SWZ: Herr Marsoner, was bringt Sie ins Silicon Valley?
Thomas Marsoner: Nach meiner ersten Reise nach San Francisco im Jahr 1997 habe ich mich entschlossen, mein Leben umzukrempeln und in den USA zu leben. Und so bin ich ab 2000 regelmäßig für längere Aufenthalte in die USA gereist, vor allem nach New York und San Francisco. Der „formelle“, der offizielle Umzug in die USA erfolgte dann 2005, als ich als Austauschstudent in Boston studiert und in New York gelebt habe. Nach zwei Jahren zog es mich dann nach San Francisco.
Weshalb?
Schon als Kind hatte ich die Neugierde, über den Tellerrand hinauszuschauen. San Francisco habe ich Anfang der 1980er Jahre durch die Krimiserie „Auf den Straßen von San Francisco“ kennengelernt – als junger TV-Seher haben mich damals die amerikanischen Serien begeistert, genauso wie das Land, in dem sie spielten. Im Laufe der Zeit hat sich das mit den „Italos“, die als Eishockeyspieler in Diensten des HC Meran standen, weiterentwickelt, und in Florenz, wo ich Jus studiert habe, habe ich schließlich viele Amerikaner, die ebenfalls dort studiert haben, kennengelernt. Da habe ich erkannt, dass man als Student relativ einfach in die USA kommen kann; über persönliche Bekanntschaften hat sich dann einiges ergeben. Ins Silicon Valley bin ich schließlich deshalb gezogen, weil ich mich schon immer für Technologie interessiert habe und sich dort bessere Arbeitsmöglichkeiten boten.
Was machen Sie im Silicon Valley beruflich?
Ich bin Jurist mit Fokus auf Wirtschaftsrecht. Zurzeit arbeite ich als Freiberufler auf Projektbasis für Bank of the West, eine kalifornische Traditionsbank. Ich war in der Vergangenheit aber auch für andere Unternehmen tätig, Banken, Investmentfirmen und IT-Unternehmen. Meine Tätigkeit besteht darin, für diese Unternehmen jene Projekte zu betreuen, auf welche die eigenen Mitarbeiter nicht spezialisiert sind.
Sie waren in San Francisco vor einigen Jahren auch als Unternehmer aktiv: Worum ging es bei dem Projekt, das Sie 2012 angegangen sind?
Es war nichts Technologisches, sondern ein Kleinunternehmen im kulinarischen Bereich: Zu der Zeit waren Food Trucks in San Francisco „in Mode“, und ich habe einen eröffnet, in dem ich italienische Spezialitäten angeboten habe, als einziger Food Truck im Silicon Valley. Doch ich habe schnell gemerkt, dass es sich als Freiberufler im Rechtsbereich besser lebt denn als Gastronom.
Das Freiberuflerdasein gefällt Ihnen? Wäre eine Festanstellung nichts für Sie?
Schon während der Oberschulzeit und damals im Sportbereich konnte ich mit Internal Politics nichts anfangen – die sogenannten Water Cooler Conversations liegen mir nicht. Ich gehe lieber ins Büro, mache meine Arbeit super, weil jedes Projekt eine Referenz fürs nächste ist – aber vom ganzen Unternehmenstratsch möchte ich nichts hören. Dazu kommt, dass man als Freiberufler immer mit maximalem Einsatz arbeitet und nicht Papier hin- und herschiebt, um die festgelegten Arbeitszeiten „abzusitzen“. Und man verdient besser.
Auch als Festangestellter ist man – besonders in den Unternehmen hier im Silicon Valley – nichts anderes eine austauschbare Zahl, wenn das auch viele nicht wahrhaben möchten. Ein Beispiel: Als ich 2008/2009 bei Yahoo gearbeitet habe, das war damals im Software- und Sprachbereich für die noch neuen mobilen Webseiten und auch schon als Freiberufler, habe ich miterlebt, wie sich 16 Stockwerke von Woche zu Woche mehr geleert haben, bis sie irgendwann komplett leer waren.
Es war schon beeindruckend, zu sehen, wie 2.000 Leute „verschwunden“ sind, darunter Leute, die zu den ersten 50 Angestellten des Unternehmens gehört und 15 Jahre für Yahoo gearbeitet hatten. Diese Treue hat in den Führungsetagen aber niemanden interessiert. Zum Teil wurden die Entlassenen mit Security aus dem Gebäude begleitet. Das war beinhart!
Es ist also normal, dass auch festangestellte und langjährige Mitarbeiter nichts anderes als austauschbare Nummern sind?
Das ist etwas, das für die gesamten Vereinigten Staaten gilt, das aber zugleich in den Silicon-Valley-Firmen noch stärker ausgeprägt ist: Mitarbeiter arbeiten viel und werden von ihren Unternehmen so lange „geliebt“, solange sie produzieren und der Betrieb erfolgreich ist – diese Haltung ist commonly accepted, von Mitarbeitern, Führungskräften und Unternehmern. Erstes Ziel ist es immer, den Gewinn der Company zu maximieren. Aber so ist Kapitalismus nun einmal …
Ihr Job ist es, tagtäglich zehn Stunden und mehr Verträge „durchzukauen“. Wie entspannen Sie?
