Innsbruck/Bozen – Learning by Doing, Lernen durch Machen bzw. Handeln: So heißt ein pädagogisches Konzept, das in der Gesellschaft in vielen Bereichen angewandt wird. Diesem liegt die Annahme zugrunde, dass der Mensch Neues am besten lernt, indem er es selbst ausprobiert und dabei Fehler macht. Beim Einlernen neuer Mitarbeitenden bedienen sich zahlreiche Unternehmen dieser Methode: Sie lassen sie neue Arbeitsschritte und -prozesse direkt im Arbeitsalltag ausprobieren, Fehlermachen ist erlaubt. Allerdings ist das nicht in jeder Branche möglich. Denn in manchen Umgebungen muss fehlerfrei gearbeitet werden, und zwar zu 100 Prozent. Und genau da setzt die Geschäftsidee des Tiroler Start-ups Innerspace an.
Learning by Doing in der virtuellen Realität
Innerspace entwickelt Virtual-Reality-Simulatoren für sogenannte kritische Umgebungen, in denen Menschen fehlerfrei arbeiten müssen. Ein Beispiel dafür sind sterile Labore. Gearbeitet wird dort mit Schutzanzügen, mit Mundschutz und Schutzbrillen. Die Mitarbeitenden hantieren mit chemischen oder biologischen Substanzen, jeder Arbeitsschritt muss sitzen. Fehler können für sie selbst, oder auch für andere, etwa, wenn Medizin hergestellt wird, gefährlich sein. Im schlimmsten Fall können sie sogar fatale Folgen haben. Ein Einlernen neuer Mitarbeiter:innen direkt am Arbeitsplatz ist in solchen Umgebungen schwierig.
Fehlermachen erlaubt
„Mit der Software von Innerspace können Arbeitsschritte in der virtuellen Realität ausprobiert und geübt werden. Auch Fehler dürfen hier, anders als in der Realität, gemacht werden“, erklärt Walter Ischia, der Geschäftsführer von Innerspace. Die Software des Start-ups bildet die Arbeitsbedingungen, in denen die Menschen später arbeiten werden, in der virtuellen Realität nach. Durch die virtuelle Brille sehen sie die Räumlichkeiten, genauso wie Oberflächen, die desinfiziert werden müssen, Gefäße mit unterschiedlichen Flüssigkeiten und Geräte, mit denen sie später arbeiten werden. Fehlermachen ist hier, in der virtuellen Realität (VR) nicht tabu, im Gegenteil.
Fehler, die in der virtuellen Welt gemacht werden, können in der Realität besser vermieden werden. Wenn etwa zwei Substanzen vermischt werden, die nicht in Kontakt miteinander kommen dürfen, scheint eine Fehlermeldung auf. Auch falsche Bewegungen werden sofort als solche kenntlich gemacht. Das Prinzip ähnelt jenem des Flugsimulators, wo angehende Pilot:innen das Fliegen erlernen. „Auch dort wäre es undenkbar, Laien, die nur theoretische Ausbildung erfahren haben, an das Steuer eines Flugzeugs zu setzen“, sagt Ischia.
Kunden: große, bekannte Pharmakonzerne

Spezialisiert hat sich das Innsbrucker Start-up – gegründet wurde es im Jahr 2017 – mittlerweile auf den pharmazeutischen Bereich. Die Kund:innen sind Life-Science-Unternehmen wie Pharmakonzerne. Ihre Namen, die nur unter vorgehaltener Hand genannt werden, sind vielen ein Begriff.
Dass sich das Start-up im pharmazeutischen Bereich angesiedelt hat, hat mehr oder weniger der Markt entschieden. Vor einigen Jahren hatte Sebastian Scheler, studierter Psychologe, eine Geschäftsidee: Er wollte virtuelle Realität so einsetzen, dass dadurch Lernen ermöglicht wird. Gemeinsam mit seinen beiden Co-Foundern, Bernhard Fercher und Andreas Berger, ging er der Frage nach, wo Virtual-Reality-Simulatoren im Ausbildungsbereich noch Potenzial hätten. Bereits in dieser frühen Phase holten sie sich einen Business-Coach an die Seite: Walter Ischia.
„Einige Kunden, die selbst das Produkt benötigen, fanden unseren Ansatz erfolgsversprechend, sodass sie über Projekte das Start-up bereits in einer frühen Phase mitfinanziert haben.“

Seit 2018 hat sich das Unternehmen auf die Entwicklung von Virtual-Reality-Simulatoren für kritische Produktionsbereiche in der Life-Science-Industrie, darunter Reinräume, spezialisiert. Ein Anwendungsbereich, in dem die Software von Innerspace zum Einsatz kommt, ist die aseptische pharmazeutische Produktion, also die Herstellung von Medikamenten, die keimfrei sein müssen. Ein Beispiel? Covid-Impfstoffe. „Wenn dort fälschlicherweise in einem Labor bei der Herstellung Keime hineingeraten, kann das schlimme Folgen haben“, so Ischia.
