Bozen – Hendrik Susemihl, Kevin Deutmarg und Philipp von Stürmer hatten eine Idee: eine Küche ohne Koch. Also gründeten sie in Hamburg 2021 das Start-up Goodbytz. Mittlerweile hat das Start-up Wagniskapital von rund 15 Millionen Euro eingesammelt. Offenbar sind die drei Gründer nicht die Einzigen, die an die Idee glauben. Goodbytz baut Roboter, die standardisierte Gerichte völlig selbstständig zubereiten und anrichten und danach auch noch den Abwasch erledigen. Bis zu 150 Gerichte pro Stunde sind möglich, heißt es vonseiten des Start-ups. Der Mensch ist nur noch dazu da, um den Kühlschrank mit den geschnittenen Zutaten zu befüllen sowie die Rezepte zu kreieren und einzuprogrammieren.
Die „Robotic Kitchen Assistants“, so heißen die Küchenroboter, schauen recht unspektakulär aus: In einem zimmergroßen Edelstahlkasten tun Greifarme, Herdplatten, Kühlschränke und Spülmaschine ihre Arbeit. Was nach Zukunftsfiktion klingt, hat den Praxistest bereits bestanden. Goodbytz hat in Hamburg ein Jahr lang einen Zustellservice betrieben und vom Roboter kochen lassen – ohne dass es die Kundschaft wusste. Das Wochenmagazin „Die Zeit“ schrieb in staunendem Ton: „Dieses Restaurant kommt nicht nur ohne Gastraum aus. Sondern auch ohne Küche. Und sogar ohne Koch.“
Von der digitalen Küche bis zum Abräumroboter
Nicht nur in Hamburg kochen Maschinen, sondern auch in Seis am Schlern. Im traditionsreichen Hotel Schwarzer Adler der Familie Mutschlechner schwört Chefkoch Juri Sellaro auf die digitalisierte Küche und ist damit in Südtirol ein Pionier. Sellaro verwendet drei internetgestützte Geräte, die auf Knopfdruck völlig autonom rund 1.500 Rezepte nachkochen können, welche Köche in aller Welt in eine Cloud gespeichert haben bzw. welche Sellaro selbst angelegt hat. Auf diese Weise kann im Schwarzen Adler auch nachts ganz ohne Küchenbrigade gekocht werden. Sellaro beschäftigt sich nun schon seit sieben Jahren damit, wie er die Effizienz in der Küche durch digitale Helferlein steigern kann, und er ist begeistert: Durch den intelligenten Einsatz der Digitalisierung bzw. Automatisierung in der Küche werde der Fachkräftemangel erträglicher, es seien Zeitgewinne möglich, und es würden weniger Fehler passieren und der Wareneinsatz optimiert, sagt er. Auch für ihn selbst sei es eine Entlastung zu wissen, dass in seiner Abwesenheit die drei Geräte eine verlässlich konstante Qualität liefern.
Im Hotel Restaurant Goldknopf auf der Seiser Alm hilft seit vergangenem Sommer ein Roboter beim Abräumen der Tische.
Im Hotel Restaurant Goldknopf auf der Seiser Alm ist ein anderes Helferlein am Werk. Seit vergangenem Sommer hilft ein Roboter beim Abräumen der Tische. „Er ist wirklich gut“, spricht Hotelchefin Heidi Malfertheiner über ihn wie über einen Mitarbeitenden. Für das Servicepersonal sei der Roboter eine Arbeitserleichterung und für die Gäste ein beliebtes Fotomotiv. Zwar kurvt er nicht von Tisch zu Tisch, wohl aber wartet er in seiner Servicestation, bis er beladen wird, und fährt dann je nach Bedarf an die Bar oder in die Küche. Das erspare dem Servicepersonal lange Wege, sagt Malfertheiner. Sie sieht in solchen Robotern eine Chance, um den Mitarbeitermangel bewältigen zu können. „Künftig werden sie nicht nur abräumen, sondern auch Bestellungen aufnehmen“, ist sie überzeugt.
