An einem Montagmorgen klingelte mein Telefon. Es war mein Unternehmerfreund, der sich kurzfristig mit mir verabreden wollte. Eigenartig, dachte ich mir. Denn normalerweise war er im Jahresendspurt immer rund um die Uhr eingespannt und kaum verfügbar. Am Tag danach saßen wir dann auch schon gemeinsam bei einem Kaffee. Kaum hatten wir uns hingesetzt, legte er los: „Stell dir vor, am Sonntag war ich mit einigen Kunden und Lieferanten auf dem Zapfenfest. Die Stimmung war wirklich super. Aber beim Schlager ‚Herzschmerz‘ blieb mir dann mein eigenes fast stehen. Plötzlich drängte sich ein Politiker ins Zelt, und – du wirst es kaum glauben – wenig später überließ man ihm dann auch noch die Bühne. Er wolle die Grenzen des Landes schützen und für mehr Sicherheit sorgen, so seine einfache Botschaft an das Publikum. Abgerundet wurde das Ganze mit einem dreifachen ‚Prosit der Gemütlichkeit‘. Eine groteske Szene. Ich hatte natürlich erhebliche Mühe, meinen Gästen diesen Auftritt zu erklären. So etwas hatten die nicht erwartet.“ Ich nahm einen Schluck Wasser und erwiderte ihm trocken: „Willkommen im Populismus!“ Überrascht schaute er mich an. „Genau darüber wollte ich mit dir sprechen. Was geht hier ab? Wie siehst du diese Entwicklung? Und was kann das für unsere Wirtschaft bedeuten?“.
Ich hatte mich über den Sommer mit dem Thema ein wenig auseinandergesetzt. Vor allem die Studien von Bridgewater Associates (Populism: The Phenomenon), von AllianceBernstein (The Rise of Populism: Strategic Implications) und Allianz Global Investors (The Economics of Populism) ermöglichen interessante Einsichten. Ich war also durchaus in der Lage, meinen Unternehmerfreund einige Antworten zu geben.
„Wir leben in einer Zeit, wo der Populismus wieder Aufwind hat. Das gilt sowohl für links als auch für rechts. Wahrscheinlich erleben wir gerade die weltweit stärkste Welle seit 1930. Die Ursachen dafür sind nicht ganz einfach auszumachen, zusammengefasst fußen sie wohl auf folgenden Faktoren:
- Wirtschaftliche Ungleichheit – Die Kluft zwischen ärmeren und reicheren Gesellschaftsschichten scheint größer zu werden. In den USA kann man das definitiv nachweisen, in Europa ist das hingegen nicht so eindeutig feststellbar. Sicherlich hat die Niedrigzinsphase Menschen mit Vermögen viel Rückenwind gegeben. Gleichzeitig wurden auch verschuldete Haushalte entlastet.
- Soziale Unsicherheit – Hier spielen vor allem Themen wie Immigration, globaler Handel und entstehende Ungleichgewichte und Technologie eine Rolle. Wichtig ist auch, wie diese Themen durch die Medien potenziert werden. Manchmal gehen Wahrnehmung und Realität auseinander. Interessant ist, dass auch der technologische Wandel, die Digitalisierung und die Automatisierung, Unsicherheit verbreitet.
- Politische Ineffizienz – Es setzt sich das Gefühl durch, dass die aktuelle Politik nichts ausrichten kann und die Gesellschaft und Wirtschaft sogar lähmt.
Populistische Politiker spielen gekonnt mit den Ängsten der Menschen und ermutigen den einfachen Mann, sich gegen die Eliten und Mächtigen aufzulehnen. Sie versuchen, die Gesellschaft zu spalten und sie in ein „Wir“ und ein „Sie“ aufzuteilen. Sie versprechen großspurig, das aus ihrer Sicht marode und korrupte System zu sanieren und auf Effizienz zu trimmen. Sie lehnen sich gegen übernationale Abkommen und Institutionen auf und stehen dafür ein, nationale Interessen kompromisslos durchzusetzen. Sie wollen den Einfluss der öffentlichen Hand gegenüber der Privatwirtschaft stärken. Kritische Medien werden attackiert. Grenzen werden wieder sichtbar. Ihren Anhängern versprechen sie eine Umverteilung von Vermögen, weg von den Eliten und hin zum Volk. Der Populist spielt vor allem eins: den starken Mann!
