SWZ: Frau Schmidt, bei den „Tagen der Nachhaltigkeit – think more about“ in Brixen werden Sie zum Thema „Die Zähmung der globalen Hochfinanz bleibt ein Balanceakt“ referieren. Was werden Sie den Zuhörern sagen? Dass zu wenig getan worden ist, um die Gefahren zu bannen?
Susanne Schmidt: Sie wollen mich zum Lachen bringen, so schwierig war das wohl nicht zu raten, oder? Nein, ernsthaft, unter anderem wird das sicherlich eine meiner Botschaften sein. Wobei es nicht an der Quantität neuer Regulierung mangelt, sondern an der Qualität. Zu viel komplexe Regulierungsbürokratie, zu wenig echte Substanz und Durchsetzung.
Nach der Finanzkrise von 2007, die zu einer weltweiten Wirtschaftskrise geführt hat – was dem Onlineportal des deutschen Handelsblattes zufolge auch Ihnen den Job in der London City gekostet hat –, wurden Forderungen nach einer Reglementierung der Finanzmärkte laut. Doch bis heute wurde der Kapital- bzw. Finanzmarkt nur geringfügig gezügelt. Warum?
Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Zum Beispiel eine sehr mächtige und mit enormen Ressourcen ausgestattete Bank- und Finanzlobby, die in den USA und in Europa sehr willensstark sowohl in der Öffentlichkeit als auch hinter den Kulissen um jeden Zentimeter kämpft. Zum Zweiten ist der politische Wille begrenzt, wirkungsmächtige Beschränkungen in der Finanzwirtschaft vorzunehmen; da besteht eine gewisse Furcht vor vermindertem Wachstum, mit Sicherheit Furcht vor der Öffentlichkeitsarbeit der Lobby, aber bei vielen Regierungen auch der Wunsch nach einem nationalen Champion. Zum Dritten kommen die Aufsichtsbehörden ihrer Aufgabe nur unzureichend nach; es mangelt an Geld, an Expertise und dem Mut, sich mit den Mächtigen der Hochfinanz anzulegen.
Kann es überhaupt gelingen, den Finanzmarkt zu reglementieren?
Das könnte sicherlich gelingen, nämlich dann, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist und wenn die Politik grenzübergreifend gleichzieht. Ansätze dazu haben wir kurz nach Ausbruch der Finanzkrise gesehen. Dieser Gleichklang innerhalb der G 20 hat allerdings nicht lange Bestand gehabt und ist zum bürokratischen Klein-Klein, zum Teil sogar zum Gegeneinander der jeweiligen Aufsichtsbehörden verkommen.
Was sind die Folgen dieser Nicht-Reglementierung? Was kommt wegen dieser Nicht-Reglementierung noch auf uns – die Bevölkerung, die Staaten – zu?
Wenn die Konjunktur und Beschäftigungslage sich überall erholt, wenn es keine Inflationsschocks gibt, wenn es keine politischen Schocks gibt, wenn eine Lösung für Griechenland gefunden wird, wenn die Finanzmärkte Ruhe bewahren und die globale Finanzwirtschaft verantwortungsbewusst handelt, wenn, wenn, wenn … Ja, wenn das alles so kommt, dann könnten wir ruhig schlafen. Aber darauf darf man sich ja wohl nicht verlassen. Ich befürchte, dass die mangelhafte Regulierung nicht nur der Großbanken, sondern insbesondere auch der sogenannten Schattenbanken, zusammen mit der exzeptionellen globalen Geldpolitik eine hochgefährliche Gemengelage darstellt, die unschwer in eine neue Finanzkrise münden kann. Die Konsequenzen für den Bürger sind bekannt: Rettung auf Staats- bzw. Steuerzahlerkosten, Rezession, Arbeitslosigkeit …
In Ihrem Buch „Markt ohne Moral – Das Versagen der internationalen Finanzelite“ plädieren Sie in Sachen Finanzmärkte für Transparenz, Regulierung und globale Abstimmung der Regierungen. Sind das utopische Ziele?
Da komme ich auf den gemeinsamen politischen Willen zurück. Der ist das A und O. Schauen Sie sich das zum Beispiel in Europa an. Da hat die Politik nicht den Willen gehabt, die Sanierung und Gesundung des Bankensystems zu forcieren, denn das hätte noch mehr Geld gekostet, und die Banken hätten noch lauter geschrien und die Politik öffentlich damit erpresst, dass solche Maßnahmen angeblich zwangsläufig zu Arbeitsplatzvernichtung und zum Einbruch der Wirtschaftsleistung führen. Stattdessen hat sich die Politik auf die EZB verlassen, die Banken durch enorme Kredite aufrecht und liquide zu halten. Und immer, wenn es irgendwo knirscht, gibt es neue Kredite. Das ist eine sehr ungute Entwicklung. Das verschwendet Ressourcen und führt zur Aufrechterhaltung von Zombie-Banken. Insofern haben Sie vielleicht recht, vielleicht ist das utopisch. Das wäre allerdings keine gute Vorstellung. Denn dann wird mit substantiellen Maßnahmen so lange zugewartet, bis wir in eine neue, wahrscheinlich noch leidvollere Finanzkrise hineinschlittern. Das kann aber nun wirklich keiner wünschen wollen.
Wie könnte eine Finanzmarkt-Regelung, die in allen Staaten der Erde gilt, durchgesetzt werden?