Die künstliche Intelligenz im Tourismus
Dass menschenähnliche Roboter in absehbarer Zukunft zum alltäglichen Bild in Hotels und Restaurants gehören werden, bezweifelt Hannes Lösch trotzdem. Laut dem Inhaber und Geschäftsführer des Software-Entwicklungsunternehmens Limendo mit Sitz im NOI Techpark liegt das weniger an der Technik, sondern vielmehr an der Akzeptanz: „Die große Frage ist, ob die Leute das wollen.“ Limendo hat 2021 und 2022 eine Feldstudie durchgeführt, um das Potenzial von Robotern im Tourismus zu analysieren. Das Ergebnis bestätigte dabei die Erfahrungen, die im Ausland gemacht werden: Noch gibt es technische Kinderkrankheiten (die aber wohl nach und nach ausgemerzt werden), und die Gäste kommunizieren lieber mit „echten“ Menschen (siehe SWZ 39/23, nachzulesen hier und in der SWZapp). Hannes Lösch kann sich vorstellen, dass Roboter in naher Zukunft Informationsdienste leisten oder Speisen und Getränke ausliefern, doch der menschliche Kontakt werde auf absehbare Zeit zentral bleiben.
Ähnlich sieht man es im Hoteliers- und Gastwirteverband HGV, wo die technologischen Entwicklungen aufmerksam verfolgt werden. „Wir wollen die Ressource Mensch ganz sicher nicht abwerten, aber die Kombination von Mensch und Maschine birgt Chancen“, sagt Manuela Pattis, die Leiterin der Stabsstelle Innovation. In erster Linie gehe es um Automatisierung im Hintergrund, „damit den Menschen mehr Zeit für die Arbeit am Menschen bleibt“, so Pattis.
Sie stellt bei den HGV-Mitgliedsbetrieben ein großes Interesse an Information zu den Einsatzmöglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) fest. Diese KI kommt zwar nicht als klassischer Roboter daher, wohl aber mit menschlich anmutenden Fähigkeiten. Das hat die Internet-Anwendung ChatGPT in beeindruckender Manier vorgemacht, indem sie – in zum Teil erstaunlicher Qualität – Texte schreiben und Fragen beantworten kann. Entsprechend möchten Gastronomie- und Tourismustreibende wissen, wie sie die technologische Errungenschaft für sich nutzen können.
Systeme ermöglichen es, dass ein in deutscher Sprache geschriebener Text automatisiert in der jeweils gewünschten Sprache bei Gästen und Mitarbeitenden ankommt.
„Richtig angewandt, bringt die KI eine spürbare Effizienzsteigerung“, sagt Manuela Pattis. Das bestätigt Michael Oberhofer, teilhabender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe HMM, zu der unter anderem die Agentur Brandnamic gehört. Bereits heute hilft die KI beim Zeitsparen, etwa beim Vorbereiten von Online-Marketingkampagnen oder bei der Beantwortung von Gästerezensionen. Auch Rezepte können KI-Chatboots schreiben, weiß Manuela Pattis. In der Kommunikation mit Mitarbeitenden und Gästen lässt sich die KI ebenfalls gut einsetzen, verrät Michael Oberhofer: Systeme ermöglichen es, dass ein in deutscher Sprache geschriebener Text automatisiert in der jeweils gewünschten Sprache bei den Empfängern und Empfängerinnen ankommt. In der Regel gilt für KI-generierte Texte freilich: Sie dienen als gute Basis, müssen aber von Menschen kontrolliert werden, raten sowohl Michael Oberhofer als auch Manuela Pattis.
