SWZ: Herr Doktor Schabus, wie definieren Sie Schlaf?
Manuel Schabus: Schlaf ist ein normales Verhalten des Menschen, bei dem sein Stresspegel so gering ist, dass er die Augen geschlossen hat und er von der Umwelt wenig mitbekommen kann.
Guter Schlaf ist ein Schlaf, bei dem ich ungestört bin und deshalb Tiefschlaf- und Traumphasen in vollen Zügen auskosten kann.
Aus den verschiedensten Gründen. Zum einen weil die körperliche Erholung im Tiefschlaf besser vonstattengeht, zum anderen weil laut der Wissenschaft die emotionale Verarbeitung von Tagesresten im Traumschlaf passieren soll – und weil generell Informationsverarbeitung passiert. Das bedeutet, dass Inhalte, die untertags gelernt werden, im Schlaf gestärkt und ins Langzeitgedächtnis integriert werden; dadurch habe ich dann am nächsten Tag ein besseres Gedächtnis:
… geringere Leistungsfähigkeit, mangelnde Aufmerksamkeit besonders bei langweiligeren Aufgaben, man ist im Gedächtnis schlechter. Unausgeschlafene Menschen verursachen mehr Unfälle – Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle etc. Bei chronischem Schlafentzug bzw. chronisch wenig Schlaf kann es auch zu körperlichen Beschwerden kommen, zum Beispiel Kreislaufbeschwerden oder sogar Schrumpfung gewisser Gehirnregionen.
Es gibt verschiedene Stadien, von denen wir im Laufe der Nacht mindestens drei durchlaufen. Es gibt das Leichtschlafstadium, das man N1 nennt, und in dem man vom Wachen in den Schlaf reinkommt; dann gibt es das echte Leichtschlafstadium N2, in dem man nicht mehr nach außen reagieren kann. Und es gibt den Tiefschlaf, in dem wir diese ganz langsamen Schwingungen von einem Herz pro Sekunde haben – dabei wird das Gehirn im Prinzip inaktiv und kann sich am besten ausruhen. Der vierte Zustand ist der paradoxe Schlaf oder Traumschlaf, wo sich unsere Augen schnell bewegen – genannt rapid eye movement-sleep bzw. REM-Schlaf – und wo wir diese bizarren Träume haben, die aber unter Umständen auch Funktionen erfüllen.
Muss der Mensch in all diesen verschiedenen Schlafstadien gut schlafen, um morgens erholt zu sein? Oder ist ein Stadium ganz besonders wichtig?
Das Schlechteste für die subjektive Erholung wäre das Wegfallen des Tiefschlafes, zum Beispiel durch Schlafprobleme. Wir Schlafforscher glauben allerdings, dass man die Abfolgen von verschiedenen Stadien – Leichtschlaf, Tiefschlaf, Traumschlaf – braucht. Die Abfolgen umfassen jeweils etwa 90-Minuten-Zyklen und wiederholen sich im Laufe einer Nacht immer wieder.
Werden Schlafstörungen auch in diverse Stadien oder Kategorien eingeordnet?
Es gibt diagnostische Kriterien für die Schweregrade von Schlafstörungen, zum Beispiel gibt es leichte Insomnie, mittelgradige oder schwere. Aber im Prinzip ist die Frage: Wann wird eine Schlafstörung klinisch relevant? Und das ist der Fall bei drei wahrgenommenen schlechten Nächten pro Woche über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen. Innerhalb der Schlafstörungen werden dann verschiedene Klassen unterschieden, zum Beispiel Schlaflosigkeit und Hypersomnie. An Hypersonmie leidet man, wenn man chronisch zu viel schläft oder wenn man immer müde ist. Dann gibt es auch noch die Gruppe der Parasomnien – die unüblichen Verhaltensweisen im Schlaf, wie Zähneknirschen, Sprechen oder Schlafwandeln.
