Bozen – Leo Tiefenthaler hätte sich wohl keine derartige Aufregung erwartet, als er im Rai-Interview einen von 100 Vorschlägen aus dem jüngsten Positionspapier des Wirtschaftsrings zitierte. Der Wirtschaftsringpräsident und Bauernbundobmann sprach von „einem bestimmten Ausbau des Bozner Flughafens immer im Respekt des Ergebnisses der Volksbefragung“ und entfachte damit die Spekulationen um den verhassten Flughafen neu – Spekulationen, welche die SVP-Spitze im Wahlkampf lieber vermieden hätte, denn in der hochemotional geführten Diskussion kann sie nur verlieren.
Als Reaktion auf Tiefenthalers Zitat verkündete der Bozner Bauernbundobmann Helmuth Alessandrini erbost seinen Rücktritt, obwohl er im November ohnehin aus dem Amt geschieden wäre. Der Unterlandler Stefan Zelger von der Süd-Tiroler Freiheit warf der SVP „ein falsches Spiel“ vor, „um nach der Landtagswahl zu tun, was Kompatscher und Co. immer wollten: den Flughafen ausbauen und die Start- und Landebahn verlängern!“ Die Grünen schrieben in einer Aussendung: „Neuerdings wird versucht, das politische Ergebnis (der Flughafenabstimmung, Anm. d. Red.) umzudeuten.“
Solche Aussagen klingen in den Ohren vieler Südtiroler plausibel. Warum sonst ist mehr als zwei Jahre nach der Flughafen-Volksbefragung vom Juni 2016 noch immer alles wie vorher? Und warum sonst ist die Ausschreibung für den Verkauf der landeseigenen Flughafen-Betreibergesellschaft ABD Airport noch immer nicht veröffentlicht, obwohl bald ein Jahr vergangen ist, seitdem das Land Ende September 2017 im Zuge der Ausschreibungsvorbereitung drei unverbindliche Interessenbekundungen von Fri-el, Sad und Handelskammer erhielt? Landeshauptmann Arno Kompatscher betont regelmäßig, dass das Transportministerium die Ausschreibungsunterlagen genehmigen muss. Im April zeigte sich Kompatscher gegenüber der SWZ „zuversichtlich, dass wir im Sommer eine Ausschreibung veröffentlichen können“. Warum also immer noch nichts?
Insider, die mit dieser Frage konfrontiert werden, haben keinen Zweifel, dass die Ausschreibung noch vor der Landtagswahl am 21. Oktober erfolgt, weil die SVP damit ihren guten Willen zeigen will. Sie sagen aber auch: Mit der Ausschreibung ist die Sache noch lange nicht ausgestanden, im Gegenteil. In der Zeitung zitiert werden will keiner der Experten, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, der SVP im Wahlkampf zu schaden. Sie zeigen aber einige Haken auf, die in der emotionalen Flughafendiskussion zu kurz kommen, die aber die Aussichtlosigkeit beschreiben, in welche sich Südtirols politische Mehrheit mit der Volksbefragung hineinmanövriert hat. Einen Rückzieher, sprich eine Missachtung des Abstimmungsergebnisses, will sich die SVP politisch nicht leisten, obwohl die Volksbefragung nur beratenden Charakter hatte. Die Alternativen bergen genauso ihre Tücken.
Haken 1: Die Umwidmung – Der SWZ sagte Kompatscher im April: „Nach verschiedenen Gesprächen mit Vertretern der italienischen Regierung sowie des Militärs sehe ich diese Möglichkeit aus heutiger Sicht als nicht gegeben.“ Fachleute bestätigen: Dass der Staat, welchem das Flughafengelände gehört, die Zweckbestimmung ändert, ist höchst unwahrscheinlich. Wer den Menschen von Obstwiesen und Naherholungszonen vorschwafle, wecke falsche Hoffnungen.
Haken 2: Die Zahlen – Jüngste Zahlen machen deutlich, dass der Flughafen Bozen mittlerweile mehr Flugbewegungen zählt als 2014, dem letzten vollen Jahr mit Linienflügen. Über 12.200 Flugbewegungen waren es 2017, das sind durchschnittlich 33 pro Tag. Und 2018 liegen die Zahlen bis August auf dem Niveau von 2017. Täglich landen und starten unter anderem fünf bis sechs kleinere Jets von Geschäftsleuten und betuchten Urlaubsgästen.
