Bozen – Ganze 54 Seiten lang ist das Regierungsprogramm, das die SVP mit ihren möglichen Koalitionspartnern Fratelli d’Italia, Lega, Lista Civica und den Freiheitlichen ausgearbeitet hat. Sieben dieser Seiten sind den Bereichen Wirtschaft, Landwirtschaft und Arbeit gewidmet, wenngleich auch andere Programmbereiche für die Wirtschaft in Südtirol relevant sind – darunter Digitalisierung, Wohnen und Mobilität.
Das Regierungsprogramm, das den Segen der fünf genannten Parteien hat, dessen Umsetzung aber von einer Einigung bezüglich Zusammensetzung der Landesregierung abhängt (bei Redaktionsschluss gab es dazu noch keine Klarheit), beinhaltet viele erwartbare Punkte, aber auch neue Ansätze. In dieser Analyse konzentriert sich die SWZ auf die wirtschaftsrelevanten Inhalte.
Möglichst weniger Abgaben statt aufwendige Beiträge
Als oberstes Ziel der Wirtschaftspolitik setzen die Koalitionspartner den Erhalt und Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Standortes Südtirol fest. Dafür brauche es geeignete Rahmenbedingungen. „Dazu gehört einerseits eine gezielte Förderung, besonders im Bereich der Innovation, aber auch die Steuerentlastung, auf die Südtirol nur in reduziertem Ausmaß Einfluss hat, aber jedenfalls seiner Verantwortung gerecht werden will“, heißt es im Programm.
Um bei den Steuern zu bleiben: Die neue Regierung will die Abgabenbelastung für Unternehmen so gering wie möglich halten und – wo möglich oder sinnvoll – weiter reduzieren. „Im Gegenzug kann das Beitragsvolumen gezielt reduziert werden, besonders dort, wo der Aufwand den Nutzen übersteigt.“ Demnach soll den Betrieben mehr Geld auf den Konten bleiben, während gleichzeitig der Förderdschungel etwas aufgeräumt wird.
Irap-Reduzierung an Kriterien gekoppelt
Konkrete Änderungen bahnen sich bei der regionalen Wertschöpfungssteuer Irap an. Sie wurde vor zwei Jahren trotz Protest der Wirtschaftsverbände von 2,68 auf 3,9 Prozent erhöht und im Vorjahr – beschränkt auf 2023 – wieder auf 3,3 Prozent gesenkt. Landeshauptmann Arno Kompatscher will eine Idee umsetzen, die er schon seit vielen Jahren mit sich herumträgt, die bislang aber nie einen Konsens bei den Sozialpartnern fand: die Koppelung einer vergünstigten Irap an Kriterien zugunsten der Mitarbeitenden.
Im Regierungsprogramm ist die Rede davon, dass jene Arbeitgeber von einer Irap-Reduzierung profitieren sollen, die „mittels entsprechender Abkommen zwischen Sozialpartnern (territoriale Ebene oder Betriebsabkommen) höhere Lohnniveaus garantieren oder Welfare-Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Familie-Leben-Beruf für Mitarbeiter umsetzen. Ebenso können andere Kriterien, die von den vertretungsstärksten Sozialpartnern über ein Rahmenabkommen erarbeitet werden, Grundlage für diese Irap-Reduzierung sein.“
Die neue Regierungskoalition will sogar noch einen Schritt weiter gehen: Es soll auch geprüft werden, ob die genannten Abkommen zwischen den Sozialpartnern als Vorzugskriterium bei „Leistungen und Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Landes“ gelten sollen. Welche Leistungen und Maßnahmen gemeint sind, ist im Programm nicht angeführt.
IDM bleibt Südtirols Wirtschaftsdienstleister
Zu einer Aufspaltung des öffentlichen Wirtschaftsdienstleisters IDM, die in der vergangenen Legislatur nach einem entsprechenden Landtagsbeschluss im Raum stand, wird es nicht kommen. Im Regierungsprogramm heißt es unmissverständlich, dass die IDM Dienstleister für das Land und seine Wirtschaftstreibenden bleibt. „Die Organisation, die sich besonders um die Vermarktung der Destination sowie ihrer Produkte und Dienstleistungen unter Nutzung der Brückenfunktion kümmert, wird entsprechend dem bereits erarbeiteten Reorganisationspapier unter Beibehaltung der Zuständigkeiten in einigen Punkten optimiert“, steht ergänzend.