Ich bin nicht der Experte für alle Schlafstörungen, sondern befasse mich in erster Linie mit der Insomnie …
Die Daten zur Insomnie zeigen auf, dass jeder Fünfte von uns irgendwann in seinem Leben eine klinisch relevante Schlafstörung – oder in dem Fall: Schlaflosigkeit – haben wird. Die Insomnie ist eine unglaublich prävalente, häufige Störung. Das hängt mit dem generellen Stress und dem generellen hyperarousal zusammen, dass wir nämlich alle übererregt sind, wenn wir ins Bett gehen. Und das mündet dann oft in einer klinischen Schlafstörung.
Die Geschwindigkeit in unserem Leben und unserer Gesellschaft sorgt demnach für Schlafstörungen?
Ja. In der westlichen Welt haben wir mehr Schlafstörungen als in anderen Ländern, in denen es weniger gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Druck, weniger Geschwindigkeit, weniger Übererregung gibt. Der Druck ist für die wirtschaftliche Leistung einer Gesellschaft gut und sinnvoll für unseren Lebensstandard, aber der Druck ist eben auch nicht einfach abschaltbar, wenn man ins Bett geht, sodass man dann gut ein- und durchschlafen kann.
Was empfehlen Sie Leuten, die Schlafprobleme haben?
Der Umgang mit dem Schlaf müsste bewusster werden. Unser Gehirn braucht zwar untertags die Erregung, um die geforderte Leistung bringen zu können. Aber für den Schlaf ist diese Erregung ein sehr ungünstiger Zustand. Deshalb müssen Betroffene schauen, dass sie vor dem Schlafengehen ihr Gehirn irgendwie beruhigen, dass sie zumindest solche Sachen wie Schlafrituale einführen – was ja auch bei Kindern gemacht wird, wenn sie nicht gut einschlafen können.
Einschlafstörungen müssen also nicht unbedingt mit Medikamenten angegangen werden?
Genau. Der Ansatz von uns Wissenschaftlern hier am Psychologischen Institut der Universität Salzburg, wo wir Grundlagenforschung betreiben, ist es, keine Medikamente geben zu wollen. Denn es gibt mit Medikamenten vielseitige Probleme, zum Beispiel eine daraus entstehende Abhängigkeit oder dass die Medikamente den Schlaf nicht normalisieren, sondern den Betroffenen nur vorspielen, dass er keine Probleme mehr hat – das ist dann aber kein gesunder Schlaf. Wir haben gesagt, wir möchten einen anderen Weg gehen, und dem Gehirn einen Zustand beibringen, den es mit Entspannung assoziiert.
Von welchem Zustand sprechen Sie?
Wir haben Patienten mit Schlafstörungen beigebracht, ihre Gehirnaktivität gezielt zu verändern und ihre Gehirnschwingungen im Wachzustand auf einen Frequenzbereich zwischen 12 und 15 Hertz zu bringen. Dieser Rhythmus kommt im Gehirn vor, wenn ich mich entspanne – und es ist lustigerweise genau derselbe, der da ist, wenn jemand einschläft und entspannt ist. Dieser sogenannte sensomotorische Rhythmus ist besonders wichtig für den Leichtschlaf und zeigt sich als Schlafspindeln im EEG vor allem während des Einschlafens.
Und wie haben es die Probanden geschafft, exakt diese für die Entspannung nötigen Wellen zu generieren?
Wir kleben den Leuten Elektroden an den Kopf. Sie sehen dann am Monitor mittels einer Kompassnadel, ob sie dem Rhythmus nahekommen bzw. sich bereits in dem 12-bis-15-Hertz-Bereich befinden. Um sich so zu entspannen, dass sie den Rhythmus genau treffen, müssen die Probanden mindestens zehn Stunden trainieren. Dann müssen sie aber auch lernen, sich zu Hause ohne Maschine in den gleichen Zustand zu versetzen. Diejenigen Patienten, die gut auf das Training angesprochen haben, verbesserten auch ihre Schlafqualität.
Es heißt, es sei angeboren, dass man eine Nachteule oder ein Morgenmensch ist. Doch wenn ich mein Gehirn zur Entspannung trainieren kann, kann ich es dann auch dazu trainieren, den Schlafrhythmus an bestimmte Erfordernisse anzupassen?
