Bozen – Die sogenannte EWCS-Befragung von 2021 über die Arbeitsbedingungen mit 4.500 Interviews in der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino fördert immer neue Erkenntnisse zutage und ermöglicht einen fundierten Einblick in die Südtiroler Arbeitswelt. Bei einer Pressekonferenz am Montag stellte das Arbeitsförderungsinstitut (Afi) die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf in den Fokus und hier besonders die Frage, wie es damit in den einzelnen Branchen in Südtirol bestellt ist.
Das Afi schickt voraus, dass die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf aus zwei Gründen wichtig sei: „Dort, wo die Vereinbarkeit gewahrt ist, gestaltet sich die Rekrutierung von Arbeitskräften leichter. Des Weiteren trägt dieser Faktor deutlich zur Arbeitszufriedenheit bei: Wem es an seiner Arbeitsstelle gut geht, weil das Unternehmen auf seine Bedürfnisse eingeht, fühlt sich diesem mehr verbunden, fehlt weniger oft und arbeitet produktiver.“
Zwei problematische Branchen
Die Umfrage zeigt, dass die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf vor allem in der sogenannten „Rushhour“ des Lebens eine besondere Herausforderung darstellt. In dieser Zeit zwischen 30 und 45 Jahren, in der viele Beschäftigte mit Familiengründung, Karriereplanung, Hauskauf und Darlehensrückzahlungen konfrontiert sind, zeigt sich, dass eine Work-Life-Balance zwar möglich ist, jedoch nicht ohne Opfer.
Dazu Afi-Präsident Andreas Dorigoni: „Unsere Umfrageergebnisse zeigen auf, dass Frauen oft ihr Arbeitspensum reduzieren oder sogar temporär aus dem Arbeitsmarkt austreten, um diese Balance zu erreichen.“
Besonders problematisch gestaltet sich die Vereinbarkeit in zwei Branchen: Im Gastgewerbe gaben 29 Prozent der Beschäftigten an, dass sie Schwierigkeiten haben, während es im Gesundheits- und Sozialwesen trotz vieler Teilzeitverträge immer noch 21 Prozent waren.
Das Gastgewerbe als Schlusslicht ist laut Afi wenig überraschend. Denn die Stoßzeiten seien in diesem Wirtschaftszweig just dann, wenn die meisten anderen Branchen freihaben. Wer Familie plant oder hat, tue sich im Gastgewerbe deutlich schwerer, beides miteinander zu vereinbaren. „Viele weibliche Beschäftigte kehren aus diesem Grund den Hoteliers und Gastwirten genau dann den Rücken, sobald es um die Familiengründung geht“, erklärt das Afi.
„Endlich Antworten auf drängende Fragen finden“
Erschwerend komme hinzu, dass die Alterung der Gesellschaft dazu führen werde, dass Menschen, die mitten im Berufsleben stehen, immer öfter ältere Angehörige pflegen müssen – unabhängig von der Branche, in der sie arbeiten.
„Da Kindererziehung und private Pflegetätigkeiten bisher vor allem von Frauen übernommen worden sind, haben diese versucht, den Spagat zwischen Arbeit und privaten Verpflichtungen mit Teilzeitverträgen hinzubekommen“, sagt AFI-Forscher und Arbeitspsychologe Tobias Hölbling. Im Hinblick auf die Rente gehe dieser Ausgleichsversuch aber zulasten der Frauen, denen nicht selten Altersarmut drohe, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben – egal ob im häuslichen Bereich oder auf dem „bezahlten“ Arbeitsmarkt.
Das Afi wirft die Frage auf, welche neuen Arbeits- und Betreuungsmodelle Privatwirtschaft und öffentliche Hand fördern sollen, die es in Zukunft ermöglichen, dass die Vereinbarkeitsproblematik nicht vor allem auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird. Gerade im Hinblick auf den demographischen Wandel komme man nicht umhin, Antworten auf diese drängende Frage zu finden.