Haken 3: Die Ausschreibung – Es gibt mehrere Szenarien. Laut Szenario 1 findet ABD im Rahmen der Ausschreibung einen Käufer. Dieser entscheidet dann ohne Mitspracherecht für die Landespolitik (siehe Haken 7), wie er den Flughafen betreiben will. Denn: Das Land verkauft lediglich die ABD-Anteile, die Flughafenkonzession hingegen vergibt die nationale Zivilluftfahrtbehörde Enac. Theoretisch könnte ein neuer Betreiber auf Linienflüge verzichten und voll auf die – bereits zunehmenden – Privat- und Taxiflüge setzen. Er könnte den Flughafen entsprechend zurückstufen, Mitarbeiter entlassen und damit Kosten sparen. Ob die Belastung für die Anrainer dadurch geringer wird, ist zu bezweifeln.
Laut Szenario 2 geht die Ausschreibung des Landes leer aus, was laut Insidern – trotz der Interessenbekundungen – alles andere als ausgeschlossen ist. Für diesen Fall hat das Land angekündigt, ABD zu liquidieren. Dann verliert es nicht nur jegliche Einflussmöglichkeit auf den Flughafenbetrieb, sondern geht darüber hinaus finanziell leer aus. Enac schreibt die Konzession aus.
Laut Szenario 3 geht auch dieser Versuch leer aus. Dann ist offen, was der Staat aus seinem Grund macht.
Haken 4: Die Landebahnverlängerung – Dass die Landesregierung die Möglichkeit zur Verlängerung der Landebahn nicht aus dem Bauleitplan streicht, hat im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens würde damit kurz vor der Ausschreibung der Wert der Flughafengesellschaft ABD geschmälert (diese ist die Besitzerin des Grundstückes für die Bahnverlängerung) – was dem Rechnungshof wohl nicht gefallen würde. Zweitens ist die Bahnverlängerung Teil eines mehrjährigen Entwicklungsplans von ABD, der vom Transport- und Finanzministerium genehmigt wurde und über dessen Einhaltung die Enac zu wachen hat. Der Entwicklungsplan ist die Basis dafür, dass eine Flughafenbetreibergesellschaft 80 Prozent der anfallenden Flughafensteuern behalten darf, um sie für Infrastruktur- oder Sicherheitsmaßnahmen zu verwenden.
Ein neuer ABD-Eigentümer könnte somit die Landebahn verlängern (es gibt ein genehmigtes Projekt) oder aber einen neuen Entwicklungsplan ohne Landebahnverlängerung vorlegen.
Haken 5: Der Wert von ABD – Das Land hat in den vergangenen 20 Jahren Dutzende Millionen in die Infrastrukturen des Flughafens investiert. Aber: Im Rahmen der Ausschreibung kann es genau genommen nur die ABD und deren Know-how verkaufen, nicht hingegen die Infrastrukturen. Weil diese auf Demanialgrund stehen, macht der Staat seine Rechte geltend. ABD hat keine vermögensrechtlichen Ansprüche auf die Infrastrukturen, sondern gewissermaßen nur ein moralisches Recht auf deren Nutzung. Darüber hinaus besitzt die Gesellschaft nur eine provisorische Konzession (siehe Haken 6). Die Frage wird also sein, welchen Verkaufspreis das Land im Rahmen der Ausschreibung erzielen kann – und was dann der Rechnungshof sagt. Der Super-GAU mit Blick auf den Rechnungshof wäre, wenn ABD ohne Verkauf liquidiert würde.
Haken 6: Die Rechtsunsicherheit – Die ABD befindet sich in keiner sonderlich komfortablen Situation. Sie ist nicht Inhaberin einer 20-jährigen Betreiberkonzession, sondern arbeitet seit Anbeginn mit einem jährlich zu erneuernden Provisorium. Dies deshalb, weil zunächst jahrelang dem Transportministerium kein detaillierter Entwicklungsplan vorgelegt wurde und danach – als der Entwicklungsplan 2012 kam – das politische Interesse an der 20-jährigen Konzession erlosch, da die Zukunft des Flughafens ungewiss war. Ein Investor, der sich die ABD im Zuge der Ausschreibung sichert, müsste theoretisch die Konzession von Enac erhalten, weil ABD alle Voraussetzungen erfüllt. Nichtsdestotrotz sei Rekursen Tür und Tor geöffnet, meinen Insider.
Haken 7: Die Mitsprache – Indem das Land den Flughafenbetreiber ABD verkauft, verliert es jegliches Mitspracherecht darüber, was am Flughafen Bozen passiert, auch wenn dies kaum jemand wahrhaben will. Die Konzession vergibt – wie erwähnt – Enac. Dies ist der Grund dafür, dass mancher Beobachter der Landesregierung nahelegt, spätestens im Falle einer erfolglosen Ausschreibung ABD nicht zu liquidieren, sondern mit dem Verweis auf den beratenden Charakter der Volksabstimmung einen Rückzieher zu machen und ABD weiterzufinanzieren – wohl wissend, dass die politischen Nebenwirkungen erheblich wären.