Es geht um die nationale Sicherheit. Und nicht nur um die. Wenn dieser Text in die falschen Hände gerät, kann es Tote geben. Im Ernst. Ich trage eine hohe Verantwortung. Auch für Sie. Wer weiß, was Ihnen passieren kann, wenn Sie mit diesem Text gesehen werden. Ich habe nämlich beschlossen, über den xxxxxxxx zu schreiben. Oder eigentlich gar nicht über den xxxxxxxx, sondern über den xxxxxxxxismus. Oder eigentlich auch gar nicht über diesen, sondern über die Unmöglichkeit, darüber zu schreiben. Oder zu sprechen. Oder – pst – zu denken. Geht ja alles nur ganz leise, ganz vorsichtig. Ja nichts nach außen dringen lassen. Wir wollen doch nicht den xxxxxxxxisten auf die Zehen treten. Dann brennen nämlich wieder Fahnen, vielleicht auch die Südtiroler Fahne, falls eine solche aufzutreiben ist außerhalb des Landes. Stellen Sie sich das mal vor. Nur weil ich in einer mäßig lustigen Stunde einen schlechten Witz mache, stürmt ein entfesselter Mob die italienische Botschaft. Oder die irische und ungarische. Oder überhaupt jede Botschaft eines Landes, das ähnliche Farben in der Flagge trägt wie die italienische. Wieso haben sie mich auch nicht dran gehindert, meinen miesen Witz in die Welt zu setzen!
Ist ja auch indiskutabel. Wie komme ich eigentlich dazu, schlechte Witze zu machen. Also, nicht, dass ich das nicht prinzipiell dürfte. Also schlechte Witze über meine Oma zum Beispiel, die sind absolut drin. Oder über Berlusconi. Oder den Papst und die katholische Kirche. Da beleidige ich ja auch nur irgendwelche Menschen und verletze allenfalls Persönlichkeitsrechte. Und öffentliche Persönlichkeiten dürfen sich ja sowieso nicht dagegen wehren, wenn sie in den Schmutz gezogen werden. Da hätten sie ja auch ganz schön viel zu tun. Aber auch Institutionen darf man gefahrlos beleidigen. Schulen etwa oder Parlamente. Ganze Berufsgruppen oder Ethnien kann man ungeschoren durch den Kakao ziehen. Das Schlimms- te, was passieren kann, ist ein Gerichtsprozess, bei dem man eine Geldstrafe aufgebrummt bekommt. Hier ist also das Tummelfeld für alle, die ehrenrührig zu Werke gehen möchten. Anders ist es in Bezug auf den xxxxxxxx. Wehe, wem hier ein beleidigendes Wort entschlüpft. Da winkt kein Prozess wegen Verunglimpfung, da drohen meuchelnde Massen oder eine Fatwa – und dann bist du vogelfrei wie Salman Rushdi.
Angst geht um. Mit dem xxxxxxxx hat man nichts zu lachen, das wissen wir mittlerweile. Die xxxxxxxxisten ticken anders, wir erleben sie als irrationale, ungebildete Gewalttäter, mit denen man lieber nichts zu tun haben möchte. Also kein Wort über den xxxxxxxxismus. Schweigen wir ihn tot, bevor uns die xxxxxxxxisten für die unterirdischen Witze geschmackloser Möchtegernkünstler kollektiv bestrafen. Wir distanzieren uns entschieden von allen, die jemals etwas gegen den xxxxxxxx gesagt, geschrieben oder gezeichnet haben. Wir entschuldigen uns für sie, wir betonen, wie schlimm wir es finden, dass hier jemand so unsensibel und niederträchtig agiert. Ein Glück, dass wir uns nicht für alle unsensiblen und niederträchtigen Machwerke, die im World Wide Web existieren, entschuldigen müssen. Da kämen wir nicht mehr zurande. Wir entschuldigen uns also nur in Bezug auf den xxxxxxxx.
