Meine Frau – die beste Ehefrau von allen, hätte Ephraim Kishon gesagt – hat zuletzt ein Buch des 2007 verstorbenen polnischen Journalisten und Autors Ryszard Kapu?ci?ski mit dem Titel „Afrikanisches Fieber. Erfahrungen aus vierzig Jahren“ gelesen. Dabei ist sie auf den Begriff „parkinsonsche Gesetze“ gestoßen, den wir beide nie gehört hatten. Wir haben dann zuerst einmal auf Wikipedia Informationen darüber gefunden. Bei den parkinsonschen Gesetzen handelt es sich demnach um einige „in das Gewand soziologischer Lehrsätze gekleidete ironisierende Darstellungen des britischen Soziologen Cyril Northcote Parkinson (1909–1993) zur Verwaltungs- und Wirtschaftslehre“. Von ihm stammt die 1957 erschienene Publikation „Parkinsons Gesetz und andere Untersuchungen über die Verwaltung“ zum Bürokratiewachstum, und die darin enthaltene zentrale Aussage lautet: “Work expands so as to fill the time available for its completion.” Auf Deutsch: „Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“
Wenn man uns lässt, tendieren wir Menschen dazu, Arbeit nicht in der Zeit zu erledigen, die deren Komplexität und Umfang angemessen ist, sondern jener, die wir dafür zur Verfügung haben bzw. die uns eingeräumt wird. Parkinson hat als Beispiel zur Erläuterung seiner These eine ältere Dame angeführt, die viel Zeit hat, das zu erledigen, was sie zu tun hat. Deshalb benötigt sie einen halben Tag dafür, ihrer Nichte eine Postkarte zu schicken: Die Auswahl der Postkarte (welche ist besonders ansprechend?), Brillen- und Adressensuche, akkurate Textverfassung, Entscheidung, ob für den Weg zum Briefkasten ein Schirm mitzunehmen ist und ob es einen Mantel braucht, summieren sich zu einer umfassenden Aufgabe, deren Erledigung, verbunden mit einem Schuss Gemächlichkeit, viel Zeit erfordert, und am Ende hat die Dame das Gefühl, immer ausgelastet gewesen zu sein. Im Gegensatz dazu steht ein vielbeschäftigter Mensch, der die gleiche Aufgabe in drei Minuten an seinem Schreibtisch erledigt und die Karte später einwirft, wenn er zum Essen in das kleine Restaurant an der nächsten Ecke geht.
Meine Neugier war geweckt und noch keineswegs befriedigt, vielleicht auch, weil das alles ein wenig in mein Bild des Beamten passt, das – ich gebe es zu – auch von manchen Allgemeinplätzen, Klischeebildern und Vorurteilen geprägt ist und damit der vorherrschenden öffentlichen Meinung entspricht. Also habe ich mich ein wenig eingelesen und erfahren, dass Parkinson seine Grundthesen schon 1955 in einem Essay im „Economist“ veröffentlicht und dabei ganz allgemein auf die Verwaltung abgestellt hat, jene im öffentlichen Dienst (wo sie stark ausgeprägt ist), aber auch in anderen Organisationen. Dabei überrascht, dass über die parkinsonschen Gesetze in den Jahren nach deren Publikation sehr viel geschrieben und diskutiert worden ist, sie dann aber beinahe in Vergessenheit geraten sind, bis sie in jüngster Vergangenheit neue Aktualität erlangt haben. Der belesene Kapu?ci?ski hat sie wie erwähnt 1999 zitiert, in Deutschland hat das Magazin „brand eins“ das Thema im Jahr 2005 aufgegriffen, und mir scheint interessant, darüber im Zusammenhang mit der Diskussion über Bürokratie und Stellenabbau im öffentlichen Dienst zu sinnieren.
Parkinson geht mit einem Schuss Ironie davon aus, dass sich Angestellte gegenseitig Arbeit verschaffen und jeder leitende Angestellte das Ziel verfolgt, die Zahl seiner Mitarbeiter zu erhöhen. Und er beschreibt, wie sich der Zeitaufwand zur Erledigung unwichtiger Dinge erhöht, auch in vielen Kommissionen und Gremien. Wer hat nicht schon einmal erfahren, dass bei einer Gemeinderatssitzung der Haushaltsvoranschlag in 20 Minuten verabschiedet worden ist, aber dann zwei Stunden darüber gestritten wurde, welche Farbe die Sitzbänke auf dem Dorfplatz haben sollen? In Diskussionen werden eben die einfachsten Themen am ausführlichsten behandelt, weil die meisten Teilnehmer davon etwas verstehen, während jene, die am wichtigsten sind, rasch abgehakt sind. Auch die Medien verhalten sich ähnlich: Sie schreiben ausführlich über das, was die Leser/-innen interessiert und für sie einen hohen Stellenwert hat, weniger über das, was für sie wirklich wichtig ist.
Parkinson sagt: Insbesondere in der öffentlichen Verwaltung läuft alles darauf hinaus, dass die Arbeit wie ein Kaugummi gedehnt und an die Zeit angepasst wird, die zur Verfügung steht, und dass neue Arbeit erfunden wird, um zusätzliche Mitarbeiter anzufordern oder die Anzahl der bestehenden zu rechtfertigen. Parkinsons Feststellung, dass die Zahl der öffentlich Angestellten ohne Rücksicht auf die Zunahme der Arbeitsmenge ansteigt, ist – das wissen wir – Unsinn, denn die Beschäftigung dort wächst nicht bloß aufgrund der beschriebenen Eigendynamik, sondern insbesondere auch wegen der immer neuen Aufgaben der öffentlichen Hand und der bis zuletzt gewachsenen öffentlichen Haushalte. Trotzdem hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Entwicklung so nicht weitergehen kann. EU-weit beginnt man, in der öffentlichen Verwaltung das sogenannte Standardkostenmodell einzuführen, was bewirken soll, dass die parkinsonschen Gesetze endgültig nicht mehr gelten.
Cyril Northcote Parkinson würde es freuen. Und uns Steuerzahler auch.