Wir brauchen keine Regulierung, die sofort für alle Jurisdiktionen gilt, das kann auch Schritt für Schritt geschehen. Sie beobachten zum Beispiel, dass die Märkte selbst Druck ausüben. Die fordern von den globalen Banken ein höheres Eigenkapitalpolster als das derzeit regulatorisch vorgeschrieben ist. Solche Banken, die das nicht schaffen, werden mit einem niedrigen Aktienkurs bestraft. Auch externer politischer Druck kann eine Menge bewirken. Ohne die Brachialgewalt der US-Behörden würde die Schweiz immer noch ihre Klientel mit dem Bankgeheimnis anwerben. Ich könnte mir vorstellen, dass eine stringente Regulierung entweder in Europa oder in den USA Signalwirkung haben und langsam aber sicher globale Standards setzen könnte, u.a. auch, weil die Investoren von sichereren Banken profitieren werden. Der Gefahr eines solchen Vorgehens bin ich mir bewusst. Der Gefahr nämlich, dass die Finanzmärkte in weniger regulierte Regionen abwandern oder dass für die schärfer regulierten Banken ein Wettbewerbsnachteil entsteht. Das ist das Argument der Finanzlobby. Wen wundert es? Denn eine Neuregulierung, die schlagartig überall auf der Erde eingeführt wird, ist nun wirklich utopisch. Und da das so ist, sollte man der Lobby zufolge doch bitte beinahe alles beim Alten lassen.
In Ihrem Buch „Das Gesetz der Krise – Wie die Banken die Politik regieren“ fordern Sie, die Politik müsse in den Krisenländern Wettbewerb und Wachstum zum Thema Nummer eins machen – und eine stringente Finanzmarktregulierung durchsetzen. Wenn der Politik das nicht gelinge, werde am Ende der Bürger alles zahlen müssen – so wolle es das Gesetz der Krise. Was denken Sie: Werden die Bürger zahlen müssen?
Die politische Stabilität einer Gesellschaft hängt wesentlich von nachhaltigem Wachstum, der Prosperität der Bürger und von einer relativ fairen Einkommensverteilung ab. Dafür gibt es eine Reihe von interdependenten Bedingungen. Wettbewerb und eine gesunde und faire Deregulierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes sind u.a. notwendige Bedingungen. Genauso wie ein gesundes und krisenresistentes Finanzsystem eine notwendige Bedingung ist. Für das Letztere müssen wir versuchen, die systemischen Gefahren, die im globalen Finanzsystem vorhanden sind, zurückzudrängen. Da gibt es zum Beispiel das ungelöste Problem des „Too Big To Fail“ oder das der kaum vorhandenen Regulierung des Schattenbankensystems. In diesem sind die systemischen Gefahren seit Ausbruch der Finanzkrise noch deutlich angestiegen, und eine ausreichende Transparenz ist nach wie vor nicht gegeben. Auch die unheilvolle wechselseitige Abhängigkeit von Staaten und ihren jeweils nationalen Banken muss endlich durchbrochen werden. Insbesondere in den Krisenstaaten halten die Banken einen signifikanten Anteil von Anleihen des eigenen Staates. Bei einer Bonitätsverschlechterung des Staates oder der Banken kann es zu fatalen Wechselwirkungen kommen.
Im Zentrum der „Tage der Nachhaltigkeit“ stehen die nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweise. Gibt es bzw. kann es überhaupt einen nachhaltigen Finanzmarkt geben
Warum sollte es keinen nachhaltigen Finanzmarkt geben können? Eine Finanzwirtschaft, die sich als Dienstleister für die Realwirtschaft versteht, nicht zum Selbstzweck degeneriert und sich nicht auf die implizite Staatsgarantie verlässt, würde ich durchaus als nachhaltig bezeichnen wollen.
Wie würde ein solcher aussehen?
Institute müssen sicherer werden, Exzesse bekämpft werden; zum Beispiel durch höheres Eigenkapital, Entflechtung, Wiederherstellung des Konnexes zwischen Geschäft und Haftung, Verminderung des globalen Derivatehandels, einheitliche Bilanzierungsregeln, höhere Transparenz, Bekämpfung der Selbstbedienungsmentalität. Die Latte ist lang und kann sicherlich nicht von heute auf morgen abgearbeitet werden.
Globalisierung und internationaler Wettbewerb versus Nachhaltigkeit – welches Konzept wird sich durchsetzen?
Sind das wirklich sich gegenseitig ausschließende Alternativen? Ich meine, verantwortungsbewusstes Wirtschaften lässt sich sehr wohl mit Wettbewerb und Globalisierung vereinbaren. Ich denke da zum Beispiel an eine Reihe von deutschen Mittelstandsfirmen. Die begreifen sich vielfach als „Stakeholder“, fühlen sich ihrer Belegschaft, ihren Kunden, ihren Zulieferern und ihrem Standort sehr verpflichtet und kommen dieser Verpflichtung auch nach. Dennoch gehören viele von ihnen zu den globalen Spitzenreitern auf ihrem Gebiet und sehen sich scharfem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Das lässt sich also durchaus vereinbaren. Dazu bedarf es allerdings international vertraglich gesicherter Standards, nicht nur bezüglich des Produktes oder der Dienstleistung selbst, sondern zum Beispiel auch der Arbeitsbedingungen im Herstellungsland; und es braucht ein international kompatibles Wettbewerbsrecht. Diese Standards und rechtlichen Vorschriften müssen von starken Aufsichtsbehörden überwacht und etwaige Verstöße geahndet werden. Das ist ein langwieriger Prozess, geht aber in die richtige Richtung.