30 Mitarbeitende, zwei Finanzierungsrunden
Von den drei ursprünglichen Gründern (einer von ihnen, Bernhard Fercher, arbeitet nicht mehr aktiv mit, sondern ist nur noch Gesellschafter) ist das Team mittlerweile auf über 30 Mitarbeitende gewachsen, Tendenz steigend. Seine erste Finanzierungsrunde beendete das Start-up Anfang 2020. Zu diesem Zeitpunkt stieg Walter Ischia finanziell ein, mit einem Investment der Firma MAD Ventures, an der er beteiligt ist (siehe beistehendes Interview). „In den ersten Jahren war ich eher ein Coach für die Gründer.
Nach und nach habe ich dann immer mehr den Vertrieb und die wirtschaftliche Seite übernommen und bin so immer weiter in das Start-up ,hineingerutscht‘“, sagt Ischia. Heute bildet er, gemeinsam mit Sebastian Scheler und Andreas Berger, die Geschäftsleitung. Er nehme sich selbst aber nicht als Investor wahr, meint Ischia. „Ich sehe mich immer noch als Start-upper, auch wenn meine Haare mittlerweile grauer sind als damals, als ich es zum ersten Mal war.“
„Mit einer agilen Arbeitsweise, insbesondere nach Covid, in einer Zeit, in der nicht nur die Teams remote agieren, sondern alle Partner, verliert der Standort zunehmend an Bedeutung.“
Gut 20 Jahre ist das nun her: Im Jahr 2000 hat er gemeinsam mit anderen das Start-up phion gegründet. Dieses war im Bereich Enterprise Security angesiedelt und entwickelte Firewalls für Unternehmen. 2007 ging Ischia mit phion an die Wiener Börse, 2009 wurde es von Barracuda Networks, einem weltweit tätigen Unternehmen in diesem Bereich, gekauft. In Innsbruck und Wien arbeiten heute noch an die 200 Mitarbeiter:innen für die Firma, sagt Ischia. Der Stolz ist nicht zu überhören. Bis heute gilt phion als eines der erfolgreichsten Tiroler IT-Start-ups.
Siebenstelliges Investment
Doch zurück zu Innerspace. Seite zweite Finanzierungsrunde beendete das Start-up im November vergangenen Jahres. Bei dieser sicherte es sich ein Investment im siebenstelligen Bereich. Das notwendige Kapital zu finden, sei aber von Beginn an kein Problem gewesen, sagt Ischia. „Der Start war, weil es sich um eine Software handelt, wenig kapitalintensiv und einige Kunden, die selbst das Produkt benötigen, fanden unseren Ansatz erfolgsversprechend, sodass sie über Projekte das Start-up bereits in einer frühen Phase mitfinanziert haben.“
Anders als seine Mitbewerber, arbeitet Innerspace mit standardisierten Modellen. „Wir erarbeiten nicht für jeden Kunden eine individuelle virtuelle Umgebung. Wir haben viele unterschiedliche Module, ähnlich wie Apps, die sich die Kunden herunterladen können und die Umgebung so an ihren Bedarf anpassen können.“
Geld verdient das Start-up, indem die Kund:innen für die Verwendung der Software jährliche Benutzungsverträge abschließen. Um die Mitarbeiter:innen dann in der virtuellen Realität auszubilden, brauchen die Unternehmen laut Ischia lediglich einen leistungsstarken Computer sowie einige Instrumente für den VR-Simulator, etwa eine VR-Brille. Die Software ist mittlerweile an 30 Standorten in Europa, Amerika und Asien im Einsatz.
In den kommenden Jahren will Innerspace vor allem eines tun: wachsen. „In fünf Jahren ist Innerspace der führende Anbieter für Virtual-Reality-Simulatoren in der pharmazeutischen Produktion“, sagt Ischia. Weltweit? „Ja.“
DIE SERIE Die SWZ stellt in der Serie „Start-up Euregio“ junge Unternehmen und deren Gründer:innen aus der Euregio vor, so wie 2018, 2019 und 2021 (damals mit Fokus auf Südtirol, nachzulesen auf SWZonline und in der SWZapp).
Interview
Start-upper und Investor
SWZ: Sie haben im Jahr 2019 mit dem Company-Builder MAD Ventures selbst in das Start-up Innerspace investiert. Was hat Sie damals überzeugt?

