der Männer, aber da geht es um die Arbeitszeit als solche. Deshalb haben wir ein flexibles Arbeitszeitmodell, das so geregelt ist, dass die Wochenarbeitszeit eingehalten werden muss, die Tagesarbeitszeit flexibel nach den eigenen Bedürfnissen gestaltet werden kann – natürlich immer sofern es der Arbeitsplatz zulässt. Denn klar muss sein: Jeder muss seinen Job machen. Das Wichtigste, damit dieses Modell umsetzbar ist, ist eine offene Kommunikation und eine gute Zusammenarbeit.
Erkennen Sie dank dieses Engagements einen Wettbewerbsvorteil am Arbeitsmarkt gegenüber anderen Unternehmen?
Pföstl: Natürlich spüren auch wir den Fachkräftemangel. Doch ich glaube, dass wir uns leichter tun, spezialisierte Mitarbeiter und gute Führungskräfte zu finden. Wir kommunizieren unsere Zertifizierung „Audit familieundberuf“ –
Ivoclar ist eines von derzeit rund 70 Unternehmen in Südtirol, die familieundberuf-auditiert sind – zwar in den Medien, doch die beste Werbung ist die Mund-zu-Mund-Werbung – und ich bin überzeugt davon, dass die Mitarbeitenden gut von uns als Arbeitgeber sprechen.
Morandini: Das Thema der Flexibilität ist einer der Knackpunkte bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das merke ich in den Mediationen als Gleichstellungsrätin: Viele setzen Vereinbarkeit mit Flexibilität gleich, sei es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sei es Unternehmen. Darum sind Arbeitszeit und Flexibilität und die Frage, wie ich daraus neue Arbeitsmodelle gestalte, die garantieren, dass der Betrieb weiter geht, auch wenn ich meinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine gewisse Flexibilität zugestehe, wesentlich. Dabei gilt, wie ich schon in meiner Zeit als Unternehmensberaterin oft zu meinen Kunden gesagt habe: Vereinbarkeit von Familie und Beruf heißt auch flexibel denken und verschiedene Modelle zulassen – ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass ein Betrieb laufen muss.
Wie kann zum Beispiel ein kleiner Tischlerbetrieb mit fünf Mitarbeitern zeitliche Flexibilität gewähren? Der Chef kommt um 7 Uhr auf die Baustelle, der erste Mitarbeiter gegen 7.30 Uhr und der letzte um 8.30 Uhr?
Flarer: Das ist jetzt unsere typische Denkweise, wir müssen aber über den Tellerrand hinausdenken. Dann können tolle Modelle entwickelt werden; das habe ich schon erlebt. Sicher müssen für bestimmte Arbeitsprozesse bestimmte Mitarbeiter anwesend sein, zum Beispiel an der Produktionslinie, aber es gibt Möglichkeiten, man muss sie nur finden.
Pföstl: Sogar an der Produktionslinie gibt es Möglichkeiten. Bei uns kann zum Beispiel jeder – mit wenigen Ausnahmen – kurzfristig frei nehmen, das ist etwa für Mitarbeiterinnen, die alleinerziehend sind, wichtig.
Morandini: Auch bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern muss ankommen, was möglich ist und was nicht – weil Vereinbarkeit von Familie und Beruf heißt nicht, dass alles möglich ist, sondern es bedeutet eine Annäherung durch ein Miteinanderreden, zu sagen, was braucht der Betrieb, damit er gut läuft, und was brauchen die Mitarbeiter, damit es ihnen gut geht.
Demzufolge ist es in diesem Prozess wesentlich, dass Mitarbeiter und ihre Vorgesetzten, Führungskräfte, Chefs miteinander reden?
Morandini: Ja, und das ist nicht immer einfach, und manchmal muss man auch „Pflasterlen abreißen“, was bekanntlich kein angenehmes Gefühl ist …
Flarer: Kommunikation ist ein Grundthema überall, wo Menschen miteinander agieren. Je gelungener Kommunikation umgesetzt wird, desto besser funktioniert es.
Pföstl: In unserer Führungskräfteentwicklung ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. der Umgang und die Kommunikation in diesem Bereich immer wieder ein Thema. Wir unterstützen unsere Führungskräfte dabei nach Möglichkeit, u.a. werden Coachings angeboten.
Flarer: Was in diesem Prozess der Vereinbarkeit häufig außer Acht gelassen wird: Wir sprechen immer von den zu betreuenden Kindern und dass es ihnen dabei gut geht. Aber wir wissen auch, dass sich bis 2050 die Anzahl der Personen, die zur Generation 60+ zählen, beinahe verdoppeln wird – und das ist nicht mehr so weit hin. Ich sage deshalb beim Audit immer, dass nicht nur die Arbeitszeit relevant ist, es geht genauso darum, dass wir jetzt schon Arbeitsverhältnisse vorfinden, wo es uns gut geht und wo wir vital bleiben, damit wir – die wir ja auch älter werden – im Alter noch vital sind. Andererseits werden wir immer mehr auch mit dem Thema Pflege betraut sein, weil die Pflegeeinrichtungen nicht alle werden aufnehmen können.