Bei der Untersuchung der Wirksamkeit populistischer Regierungen hat man festgestellt, dass es über die Zeit durch die meist sehr kurzsichtige Wirtschaftspolitik zu erheblichen Defiziten kommt – bis hin zum Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften. Welche wirtschaftlichnegativen Szenarien sind also unter populistischen Regierungen denkbar?
1. Die aggressivere Grenzpolitik schadet der Wirtschaft. Der freie Handel wird eingedämmt, wodurch sich der internationale Wettbewerb reduziert. Auch geschulte Arbeitskräfte – aktuell bereits Mangelware – können nicht mehr frei zwischen den Ländern zirkulieren, was den Wissenstransfer einschränkt. Zusätzlich könnte uns die schwache europäische Demographie durch die Verhinderung der Einwanderung wirtschaftlich zum Verhängnis werden.
2. Die Einführung von Zöllen bewirkt Inflation. Importierte Waren werden durch Zölle teurer und werden mit Preiserhöhungen am Endprodukt weitergereicht. Der Wettbewerb wird bei Fertigwaren durch Einfuhrzölle abgeschwächt, womit für den Konsumenten letztendlich weniger Auswahl und höhere Preise entstehen. Dem könnte der Staat – wie in vielen Entwicklungsländern historisch der Fall – durch Preiskontrollen entgegenwirken.
3. Der Staat mischt sich stärker in die Privatwirtschaft ein. Schlüsselindustrien oder wichtige Infrastrukturen könnten verstaatlicht werden oder unter staatlichen Einfluss kommen – wobei der Staat historisch keine großen Fähigkeiten als Eigentümer an den Tag gelegt hat.
4. Die Staatsausgaben werden erhöht und durch die Anhebung der Steuern gegenfinanziert. Die Staatsausgaben werden zum Teil auch zur Umverteilung von Vermögen verwendet. Betriebe und wohlhabendere Privathaushalte werden für die expansive Ausgabenpolitik zur Kasse gebeten.“
„Das ist nicht besonders erbaulich!“ unterbrach mich mein Unternehmerfreund und runzelte die Stirn. „Nein, der Aufwind der Populisten kann wirtschaftlich erhebliche Nachteile bringen“, erwiderte ich bestimmt. „Meine Hoffnung bleibt die, dass der Bluff der Populisten bald durchschaut wird, ehe größeres Unheil entsteht. Ich vertraue auf die kritischen, demokratischen Kräfte in unserer Gesellschaft, welche den Wert der europäischen und internationalen Zusammenarbeit für Frieden und wirtschaftliche Prosperität sehen. Natürlich müssen die aktuellen Probleme auch angegangen und beseitigt werden, die erheblichen populistischen Kollateralschäden wollen wir aber tunlichst vermeiden!“. „Ja, aber was ist die langfristige Medizin gegen Populismus?“, hakte nun mein Freund nach. Darauf ich: „Wenn wir uns auf die drei beschriebenen Ursachen konzentrieren wollen, würde ich Folgendes sagen:
- Wirtschaftliche Ungleichheit – Die Großunternehmen sind gefordert, sich wieder verstärkt auf das Modell der sozialen Marktwirtschaft rückzubesinnen. Reinhard Mohn beispielsweise, ein Vorreiter dieser Gesinnung, führte bei der Bertelsmann AG bereits in den 1950er-Jahren eine Gewinnbeteiligung und Vermögensbildung für Mitarbeiter ein. Der jahrzehntelange Erfolg von Bertelsmann und die partnerschaftliche Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen sind weitum bekannt.
- Soziale Unsicherheit – Immigration, Globalisierung und technologischer Wandel bleiben große Herausforderungen. Da eine gut ausgebildete Gesellschaft diese Themen meistern kann, plädiere ich für eine massive Bildungsoffensive in allen Stufen mit überdurchschnittlicher Bezahlung der Lehrkräfte – inklusive spezieller Bildungswege für Zugewanderte. Für mich der einzig richtige Weg.
- Politische Ineffizienz – Ineffizienz kann nur durch fähige Personen behoben werden. Und fähige Personen sollen überdurchschnittlich verdienen können. Nur dann werden gute Köpfe den Weg in die Politik finden. Gute Politik ist Knochenarbeit und verlangt eine sehr hohe Leistungsbereitschaft. Managerlöhne sind deshalb ein Muss. Die Diskussion, dass Politiker möglichst wenig verdienen sollen, finde ich kurzsichtig und dumm.“
Daraufhin tranken wir noch den Kaffee aus, und ich verabschiedete mich schmunzelnd mit den Worten: „Ein Prosit der Gemütlichkeit.“