Aber das könnte ein Fehler sein. Besser, wir gehen auf Nummer sicher. Nur weil sich etwa die römisch-katholische Kirche seit einiger Zeit ziemlich viel gefallen lässt (oder: lassen muss), heißt das nicht, dass das so bleiben wird. Ein paar gewaltbereite Schwachköpfe lassen sich doch sicher auch in deren Reihen finden. Und wenn das nächste Mal ein Schmähvideo über den Papst oder das Wunder von Medjugorie auftaucht, brennen halt plötzlich ein paar Autos. Das wäre nur konsequent. Ich sehe schon marodierende Lehrer durch die Straßen ziehen und Molotowcocktails werfen. Politiker, die frechen Bloggern auflauern. Chinesen, die sich Sprengstoffgürtel umschnallen, wenn noch einmal einer ihren L-Akzent nachmacht. Das Beispiel, das der xxxxxxxxismus vorlebt, macht Schule. Wer beleidigt wird, ärgert sich nicht mehr im Stillen, sondern greift zur Gegenwehr.
Sie sagen, irgendwie sei dieses Szenario nur schwer vorstellbar? Wir sind doch, finden Sie, schon einen Schritt weiter? Wer beleidigt wird, weiß, dass er es auszuhalten hat. Nicht weil der, der ihn beleidigt, recht hat. Sondern weil eine übertrieben heftige Reaktion dem Beleidiger recht zu geben scheint. Sich beleidigen lassen zu können, gehört zu den gesellschaftlichen Errungenschaften unserer Zeit. Doch ein Blick zurück genügt, um unsere scheinbare Überlegenheit infrage zu stellen, und dieser Blick muss nicht etwa zurück ins Mittelalter oder die beginnende Neuzeit gehen, wo die Inquisition unseres -ismus wütete. Nein: Es ist noch nicht lange her, dass vor dem Museion in Bozen Protestaufmärsche stattfanden, weil ein gekreuzigter Frosch angeblich die Seelenruhe der Christenheit trübte. Dass es nicht zu Schlägereien kam, verdanken wir wahrscheinlich weniger unserer zivilisatorischen Überlegenheit als dem Umstand, dass hierzulande auch die Fanatiker mehr zu verlieren haben als in Gegenden, in denen vielen Menschen sowieso alles aussichtslos erscheint.
Das Bild, das wir uns von einem anderen machen, ist nicht so sehr durch die Schmähungen geprägt, die es gegen ihn gibt, sondern durch die daraus erwachsenden Reaktionen. Jemanden, über den man nicht lachen und der auch nicht über sich selbst lachen kann, halten wir lieber von uns fern. Wir schlagen uns lieber zu denen, die auch einen schlechten oder gar geschmacklosen Scherz mit Gelassenheit hinnehmen. Irgendwie, haben wir den Eindruck, sind die vielleicht doch ganz in Ordnung.
Nebenbei bemerkt gibt es auch viele Anhänger des xxxxxxxx, denen Gelassenheit und Humor nicht fremd sind, nein: sie bilden sogar die Mehrheit. Dass sie nicht oder zumindest kaum wahrgenommen werden, liegt daran, dass die Tumulte weltweit in den Vordergrund gerückt sind. Aber ganz ehrlich: Solange ganz bestimmte schlechte Scherze als tödliche Beleidigung aufgefasst werden und entsprechende Handlungen bedingen, wird die Angst vor dem xxxxxxxx nicht kleiner werden. Die Lösung kann allerdings nicht darin bestehen, sämtliche Äußerungen, die den xxxxxxxx in irgendeiner Form beleidigen könnten, zu verbieten. Wir können uns nicht aus Furcht einen Maulkorb verpassen (lassen). Kritik, Satire, sogar Geschmacklosigkeiten müssen möglich sein. Das Urteil darüber kann nicht mit der Faust gefällt werden. Es gibt einfachere Möglichkeiten. Auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, wissen, wie Sie mit diesem Text verfahren können, wenn er Ihnen nicht gefällt. Statt mir einen Drohbrief zu schicken oder wahllos eine Frau meines Alters zu verprügeln, können Sie ihn einfach in die Ecke werfen. Ich verspreche, er wird still dort liegen bleiben, Sie brauchen ihn nicht einmal zu verbrennen. Sie sind mächtiger als er. Sogar, wenn Sie gar nichts tun. Eigentlich doch ein schönes Gefühl, oder?
Und wenn Sie unbedingt reagieren wollen, machen Sie es Max Reger nach, von dem erzählt wird, er habe einem Kritiker, der seine neueste Komposition verrissen hatte, eine einfach Mitteilung geschickt: „Sehr geehrter Herr, ich sitze auf dem stillsten Ort meines Hauses und habe Ihre Kritik vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben.“