Noch ein Punkt, der wesentlich ist: Man weiß aus Studien, dass 37 Prozent der Fehlzeiten der Mitarbeiter mittlerweile psychische Erkrankungen ausmachen –
Druck-, Angstzustände, Burn-out. Solche Erkrankungen hängen oft auch mit den Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusammen. Fehlzeiten führen in den Unternehmen zu fehlender Produktivität und zu Kosten, die es zu bewältigen gilt – und hier ist es sehr wichtig anzusetzen: Das „Audit familieundberuf“ ist dabei meiner Meinung nach nicht mehr nur ein Nice-to-have, sondern ein Must-have, weil es in alle Bereiche hineingeht und nachhaltig positive Effekte bringt.
Morandini: Es ist ein Teil der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Aber gesetzlich vorgeschrieben ist das Audit nicht?
Morandini: Nein. Aber dass ein Betrieb auf die Vereinbarkeit Familie und Beruf achten muss, ist gesetzlich vorgeschrieben …
Flarer: Ich rede jetzt auch nicht von Must-have im Sinne von gesetzlich vorgeschrieben, sondern im Hinblick auf Mitarbeitermangel, Mitarbeitergewinnung, Mitarbeiterbindung. Ich sehe, dass vielerorts Mitarbeiter fehlen, und das geht auf Kosten derer, die da sind. Es ist wichtig, dass es diesen Mitarbeitern gut geht. Wenn wir keine oder zu wenige Mitarbeiter haben, können wir von flexibler Arbeitszeit gar nicht mehr reden. Deshalb ist es wichtig, dass sich Unternehmen stärker für den Bereich Vereinbarkeit engagieren, zum Beispiel indem sie sich für das „Audit familieundberuf“ entscheiden – der Auditprozess wird gefördert und ist sehr kompakt. Als zertifiziertes Unternehmen hat man Vorteile bei Investitionen, und Mitarbeiter sowie Unternehmen profitieren davon.
Warum gelingt dieser Prozess Vereinbarkeit Familie/Beruf bei Ivoclar so gut?
Pföstl: Wir haben vielleicht den Vorteil, dass wir eine Niederlassung eines großen, internationalen Konzerns und managementgeführt sind. Das Management Board ist überzeugt davon, dass es am Ende Vorteile mit sich bringt; das haben wir als Unternehmen früh erkannt und früh darin investiert. Wir haben bereits 1994 mit Personal- und Organisationsentwicklung angefangen, zu einer Zeit, als das in Südtirol noch kaum ein Begriff war. Und dass wir damit nicht falsch gelegen sein können, zeigt auch die Tatsache, dass der Standort Naturns bei der Einführung von Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen im Mutterhaus und im gesamten Konzern einen wichtigen Beitrag leisten darf.
Wer ist dafür verantwortlich, dass die Vereinbarkeit Familie/Beruf in allen Unternehmen gelebt bzw. umgesetzt wird, dass sich der aktuelle Status quo zum Besseren wandelt? Ist es die öffentliche Hand, die Politik, die Gesellschaft, oder muss letztlich dem Unternehmer selbst „ein Licht aufgehen“?
Flarer: Für mich sind es ganz stark die Unternehmen, diese können etwas bewirken, sie haben sofort einen positiven Effekt bzw. die Mitarbeiter profitieren davon. In weiterer Folge ist es der Mitarbeiter selbst, der Eigenverantwortung übernehmen, Entscheidungen mittragen und Bedürfnisse vorbringen muss –
und da wären wir wieder bei der Kommunikation, die dort, wo es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, das große Thema ist.
Stichwort Flexibilität in den Arbeitszeitmodellen, die Frau Morandini als einen der Knackpunkte für die Vereinbarkeit bezeichnet hat: Die bürokratischen Vorgaben des Staates erleichtern eine solche nicht gerade …
Morandini: Wir sprechen hier von einem sehr komplexen Prozess, bei dem in bestimmten Bereichen an den politischen Rahmenbedingungen noch gearbeitet werden muss. Wenn wir an den sogenannten Jobs Act von 2014/2015 denken, dann hat man sich erwartet, dass dadurch die Vereinbarkeit besser werden würde, doch das hat sich nicht wirklich bewahrheitet. Viele Firmen würden gerne Erleichterungen für ihre Mitarbeiter schaffen, doch sie befürchten, damit in eine rechtliche Grauzone zu rutschen … Bei ganz banalen flexiblen Arbeitsverträgen ist Italien auf europäischer Ebene fast Schlusslicht.
Braucht es weitere Gesetze?
Morandini: Nein. Wir müssen uns aber die Frage stellen, wie wir die bestehenden Gesetze umsetzen können. Was steht dahinter für eine Kultur? Was brauchen die Betriebe dafür? Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, sie brauchen flexiblere Möglichkeiten bei den Arbeitsverträgen.