Die Möglichkeiten, die sich im Silicon Valley bieten, sind ein weiterer Grund dafür, dass die Region so interessant ist. Klimatisch erinnert mich die Gegend an die Toskana: angenehm warm, wenn es nachts auch dank dem nahen Pazifik mehr abkühlt. Wenn man wandern gehen möchte, erreicht man im Osten in drei Stunden Fahrt den Yosemite-Nationalpark, außerdem gibt es in der nahen Umgebung mehrere State Parks, eine Art Naturschutzgebiete. Gleich ums Eck gibt es eine Sternwarte, in 20 Minuten bin ich in der Oper. Auch das Wine Country mit Destinationen wie Napa, Sonoma und Lodi liegt in der Nähe; Ausflüge in diese Gegenden sind für mich als Sommelier – die Ausbildung habe ich noch in Südtirol absolviert – immer ein Highlight.
Und im Winter?
Skifahren! Man kann in den etwa fünf Autostunden entfernten Skigebieten um den Lake Tahoe im Grenzgebiet zwischen Nevada und Kalifornien mit weit mehr als 1.000 Pistenkilometern den Spuren von Gustav Thöni folgen. Alles in allem ist es eine interessante Mischung aus Kultur, Kulinarik und sportlichen Aktivitäten, die möglich sind.
Abgesehen von den Freizeitmöglichkeiten: Gibt es noch etwas, was Ihnen am Silicon Valley gefällt?
Die Gegend ist schnelllebig, und die Leute sind unternehmerisch, weltoffen, international und sehr tolerant. Natürlich ist Technologie überall, und es ist faszinierend, tagtäglich mit Leuten in Kontakt zu sein, die in diesem Bereich tätig sind – das ist eine enorme intellektuelle Stimulation. Man ist am Puls der Innovationen und der Zukunft: Was hier heute passiert, kommt höchstwahrscheinlich in einigen Jahren auch in Südtirol und anderswo an.
Silicon Valley verjüngt sich unaufhörlich, und wer rastet, der ist out. Ich bin vor zirka dreieinhalb Jahren von San Francisco westlich der Bucht von San Francisco ins ruhigere Oakland ans östliche Ufer gezogen. Der Plan für die Zukunft ist, dass mein Hauptwohnsitz in der Gegend bleibt, doch ich möchte künftig vermehrt in Südtirol und in Asien leben.
Der Kauf bzw. das Bauen eines Hauses ist in Südtirol etwas Langfristiges; in den USA dagegen ziehen viele Leute den Jobs nach und sind nicht so sehr mit der Gegend, in der sie leben, verwurzelt. Das scheint auch bei Ihnen so zu sein.
Wenn man in den USA lebt, passt man sich an die amerikanische Mentalität an, und zwar insofern, als die Wurzeln nicht mehr so tief sind. Und wenn Sie fragen, ob ich das Haus, das ich hier in der Bay Area habe, noch länger besitzen möchte, muss ich sagen: Eigentlich nicht! Man wird in den USA pragmatisch, wenn man möchte, kann man sein Haus weiterverkaufen und woanders seine Zelte aufschlagen. Konkrete Pläne diesbezüglich habe ich derzeit allerdings nicht …
Sie planen ein Investitionsprojekt in Immobilienbereich. Worum geht es dabei?
Durch das Projekt möchte ich mich langfristig finanziell besser positionieren. Ich gehe nämlich davon aus, dass meine Tage als Jurist in absehbarer Zeit gezählt sein werden, weil solche Tätigkeiten durch die neuen Technologien obsolet werden, die besonders auch im Silicon Valley entwickelt werden. Bereits jetzt hat die Automation vielen Juristen ihre Arbeit gekostet.
Es heißt, alles könne automatisiert werden, wie lange es dazu brauche, sei jedoch eine andere Frage …
Genau, aber wohnen müssen die Leute immer, das kann nicht automatisiert werden. Deshalb habe ich mein eigenes Unternehmen gegründet und investiere in Immobilien in den USA und auch in Asien in solchen Märkten, die auf den ersten Blick nicht so interessant erscheinenmögen, in denen ich allerdings Potenzial sehe. Das Management der Immobilien kann ich delegieren bzw. online erledigen, bin deshalb nicht ortsgebunden, was mir das Leben auf verschiedenen Kontinenten ermöglichen soll.
Ich bin immer sehr stolz, wenn es gute Nachrichten aus Südtirol gibt und bin mit dem Territorium auch noch verbunden. Deshalb ist Leben in Südtirol auf jeden Fall eine Option – zumindest einige Monate im Jahr, einige möchte ich in Asien verbringen, einige im Silicon Valley. Doch arbeiten möchte ich in Südtirol nicht. Viel mehr möchte ich „dohoam“ meine wiedergewonnene Freizeit genießen.
Info
Thomas Marsoner, Jahrgang 1974, ist in Marling aufgewachsen und hat 1994 am Klassischen Gymnasium in Meran maturiert. Anschließend entschied er sich für ein Jurastudium an der Università degli Studi di Firenze, das er 2006 abschloss. „Das ist nichts Ruhmreiches“, sagt Marsoner und fügt an, dass er das Studium schließlich „nur“ deshalb beendet habe, „weil ich schon mehr als die Hälfte aller Prüfungen gemacht hatte – auch wenn italienisches Recht nicht unbedingt das ideale Studium für jemanden ist, der in den USA lebt“. Doch er wollte in den Vereinigten Staaten einen Masterstudiengang absolvieren, was nur mit Universitätsabschluss möglich ist. Sein Jusstudium hat er als Austauschstudent an der Boston University an der Nordostküste abgeschlossen, wobei er für Prüfungen nach Florenz flog.
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