Die Baustellen im Tourismus
Für den Tourismus plant die Regierung Kompatscher III, die „ungleiche Wettbewerbssituation zwischen Kurzzeitprivatzimmervermietern (Stichwort Airbnb, Anm. d. Red.) und Tourismustreibenden“ zu überwinden. Dies etwa durch eine Erhöhung der Gemeindeimmobiliensteuer Gis auf kurzzeitig vermietete Wohnungen.
Rund um die Bettenobergrenze ist im Regierungsprogramm nichts zu lesen, wobei die entsprechenden Maßnahmen ja bereits getroffen und derzeit in Umsetzung sind. Als Baustellen im Tourismus wurden im Programm unter anderem die Entwicklung einer wirksamen Besucherstromlenkung mit Hotspot-Management, die Ausrichtung auf mehrere Gästemärkte und eine bessere saisonale Verteilung der touristischen Präsenz ausgemacht.
Die Tourismusgesinnung soll ebenso erhöht werden „durch das Spür- und Nutzbarmachen der Vorteile touristischer Aktivität und Infrastruktur für die Erhöhung der Lebensqualität der ansässigen Bevölkerung, auch unter Verwendung von Mitteln aus der Ortstaxe.“
Mehr Regionalität bei Auftragsvergaben
Spezifische Unterstützung kann sich der Handel erwarten. Die neue Regierung will gezielt in die Orts- und Stadtentwicklung investieren, um den stationären Handel und die Nahversorgung zu fördern. Initiativen soll es nicht nur in der Peripherie geben, sondern auch – und das ist wohl die Handschrift der italienischen Parteien – in den Stadtvierteln. Zudem will man der Unterstützung des Generationenwechsels und von Digitalisierungsmaßnahmen im Handel besondere Beachtung schenken.
Ebenso zur Stärkung der lokalen Betriebe sollen Nachbesserungen in der öffentlichen Auftragsvergabe beitragen, indem die Spielräume „im Sinne von mehr Regionalität und Kleinunternehmerfreundlichkeit optimal genutzt werden“. Wesentlich sei dafür auch der Ausbau der Autonomie: Die Wiederherstellung der autonomen Kompetenzen nimmt im Regierungsprogramm viel Platz ein.
Viel Hilfe für die Landwirtschaft
Im Bereich Landwirtschaft ist im Abkommen eine ganze Reihe von Punkten enthalten, darunter die Unterstützung der Viehhaltungsbetriebe hinsichtlich der neuen Richtlinien zum Tierwohl, ein Programm zur Unterstützung der genossenschaftlichen Milchverarbeiter, Hilfe für die Bergbauernbetriebe in Extremlagen und die Entwicklung neuer Zu- und Nebenerwerbstätigkeiten (ohne Beispiele zu nennen).
Ein Zuckerle für die Bauerschaft könnte Agrifotovoltaik sein, also Fotovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen, die heute nicht möglich sind. Es soll Studien bzw. Pilotprojekte auf infrastrukturnahen Obstbauflächen mit wissenschaftlicher Begleitung geben, wobei das Landschaftsbild zu berücksichtigen sei.
Rotationsfonds kommen zurück
Das Koalitionsabkommen sieht die Wiedereinrichtung der Rotationsfonds für die Finanzierung der Unternehmen vor. Wörtlich ist ergänzt, dass die Wiedereinführung „auch in Kombination mit den Garantiegenossenschaften, zur Förderung von impact-investment (Ausstieg aus fossiler Energie, Energieeinsparung, Digitalisierung, usw.)“ erfolgen soll.
Die Rotationsfonds wurden vor einigen Jahren abgeschafft, da sich die Betriebe dank der Niedrigzinsen auch am Kapitalmarkt günstig finanzieren konnten (und weil das Land das Geld in der Coronakrise anderweitig brauchte). Nach den enormen Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank ist der Ruf der Wirtschaft nach einer Wiedereinführung der Rotationsfonds laut geworden.
Daneben weiter vorantreiben will die Regierung alternative Finanzierungsformen für Unternehmen, nachdem die öffentlich kontrollierte Gesellschaft Euregio Plus bereits in den vergangenen Jahren entsprechende Fonds aufgelegt hat.
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Weiters haben die fünf wahrscheinlichen Regierungsparteien festgeschrieben, dass bei der Ausweisung von Gewerbebauland der Fokus auf bestehenden Immobilien und Erweiterungen von bereits bestehenden Gewerbegebieten steht. Die Maßnahmen zum Klimaschutz will man so gestalten, dass sie möglichst zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen – bei gleichzeitig geringstmöglichen wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Auflagen.