Eine Maßnahme auf politischer Ebene, die Ansporn zu vermehrtem Engagement im Bereich Vereinbarkeit sein kann, und die in anderen europäischen Ländern bereits Wirkung zeigt, ist es, Ausschreibungen etwa mit Zertifizierungen oder mit bestimmten Maßnahmen, die bereits umgesetzt wurden, zu verknüpfen. Mit so einem monetären Gewinn könnten auch Unternehmen, die nicht von der Sache per se überzeugt sind oder aus eigenen Erfordernissen so handeln, in eine bestimmte Richtung geschubst werden.
Wenn Sie mit Kollegen sprechen, Herr Pföstl, wie sehen diese die Sache? Wer steht für die Personaler im Land in der Verantwortung, um die Vereinbarkeit Familie/Beruf zu verbessern?
Pföstl: Ich bin nicht regelmäßig bei Treffen mit Personalerkollegen. Aus meiner Sicht sind wir als Unternehmer und Führungskräfte primär verantwortlich; wenn die Politik die Rahmenbedingungen verbessert und neue positive Maßnahmen gesetzt werden – umso besser. Wir sind im Betrieb so aufgestellt, dass wir auch selbst bestimmte Rahmenbedingungen schaffen können. Letztlich geht es darum, zu erkennen, wie wichtig die Vereinbarkeit ist, und überzeugt vom Nutzen zu sein. Wir sind bei Ivoclar auch der Überzeugung, dass wir Führungskräfte Vorbilder sein müssen: Wir können unseren Mitarbeitern nicht sagen, sie sollen auf ihre Familien schauen und selbst ständig zehn, zwölf oder 15 Stunden arbeiten.
Ich erlebe durchaus, dass das andere Firmen auch ganz anders sehen, sich andere Rahmenbedingungen wünschen oder auch bestimmte Dinge für nicht umsetzbar halten.
Was bei dem Ganzen aber Wesentlich ist: Vereinbarkeit Familie/Beruf ist nicht allein ein Wunschkonzert für Arbeitnehmer, sondern ein Miteinander von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Flarer: Es gibt in ganz vielen Betrieben, mit denen ich den Auditprozess beginne, seitens der Unternehmer diese Angst vor dem „Wunschkonzert“. Aber ich habe das noch nie erlebt, sondern viel eher sachliche Diskussionen, denn die Mitarbeiter wollen etwas weiterbringen, für sich etwas verbessern. Deshalb sind die Ziele und Anregungen, die genannt werden, in der Regel auch umsetzbar.
Morandini: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Arbeitnehmer in den Mediationen auch ein „Nein“ akzeptieren. Es gehen nicht immer alle Arbeitnehmer himmelhochjauchzend aus diesen Gesprächen, aber das ist auch nicht meine Aufgabe; meine Aufgabe ist es, die betroffenen Parteien an einen Tisch zu holen und das Thema, das Problem –
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eines der beiden Topthemen in meinem Bereich – für alle Beteiligten zufriedenstellend zu lösen. In diesem Prozess des Redens werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch realistischer, weil man die Frage stellt, was müssen auch sie für das Unternehmen tun. Denn wenn ich auf einer Seite etwas „bekomme“, dann bedeutet das gleichzeitig, dass ich eine Verantwortung habe, das wahrzunehmen und in den Handlungen zu zeigen. Etwa wenn das Unternehmen mal fragt, ob ich mehr arbeiten kann …
Pföstl: Genau das wollte ich auch sagen. Bei uns ist es so, dass jeder neue Mitarbeiter mit dem Thema und den Maßnahmen, die wir anbieten, vertraut gemacht wird – wobei wir auch betonen, dass es ein Geben und ein Nehmen ist. Wenn ich Kinder habe oder jemanden betreue, dann bin ich nicht nur in der Nehmerrolle, es gibt immer auch Möglichkeiten, um meinerseits die Arbeitskollegen zu unterstützen.
Zum Beispiel?
Pföstl: Es kommt immer wieder vor, dass am Samstag gearbeitet werden muss; hier kann sich möglicherweise der Partner um das Kind kümmern. Wir erwarten uns, dass sich dann auch eine Mutter mal freiwillig für einen solchen Wochenenddienst meldet, damit andere Mitarbeiter einen Vorteil haben. Es geht ganz stark um das Bewusstsein: Wir sind als Unternehmen bereit, wo möglich entgegenzukommen, es gibt dabei einen Rahmen und auch Limits, aber schlussendlich geht es immer auch um den wirtschaftlichen Erfolg. Denn wenn wir als Unternehmen nicht erfolgreich sind, haben wir am Ende alle Zeit für die Familie, weil wir keine Arbeit mehr haben. Es ist wichtig, die Mitarbeitenden über solche Konsequenzen und die Hintergründe der getroffenen Entscheidungen zu informieren, dass sie diese auch nachvollziehen können. Transparenz ist für uns ganz, ganz wichtig – in allem, was wir tun.