Wir hätten es wissen können. Als im Dezember 2012 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Artikel über die neue Trendfarbe 2013 erschien, war das nicht nur ein Hinweis für modebewusste Damen. Das „Color Institute“ Pantone hatte eine neue Farbpalette präsentiert, die klar die Marschrichtung für das neue Jahr vorgab. Im Artikel erfuhr man, dass Pantone keineswegs nur eine Firma von vielen ist. Im Gegenteil, mit ihren Farbmischungen bestimmt sie wesentlich nicht nur die Trends in den Schaufenstern der großen Modeketten, sondern auch das Aussehen unseres Alltags mit. Und die Farbe für 2013 ist „Emerald“, also: Smaragdgrün. Diese Farbe stehe für Balance und Harmonie, also für das, wonach wir uns alle sehnen. 2012 war übrigens das Jahr von „Tangerine Tango“, einem knalligen Rot. Laut Pantone ist also Grün das neue Rot.
Das verwundert nicht. Schon längst habe ich festgestellt, dass Grün groß im Kommen ist. Und zwar nicht nur als Farbe. Sondern als Prinzip. Das meine ich keineswegs politisch. Grün steht nämlich, wie Frau Eiseman von Pantone feststellt, nicht nur für Balance, sondern ganz allgemein für die Sehnsucht nach Natur und Unversehrtheit. Grün ist die Farbe des Echten, Unberührten, Gesunden. Grün ist nachhaltig, frisch und natürlich immer bio. In einer Welt, die viele als pervertiert, gekünstelt und seelenlos empfinden, sind dies wichtige Werte. Wir wissen, dass wir unseren Augen nicht trauen dürfen. Auf Plakaten springen uns bis zur Unkenntlichkeit entstellte Frauenkörper an, glatt und leblos wie Barbiepuppen. In den Supermarktregalen winkt „Functional Food“, Lebensmittel, die dank ihrer zahllosen Zusätze kaum noch etwas mit dem Grundprodukt zu tun haben. Die virtuellen Welten des Internets locken mit ihren unendlichen Weiten, bleiben aber unberührbar und abstrakt. Kein Wunder, dass wir uns danach sehnen, endlich etwas Unverfälschtes, Ehrliches geboten zu bekommen.
Wir sind misstrauisch geworden, und das zu recht. Wir haben gelernt, dass hinter der Hochglanzfassade dunkle Geheimnisse lauern. Selbst der Apfel aus heimischem Anbau ist uns suspekt: Wie war das noch gleich mit den Pestiziden? „Bio“ ist ein Schlagwort der Stunde, das manche schon gar nicht mehr hören können. Hinter „bio“, mutmaßen viele, verbirgt sich nur wieder die nächste Verbraucherfalle.
Aber alle Schelte und angebliche Ablehnung des Ökotrends können den Vormarsch der Farbe Grün in allen Bereichen nicht aufhalten. Besonders augenfällig ist etwa der Wandel der Marke McDonald’s. Jahrzehntelang stand das gelbe M auf rotem Grund für einen urbanen Lebensstil, für Schnelligkeit und Spaß beim Essen. Jetzt ist das M zwar immer noch gelb, aber der Hintergrund ist grün, moosgrün. McDonald´s, wird damit suggeriert, ist gesünder geworden, nachhaltiger, verantwortungsbewusster – grüner, eben. Nach der zunehmenden Kritik am fetten und überzuckerten Junkfood stehen nicht mehr Spaß und Geschwindigkeit im Vordergrund. Das Unternehmen gibt sich entschleunigt, seriöser, geläutert. Es wirbt nun mit Aufklärungskampagnen für ausgewogenes Essen, setzt zum Teil sogar auf Fairtrade. Aber nicht nur McDonald’s hat die Farbe Grün für sich entdeckt. Auch andere Labels haben die Zeichen der Zeit erkannt. Das laute, selbstsichere, rücksichtslose Rot hat an Strahlkraft verloren. Wer früher mit seinem Logo laut „Platz da“ schrie, gibt sich jetzt zurückhaltend. Erdfarben, Holzmöbel, natürliche Textilien setzen sich einer grellen Plastikwelt entgegen, von der viele die Nase voll haben. Der hedonistische Lebensstil, der wenig nach seinen ökologischen und gesundheitlichen Folgen fragte, hat ausgedient. Auf Konsum verzichten wollen dennoch nur die Wenigsten. Aber wenn sie schon konsumieren, dann wollen sie es mit gutem Gewissen tun – da, wo es grün ist. Sie gehen dafür aber keineswegs in den Wald oder auf die Alm, sondern weiter dorthin, wohin sie immer schon gingen, und sie greifen auch nach denselben Produkten. Wer aber heute zu McDonald’s geht, gibt damit ein Statement für Nachhaltigkeit und guten Geschmack ab. Das wird zumindest suggeriert. Es sitzt sich nämlich so schön chic im McCafé, und so ein handverlesener Öko-Kaffee mit Fairtrade-Siegel schmeckt doch gleich viel besser. Die neuen Etiketten scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen.
Daher darf es auch nicht weiter verwundern, wenn jetzt sogar eine Traditionsmarke auf den grünen Zug aufspringt, die es doch scheinbar überhaupt nicht nötig hat: Coca-Cola. Sehr richtig, auch hier wird das rote Etikett durch ein grünes ersetzt. Schwer vorstellbar? In Argentinien aber schon Realität! Dort wird seit einiger Zeit neben der traditionellen „roten“ Cola auch eine grüne vertrieben, bei der 60 Prozent des Zuckers durch das Süßkraut Stevia ersetzt wurden. Das Ganze nennt sich „Coca-Cola life“ und soll jene Kunden ansprechen, die aus gesundheitlichen Bedenken bisher die Finger vom klebrigen Softdrink gelassen haben. Ob’s wirkt? Ich für meinen Teil bin vorsichtig geworden. Längst ist von einem „Greenwashing“ die Rede, bei dem Konzerne ihre umweltzerstörerischen Machenschaften mittels „grüner“ Alibiaktionen zu verschleiern versuchen. So ist bei mir seit einiger Zeit ein sehr seltsamer Reflex eingetreten, der aber doch einer gewissen Logik entspringt. Immer, wenn ich in Zeitungen oder Supermärkten, auf Plakaten oder in der Werbung die Farbe Grün sehe – sehe ich rot.