Maßnahmen im Zusammenhang mit Innovation (öffentliche Investitionen und Förderungen) und Wohnen (Wohnbauoffensive hinsichtlich Mietmarkt) sollen dafür sorgen, hochqualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen und dem „brain drain“, also der Abwanderung hochqualifizierter Menschen, entgegenzuwirken. Gegen Arbeitskräftemangel und Abwanderung von Fachkräften soll es gleich ein ganzes Maßnahmenpaket geben, das etwa zusätzliche (duale) Ausbildungsangebote und die Umsetzung des lokalen Weiterbildungsfonds beinhaltet.
Orientierungspraktika und Sommerjobs für Jugendliche sollen schon ab 14 Jahren möglich gemacht werden. Mit dem Staat werde weiter daran gearbeitet, den Beginn einer Berufsausbildung im Handwerk bereits ab 14 zu ermöglichen.
Generell ebenfalls wichtig für die Wirtschaft: Die Regierung sichert einmal mehr Bürokratieabbau – auch mithilfe der Digitalisierung – zu.
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Wie die Verbandsbosse reagieren

Philipp Moser, Präsident des Handels- und Dienstleistungsverbandes (hds), vermisst in der dreiseitigen Einleitung des Regierungsprogrammes mit den Schwerpunkten eine explizite Nennung der Wirtschaft, die schließlich das Rückgrat des Südtiroler Wohlstandes sei. Auch sei es ernüchternd, dass der Bereich Wirtschaft erst am Ende des Programmes behandelt wird. Ansonsten findet Moser das Programm inhaltlich gut: „Angefangen bei der Verschlankung der öffentlichen Verwaltung und der Digitalisierung von Abläufen, wofür ein eigener Landesrat vorgesehen ist.“ Genauso positiv sei der Ausbau des Breitband- und 5G-Netzes – und ganz besonders die Stärkung der lokalen Kreisläufe, der Nahversorgung, der Orts- und Stadtentwicklung und der Tourismusgesinnung. Wichtig sei weiters die im Programm enthaltene Irap-Reduzierung und die Anpassung des öffentlichen Vergabewesens zugunsten lokaler Unternehmen. Der Bereich leistbares Wohnen ist dem hds-Präsident hingegen zu vage formuliert. Und dass für die IDM nur ein paar Korrekturen angedacht sind, habe ihn erstaunt.
„Positiv gestimmt“

Martin Haller, Präsident des Handwerkerverbandes lvh, sagt: „Grundsätzlich gibt es einige gute Ansätze, wie die Förderung der Kooperationen zwischen Betrieben oder auch das Augenmerk auf unsere Klein- und Kleinstbetriebe bei der Auftragsvergabe. Auch die für uns wichtige Thematik der Eindämmung der Abgabenlast wird erwähnt.“ In den allgemeinen Grundsätzen werde zudem der Abbau der Bürokratie erwähnt sowie die Möglichkeit, im Handwerk bereits mit 14 Jahren eine Ausbildung zu beginnen, ist Haller zufrieden. „Was uns ein wenig fehlt, ist der direkte Verweis auf das Handwerk als wichtigster Lehrlingsausbilder in Südtirol und seine Rolle in der Gesellschaft. Am Ende kommt es darauf an, dass insbesondere die Maßnahmen im Bereich Bürokratieabbau auch angegangen und umgesetzt werden. Wir sind jedoch grundsätzlich positiv gestimmt“, so der lvh-Chef.
„Relativ wenig Aufmerksamkeit“

Auch Manfred Pinzger, Präsident des Hoteliers- und Gastgewerbeverbandes (HGV), bemängelt, dass die Bereiche Wirtschaft und Arbeit am Ende des Regierungsprogrammes angesiedelt sind. Zudem werde zwar der Tourismus, aber nie das Gastgewerbe als solches erwähnt. „Unserem Sektor, der Treiber für andere Branchen und Jobmotor ist, wird relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt“, findet Pinzger. Er vermisst unter anderem Maßnahmen in Bezug auf die Schaffung adäquater Personalunterkünfte. „Und bei bestehenden Betrieben im alpinen Grün fehlen urbanistische Parameter, was sie dürfen und was nicht. Derzeit dürfen diese Betriebe in ihrer Entwicklung gar nichts tun“, bemängelt der HGV-Präsident. Positiv seien im Koalitionsabkommen die Schwerpunkte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Sicherheit.