Walter Ischia: Die Entscheidung für das Investment ist für uns an dem Punkt gefallen, als klar war, dass wir mit Innerspace einen skalierbaren und modular produzierbaren Ansatz verfolgen können.
Woran hat es zu diesem Zeitpunkt noch gehapert?
Zu dem Zeitpunkt hatten wir gute Ideen und auch schon interessierte Unternehmen, wir hatten aber noch sehr wenig von dem Produkt.
Sie sind nicht nur Start-upper, sondern auch Investor, und zwar als Mitinitiator und Managing Partner von MAD Ventures. Welche Eigenschaften muss ein Start-up haben, damit Sie investieren?
Es muss eine sehr solide Idee haben, die skalierbar ist. Also nichts Projektartiges und nichts Handwerkliches. Der Markt, in dem wir uns auskennen, ist B2B. Am Ende bleibt also nur Software und B2B übrig. Außerdem braucht es mindestens zwei Persönlichkeiten, die überdurchschnittlich gut das verkörpern können, was sie erreichen wollen. Wir brauchen keine vollständigen Teams oder Technologien, aber wir brauchen Menschen, die in der Lage sind und alles dafür geben wollen, eine Idee oder den Kern, der da ist, in ein erfolgreiches Produkt umzuwandeln.
Sie sind jetzt seit mehr als 20 Jahren in der Start-up-Szene tätig. Inwiefern hat sie sich über die Jahre verändert?
Es hat sich bis zu einem gewissen Grad die Professionalität verbessert. Zur Zeit der Dotcom-Blase gab es noch sehr viele Glücksritter, die gibt es jetzt nicht mehr. Nach wie vor gibt es aber nur sehr wenig Start-ups. Es gibt einige gute, aber die Zahl ist nicht sehr groß. Neu ist hingegen dieser Start-up-Lifestyle, wie man das auch nennen will. Das gab es vor 20 Jahren noch nicht und das gehört meiner Meinung nach auch von den anderen Start-ups getrennt betrachtet.
Was verstehen Sie unter Start-up-Lifestyle?
Für mich sind Start-ups Unternehmen, die von Anfang an das Ziel haben, einen großen Markt zu bedienen und zu wachsen. Dieses Ziel hat aber nicht jeder Start-upper. Manche gründen klassische Unternehmen und bezeichnen sie als Start-up, nur, weil das gut klingt. Wenn jemand eine Webagentur mit drei Mitarbeitern betreibt, dann ist das für mich kein Start-up, sondern ein Unternehmen. Das wird gerne vermischt. Man sieht das in Südtirol genauso wie in Tirol: Es wächst eine tolle Infrastruktur heran, wie das NOI oder die Werkstätte Wattens. Aber die laden nicht nur die einen ein, sondern auch viele Lifestyle-Start-upper.
Stichwort Unternehmensstandort: Inwiefern ist dieser für den Erfolg eines Start-ups wichtig?
Immer weniger. Mit einer agilen Arbeitsweise, insbesondere nach Covid, in einer Zeit, in der nicht nur die Teams remote agieren, sondern alle Partner, verliert der Standort zunehmend an Bedeutung. Das ist sehr hilfreich.
Wie nehmen Sie das Start-up- Ökosystem in Tirol und der gesamten Euregio wahr?
Ich habe auf Südtirol und das Trentino nur oberflächliche Einblicke. Aber was ich in Tirol wahrnehme, ist, dass Bemühungen da sind, Grundlagen zu schaffen. Trotzdem ist der Outcome dafür, dass wir einen großen Unistandort haben, nicht riesengroß.
Was bräuchte es?
Ich weiß es nicht. Im Trentino zum Beispiel scheint der Transfer zwischen Uni und Wirtschaft zumindest in einigen Fällen gut zu funktionieren. Aber es ist schwer zu sagen, was es wirklich braucht. Wenn man sagen könnte, was der gesamten Euregio wirklich nutzen würde, ist es, die Lifestyle-Start-upper herauszufiltern und die Wachstums-Start-ups mehr zusammenzubringen und für die noch weitere Angebote zu machen. Wobei das auch schwierig ist, weil die Start-ups unterschiedliche Bedürfnisse haben. Das Patentrezept, das einen Standort wirklich attraktiv für Start-ups macht, ist Erfolg. Linz etwa hat sich nach dem Runtastic-Exit zu einem wichtigen Standort in Österreich entwickelt, weil dort plötzlich Erfolg war. Die Runtastic-Gründer hatten Geld, die wussten, wie man das macht und haben dann anderen geholfen.
Wenn Sie einen Wunsch aus der Sicht eines Start-uppers, aber auch aus Sicht eines Investors, an die Politik äußern dürften, welcher wäre das?
Macht es uns so einfach wie möglich, Mitarbeiter aus dem Ausland zu bekommen.