Das glaube ich nicht. Denn der Schlafrhythmus – der Zeitpunkt, wann eine Person schläfrig wird – wird vom suprachiasmatischen Nucleus gesteuert, das ist praktisch ein Zeitgeber im Gehirn, der für sich einen 24-Stunden-Rhythmus hat, und der taktet diese 24 Stunden ab, sowie er genetisch programmiert ist. Das führt zum Beispiel beim Morgenmenschen dazu, dass schon früher am Abend das Schlafhormon Melatonin ausgeschüttet wird und der dann müde wird; beim Nachtmenschen beginnt dieses Ausschütten von Melatonin erst später. Das umzustellen, kann nicht trainiert werden bzw. ich kenne keinen Biofeedback-Ansatz, das zu tun.
Manch einer erzählt, ihm würden vier Stunden Schlaf pro Nacht langen, andere sagen, mit weniger als zehn Stunden Schlaf würden sie den Tag nicht überstehen. Warum ist das Schlafbedürfnis von Erwachsenen so unterschiedlich?
Ich glaube, die Schlafforschung würde einhellig sagen, dass regelmäßiger vierstündiger Schlaf für keinen Menschen ausreichend ist. Das ist wahrscheinlich ein über Jahre angelerntes Muster, und der Betroffene merkt gar nicht mehr, was seine wirkliche Leistungsfähigkeit wäre, wenn er länger schlafen würde. Oft handelt es sich auch um Leute, die untertags ein Mittagsschläfchen machen. Es gibt Versuche mit solchen Ultrakurzschläfern: Wenn sie in einer Art Höhle bei konstanter Lichtbedingung schlafen, dann schlafen auch sie sieben oder acht Stunden. Es ist folglich nicht so, dass sie den Schlaf nicht bräuchten, sondern dass sie einfach nicht mehr merken, dass er ihnen fehlt. Das natürliche Schlafbedürfnis pendelt sich bei ungefähr acht Stunden täglich ein, plus/minus einer Stunde.
Ja, eine Hypersomnie. Das ist eine Schlafstörung, die meistens eine organische Ursache hat, zum Beispiel Schilddrüsenhormone, oder mit psychiatrischen Problemen einhergeht, zum Beispiel einer Depression oder einer Angststörung. Wenn jemand systematisch mehr als neun, zehn Stunden schläft und den Schlaf braucht, dann gehört das genauso abgeklärt, wie wenn man davon überzeugt ist, dass man mit sechs Stunden oder weniger auskommt.
Stimmt es, dass mehr Frauen als Männer unter Schlafstörungen leiden?
Bei der Insomnie ist es so: Mehr als zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen. Was der Grund dafür ist, kann ich nicht sagen. Es kann sein, dass Frauen sensibler auf ihre Umgebung reagieren. Es könnte aber auch sein, dass Frauen eher darüber berichten und sich eher behandeln lassen als Männer.
Die gibt es wahrscheinlich nicht. Es gibt einige Tipps, die man berücksichtigen sollte, die leicht umsetzbar und individuell steuerbar sind. Einer ist, dass man die Überstimulation vermeidet, zum Beispiel vor dem Schlafengehen keinen Sport betreibt – außer Sex. Dass der Raum zum Schlafen ruhig, dunkel und kühl ist. Und dass man das Bett nur mit Schlaf assoziieren sollte. Deshalb sollten Leute, die chronisch im Bett liegen und nicht schlafen können, wieder aus dem Bett rausgehen und außerhalb des Bettes schauen, müde zu werden, und erst dann wieder ins Bett zurückgehen.
Auf keinen Fall. Denn dann assoziiere ich das Bett mit Nicht-Schlafen und das darf nicht sein. Genausowenig sollte jemand, der Schlafprobleme hat, im Bett lesen oder fernsehen.
Nein. Übrigens können auch Haustiere Schlafstörungen auslösen, das besagen die Ergebnisse einiger Studien. Es gibt nämlich auch Katzen und Hunde, die schnarchen und damit „ihre Menschen“ immer wieder aufwecken und deren Schlaf negativ beeinflussen – dasselbe passiert, wenn sie übers Bett laufen oder unter die Bettdecke kriechen. Und natürlich können auch Partner, die sich im Schlaf viel bewegen oder an Parasomnien wie Sprechen leiden, die Qualität des eigenen Schlafs vermindern.