Bestellen und bezahlen ohne Servicepersonal
Einer ganz anderen Art von Automatisierung hat sich das Start-up Nanea verschrieben, das im NOI Techpark seinen Sitz hat. Der Gedanke dabei: Gastbetriebe sollen Servicepersonal sparen, die Gäste hingegen Zeit. Über die App können die Gäste die Speisekarte konsultieren, per Klick bestellen und auch direkt mit dem Smartphone bezahlen, womit zuerst das Warten auf freie Kellner:innen und danach das Warten an der Kasse entfällt. „Wir alle wissen, wie viel Zeit beim Bestellen und Bezahlen verloren geht. Und wir wissen auch, wie oft beim Bestellen Fehler passieren“, sagt Daniel Schmidhofer, der mit Rudolf Rienzner, Andrea Zilioli, Simon Hitthaler und Sascha Giacomuzzi hinter der Idee steht.
In Martin Hitthalers Lokal in Bozen Süd nimmt nur noch ein einziger Kellner Bestellungen auf, früher waren es fünf.
Martin Hitthaler, der Chef der Anjoka-Gruppe, zu der neben 40 Einzelhandelsgeschäften auch sieben „Mein Bistro“-Restaurants gehören, setzt Nanea bereits ein und ist zufrieden. Sein Anspruch ist es, dass die Gäste in seinen Restaurants innerhalb weniger Minuten das Essen auf dem Tisch haben. „Die Ressource Zeit entscheidet heute über Erfolg und Misserfolg. Der Gast hat wenig Zeit und das Restaurant will viele Kunden verköstigen“, so Hitthaler. Das lasse sich nur mit standardisierten Prozessen und mit Automatisierung bewältigen, zumal vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels. In Hitthalers Lokal in Bozen Süd nimmt nur noch ein einziger Kellner Bestellungen auf, früher waren es fünf, rechnet Martin Hitthaler vor. Auch in der Küche sorge die Software für Entlastung, weil die Speisekarte in Echtzeit via Tablet verwaltet werden könne: „In Spitzenzeiten verschwinden aufwendig zubereitete Gerichte von der Karte.“ Und noch etwas: „Gehen die Zutaten für eine bestimmte Speise aus, wird diese von der Speisekarte genommen. Der Kunde sieht sie nicht mehr und erspart sich den Ärger, wenn er hört: ‚Carbonara ist leider aus.‘“
Laut Daniel Schmidhofer läuft Nanea mittlerweile in rund 70 Restaurants, großteils in Südtirol, aber beispielsweise auch in Brescia und Köln. Noch ist die Entwicklung nicht abgeschlossen. In ein paar Monaten soll das Bezahlen mit den beliebten Essensbons integriert sein. Ziel ist es laut Schmidhofer, mit Nanea nicht nur die verschiedenen Systeme innerhalb eines Restaurants zu verknüpfen, sondern eine lokalübergreifende Lösung anzubieten. Über die App am Smartphone kann dann das gewünschte Restaurant ausgesucht, der Tisch vorreserviert und ein Gericht für eine bestimmte Uhrzeit vorbestellt werden. Weil die Rechnungsdaten hinterlegt sind, wird auch das Bezahlen beschleunigt. Schließlich seien Speisen- und Weinempfehlungen denkbar, weil das System die Vorlieben der einzelnen Nutzer:innen kennenlernt.
Stellt sich noch die Frage, ob solche zeit- und personalsparenden Automatisierungen nur etwas für die Systemgastronomie sind, also für Restaurantketten und Schnellgastronomie, oder auch etwas für kleinere Restaurants. Manuela Pattis vom HGV sieht ein breites Anwendungsfeld, einmal abgesehen von der gehobenen Gastronomie, denn sowohl Betriebe als auch Gäste würden von der Zeiteinsparung profitieren. Sie erzählt davon, dass sie von Restaurants durchwegs positive Rückmeldungen erhalte: Die anfängliche Skepsis der Gäste lege sich bald, und die Tische könnten deutlich öfter belegt werden.
„Vielleicht“, so meint Pattis, „wird es künftig in Restaurants zwei Zonen geben: eine stärker automatisierte und eine personalintensivere.“ Das würde den Gästen die Wahlmöglichkeit geben – so wie sie diese etwa in Skihütten schon heute zwischen Selbstbedienungs- und Bedienbereich haben.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Maschine spielt Mensch