Ach, die gute alte Zeit! Das Leben war nicht so stressig, kein Handy machte uns immer und überall erreichbar, die Kaufkraft unseres hart verdienten Geldes war noch nicht geschwunden. Die Kinder durften noch Kinder sein, sie waren überhaupt nicht übergewichtig, ganz zu schweigen von der Jugend, die heute ja furchtbar ist und früher noch Manieren hatte. Es gab Hausgemachtes zu essen und Salat aus dem eigenen Garten. Der steuergierige Mario Monti existierte noch nicht, oder zumindest regierte er noch nicht. Unternehmer sein war viel einfacher, dank viel weniger Bürokratie und viel klarerer Gesetze.
Kurzum, wir produzieren offensichtlich Rückschritt, während wir nach Fortschritt streben. Wir wollen alles verbessern und machen alles schlechter. Wir predigen Innovation und werden dann irgendwie nicht glücklich damit. Wir bauen Klimahäuser und schwärmen vom alten Buschenschank mit seinen alten Mauern, seinem knarrenden Holzboden, seinen freiliegenden Stromkabeln und seinem gemauerten Holzherd, wo wir soeben zum Törggelen waren. Wir fahren mit unseren perfekt beheizten bzw. klimatisierten Autos durch die Gegend und schwärmen von Oldtimern ohne Servolenkung. Wir tüfteln neue Arbeitsmethoden aus und haben trotzdem immer mehr Stress. Wir ändern die Gesetze, aber anstatt stichfester werden sie nur unübersichtlicher. Wir erfinden Bürokratie – Antimafia, SOA, DURC, HACCP, Arbeitssicherheit und wie sie alle heißen –, weil damit etwas besser werden soll, aber irgendwie verfehlen wir jedes Mal das Ziel (dann braucht es neue Zettel).
Wozu also das alles? Sind wir Menschen, diese selbst ernannten Primaten, total bescheuert? Warum mühen wir uns eigentlich ab, wenn wir eh nur Schaden anrichten?
Ich gestehe, dass ich manchmal selber dem Glauben verfalle, dass früher alles besser gewesen sei. Ich begeistere mich für den alten Buschenschank – und gehe dann nach Hause, wo die Zentralheizung für wohlige Wärme sorgt. Ich stelle mir vor, wie gesund das Essen früher doch gewesen sein muss, als die Menschen noch Selbstversorger waren – und vergesse, dass in meines Vaters Kindheit (fast) jahrein jahraus Brennsuppe zum „Halbmittag“, Speckknödel zu Mittag und Erdäpfel und Speck zur Marende auf den Tisch kamen, egal, ob es den Kindern zum Hals heraushing.
Darum, jede Zeit hat ihre Sorgen und Probleme. Es war früher nicht besser, es war anders, und – mit Verlaub – es war unterm Strich schlechter! Während uns heute das warme Wasser aus dem Wasserhahn auf die Hände prasselt, musste früher das Wasser vom Brunnen in das Haus geschleppt werden. Es war eiskalt, so kalt, wie es heute nur noch auf den Schutzhütten ist, wo ich beim Händewaschen Angst vor Erfrierungen habe. Ohne Waschmaschine wäre das Leben auch nicht so toll, oder? Und – einmal ehrlich – wie wäre es ohne Handy? Setzen Sie sich einfach einmal in eine Bar und beobachten Sie die Menschen, wie sie alle paar Minuten ihr Mobiltelefon aus der Tasche kramen und verstohlen auf das Display blicken, als hätten sie Angst, einen Anruf, ein SMS oder ein E-Mail zu verpassen. Liebe Leute, wenn jemand anruft, dann klingelt das Handy, jawohl, es klingelt! Schon vergessen? Ohne Mobiltelefon gehen die Menschen heute nicht mehr aus dem Haus, und wer es einmal vergisst, fühlt sich beinahe nackt. Übrigens lässt sich ein Handy auf Wunsch auch ausschalten, wenn wir einmal nicht erreichbar sein wollen. Da soll es irgendwo eine Taste geben, wo war die doch gleich?
Wir arbeiten heute weit bequemer als noch vor ein paar Jahrzehnten, wir arbeiten sogar weniger als je zuvor, ohne dass wir es merken, wir haben Freizeit, während die selbstversorgenden Bauern und Bäuerinnen früher praktisch immer arbeiteten, wir gehen zum Sport oder ins Theater – oder beides. Wir werden älter und bleiben dabei sogar gesund. Wir können für relativ wenig Geld die ganze Welt bereisen, wenn wir nur wollen. Trotzdem reden wir uns ein, dass früher alles besser war.
Ich meine jetzt endlich den Grund dafür erkannt zu haben, weil ich Vater bin. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Ganz einfach, ich habe als Vater gelernt, dass wir die schönen Erinnerungen behalten und das Unangenehme schnell verdrängen. Sobald die Kinder ein bisschen größer sind, besinnt man sich darauf zurück, wie knuddelig sie als Babys doch waren – aber dass sie oft stundenlang weinten, für schlaflose Nächte sorgten und ständig die Hose voll hatten, das vergessen wir (und das ist gut so, sonst gäbe es ausschließlich Einzelkinder!). Was gestern war, denken wir uns schön, was heute ist, reden wir uns schlecht. Wie einfach war das Leben doch, als die Kleinkinder noch Babys waren. Wie problemlos war das Leben doch, als die Kinder noch Kleinkinder waren. Wie sorgenfrei war das Leben doch, als die Jugendlichen noch Kinder waren.
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Von wem stammt dieses Zitat? Kaum zu glauben, aber so sprach der griechische Philosoph Sokrates um 400 v. Chr. Schon damals war früher alles besser.