Das gibt’s doch nicht! Ich bin noch immer fassungslos, dass mir das passieren konnte! Wenn mir bis vor Kurzem jemand erzählt hätte, dass er seine eigene Bancomat-Nummer vergessen hat, nachdem er sie zuvor tausend Mal verwendet hat, dann hätte ich Mitleid empfunden: „Das Hascherle kann sich nicht einmal fünf Ziffern merken.“ Und jetzt passiert das Malheur mir!
Ich hetze an einem Freitag kurz nach Mittag ins Bozner Stadtzentrum, um ein Geschenk zu kaufen. Davor will ich an einem Bancomat-Schalter noch schnell eine Barbehebung tätigen. Ich lege meine rechte Hand auf die Zifferntastatur, um die Geheimnummer einzutippen, und verdecke sie mit der linken Hand – soll ja sicherer sein, heißt es. Ich tippe die erste Ziffer, so wie ich es Hunderte Male vorher schon getan habe, denn die Geheimnummer ist seit Langem dieselbe. Aber dann – plötzlich – zögere ich einen Augenblick. Ist die zweite Ziffer wirklich die Vier? Ja, die Vier muss stimmen. Ganz sicher bin ich aber nicht, genauso wenig mit der weiteren Ziffernfolge, weshalb ich gespannt auf die Reaktion des Geldautomaten warte. Falsch! Die Nummer ist falsch! Ich zucke zusammen, und als würde ich mich vor dem Geldautomaten schämen, ziehe ich die Bancomat-Karte eiligst aus dem Schlitz und will schon gehen. Aber nein, jetzt weiß ich die Nummer wieder. Die Vier stimmte schon, die dritte Ziffer war die falsche. Natürlich! Wie konnte ich das vergessen? Ich unternehme den zweiten Versuch, hundertprozentig sicher, diesmal richtig zu liegen. Wieder falsch!
Wie unter Schock entferne ich mich vom Automaten. Ich fühle mich beobachtet. Jemand hat ganz sicher gesehen, dass mein Versuch, Geld zu beheben, fehlgeschlagen ist. Was wird derjenige wohl denken? „Der Typ ist pleite!“ Oder: „Der versucht, mit einer gestohlenen Bancomat-Karte Geld zu beheben.“ Quatsch, was sind das doch für blöde Gedanken! Niemand hat mich beobachtet. Wer achtet schon auf einen Mann beim Geldbeheben? Während ich die Gasse entlang gehe, fällt mir ein, dass mir etwas Ähnliches schon vor vielen Jahren einmal an einer Autobahntankstelle irgendwo bei Vicenza passiert ist. Damals war die Nummer nur für ein paar Sekunden aus meinem Gedächtnis „verschwunden“ und kam dann sofort wieder, zum Glück. So wird es auch diesmal sein, beruhige ich mich selbst, und während ich das denke, bin ich schon wieder überzeugt, meine Erinnerung wiederzuhaben. Beim nächsten Bancomat-Schalter bleibe ich stehen und tippe entschlossen die Nummer ein. Ich bin ziemlich sicher, dass sie diesmal stimmt. Oder doch nicht? Nein, sie stimmt nicht! Und diesmal rückt der blöde Automat meine Karte gar nicht mehr heraus. „Ihre Karte wurde eingezogen. Wenden Sie sich an Ihre Bank.“ Das darf nicht wahr sein! Hat mich etwa der erste Automat beim zweiten Automaten verpfiffen, dass ich dort bereits zweimal falsch getippt habe und dass ich möglicherweise ein Gauner mit fremder Bancomat-Karte bin?
Das Geschenk, eigentlich der Grund meines Stadtbesuchs, kaufe ich übrigens mit Kreditkarte – 29 Euro, bezahlt mit Kreditkarte! Denn die paar Euro, die mir noch in der Brieftasche bleiben, benötige ich für die Parkgarage. Zurück in der Redaktion, erzähle ich meiner Kollegin vom Missgeschick, und sie rät mir, einfach nicht mehr zu versuchen, mich krampfhaft an die Nummer zu erinnern. Dann werde sich die Blockade in meinem Gehirn sicher lösen, die Nummer werde mir ganz sicher wieder einfallen. Ich halte mich an den Tipp, denn irgendwie brauche ich die Nummer jetzt ja sowieso nicht, so ganz ohne Bancomat-Karte.
Einen Artikel und eine Veranstaltung später – kurz vor 22 Uhr – denke ich wieder an die Nummer. Aber sie ist noch immer weg! Ich habe keinen blassen Schimmer von der zweiten und dritten Ziffer, von der vierten und fünften ganz zu schweigen, und inzwischen zweifle ich selbst bei der ersten. Die Nummernfolge ist einfach gelöscht aus meinem Kopf, nicht mehr abrufbar auf meiner Festplatte.
Nun, zu meinem Glück bin ich ein ordentlicher Mensch und habe die Geheimnummer zu Hause aufgeschrieben. Aber was an jenem Tag passiert ist, kann ich noch immer nicht verstehen. Ist eine Hirnzelle abgestorben? War es ausgerechnet jene, auf der meine Bancomat-Nummer gespeichert war? Vor einigen Wochen habe ich ja an dieser Stelle darüber geschrieben, dass ich mir die vielen Passwörter, die mir das Leben abverlangt, nicht mehr merken kann. Aber dass ich ausgerechnet die Bancomat-Nummer vergesse, hätte ich nicht im Traum gedacht. Ich weiß, wie hoch die italienischen Staatsschulen sind, wie hoch der Südtiroler Landeshaushalt, Südtirols BIP, unsere Arbeitslosenquote, ich kenne die Zahl der Landtagsabgeordneten, Parlamentarier und EU-Länder, ja sogar den Euro-Lire-Wechselkurs weiß ich noch, den heute kein Mensch mehr braucht. Und wenn, dann kann er schnell im Internet nachgeschlagen werden. Aber ich vergesse ausgerechnet meine Bancomat-Nummer. Versuchen Sie einmal, Ihre Bancomat-Nummer im Internet nachzuschlagen!
Die Aufgabe, mir fünf Ziffern zu merken, war für mich offensichtlich eine Nummer zu groß. Liebe Frauen, verzeiht euren Männern, wenn sie den Hochzeitstag vergessen. So etwas kann passieren. Plötzlich ist die Zahl weg, und man(n) weiß nicht warum. Ehrlich!