Wie hat Marilyn Monroe im Lied „After you get what you want, you don’t want it“ so unnachahmlich gesäuselt: „If I gave you the moon, you’d grow tired of it soon“ (also: Wenn ich dir den Mond geben würde, wärst du seiner bald überdrüssig?) Es stimmt: Nicht erst, seit der Mensch zum Kunden geworden ist, hat er eine fatale Neigung zu ständiger Unzufriedenheit. Und am unzufriedensten ist er dann, wenn es um seine wertvollste Zeit geht, nämlich die Urlaubszeit. Da soll dann doch bitte gefälligst alles passen, bis ins kleinste Detail. Ärger hat man im Alltag schon genug. Die Touristiker haben darauf reagiert, und so gibt es nun die durchorganisierten Traumurlaube, bei denen keine Wünsche offen bleiben.
Und genau darin liegt der Hund begraben: Besser geht’s nicht – das frustriert. Noch weicher kann man sich nicht betten, noch reichhaltiger kann man nicht frühstücken, noch umfassender kann man sich nicht verwöhnen lassen. Kein Wunder, dass so was zu nagen beginnt. Freilich kann man nach dem Haar in der Suppe suchen und an allem herumnörgeln, aber auch das macht keine rechte Freude. Irgendwie nämlich stößt das Jammern auf derart hohem Niveau nicht immer auf das erhoffte Echo. Wenn man dann zu Hause vor Freunden lamentiert, dass die Eier, die im zugegebenermaßen vorzüglichen Kaiserschmarrn steckten, möglicherweise doch nicht aus hundertprozentiger Bio-Freiland-Haltung waren, erntet man höchstens erhobene Augenbrauen statt Mitleid und Zuspruch. Was also bleibt, ist lediglich, sich nach einem vollkommenen Entspannungsurlaub zu schwören: Nie wieder tu ich mir das an.
Der verwöhnte Gast weiß schließlich, was er sich wert ist. Er hält nach Alternativen Ausschau. Es muss ihn doch geben, den perfekten Urlaub. Und tatsächlich. Findige Unternehmer haben die Marktlücke entdeckt. Wo man nichts mehr übertreffen kann, dreht man den Spieß einfach um. Abenteuerurlaub lautet das Stichwort. Von wegen Schlafen wie auf Wolken! Eine Nacht im ehemaligen Gefängnis, auf bretterharten Pritschen, standesgemäßes Frühstück mit Wasser und Brot, so sieht das Angebot für besonders Anspruchsvolle aus. Und es wird genutzt! Endlich nicht mehr der lästige Stress mit dem Umsorgtwerden. Endlich eine karge, lieblose Atmosphäre, in der man sich richtig schön gruseln kann. Kakerlaken inklusive. Die einen fühlen sich an gute alte Zeiten gemahnt, in denen man in der familiär geführten Pension Mariella in Cesenatico bei jeder Klospülung das Bad geflutet hat. Andere lieben den leichten Ekel beim Anblick der im wahrsten Sinne des Wortes fadenscheinigen Bettwäsche, der einem erst so recht bewusst macht, wie schön es doch daheim ist. Und das ist ja letztendlich der wahre Grund für den Urlaub: Wegfahren, um sich davon zu überzeugen, dass es zu Hause doch immer noch am besten ist. Und immer mehr Anbieter rufen den Gästen zu: Bitteschön, könnt ihr haben!
Auch ich hätte da ein paar Ideen beizusteuern:
Urlaubspaket „Wie zu Großmutters Zeiten“: eine Nacht im Luftschutzkeller. Der Dosenöffner für die Bohnensuppe ist inklusive, den Gaskocher gibt es nur gegen einen Aufpreis. Nach Mitternacht zwei Stunden lang Fliegeralarm, um vier Uhr morgens kommen wildfremde Personen hereingestürmt und eine Frau mit Klaustrophobie hat einen Nervenzusammenbruch. Auf Wunsch auch mit brüllendem Baby.
Urlaubspaket „Zurück zur Natur“: Im Baumhaus der Brüder Lukas und Pirmin Oberstaller kann man erleben, wie sich Siebenschläfer und Dohle über das Abendessen hermachen, während die unsicher befestigten Planken auseinanderdriften. Wer nicht abstürzen möchte, tut gut daran, sich an einem Ast festzubinden. Man achte darauf, dass es nicht ausgerechnet jener mit dem Wespennest ist.
Urlaubspaket „Ötzi Reloaded“: Eine garantiert bärenfreie Vier-Quadratmeter-Höhle wird gestellt, Ausstattung und Verpflegung können sich die Urlauber (bis zu sechs Personen) im nahegelegenen Wald selbst ersammeln und erjagen (kostenpflichtiger Einstiegskurs „Speere schnitzen leicht gemacht“). Im Set erhältlich ein paar Feuersteine, ein Bündel Stroh und getrocknete Wunderpilze, damit es, falls die Jagd misslingt, doch noch zu ein paar Hochgefühlen kommt.
Urlaubspaket „Familienidyll“: In der Abstellkammer der Großfamilie Dollinger stehen zwei Klappbetten und die ehemalige Hundedecke der Riesendogge Coriolan bereit. Die dünnen Wände garantieren, dass dem Gast keine Nuance der erbaulichen Streitgespräche zwischen Mutter und Vater Dollinger und den vier Teenagern Kevin, Schanise, Beyoncee und Trevor entgeht, und vor der Tür finden sich als originelles Dekorationselement immer frische Haarbüschel, die sich die lebhaften Zwillinge Tim und Dietlinde bei der täglichen Rauferei gegenseitig ausreißen. Als besonderes Extra hängt über allem der dumpfe Geruch voller Babywindeln und verwesender Tierkadaver, die von Katze Petra im ganzen Haus verteilt werden.
Eines ist sicher: Bei einem solchen Urlaub kommt man ganz auf seine Kosten. Für Spannung, Nervenkitzel und Abwechslung ist gesorgt, und das lästige Gefühl, sich über nichts beklagen zu können, darf man getrost über Bord werfen. Wenn man nach Hause kommt, kann man sich stundenlang über die Erlebnisse in der wilden Fremde auslassen, Freunde und Verwandte halten den Atem an, der Gast ist endlich wieder Pionier, Forscher, Entdecker, Überlebenskämpfer wie einst in der grauen Vorzeit der Abenteurer und Weltumsegler. Freilich, so richtig erholsam ist so ein Urlaub nicht. Aber man kommt von ihm mit der erquickenden Gewissheit zurück, dass die tägliche Tretmühle daheim im Vergleich dazu ein Klacks ist.
Und das ist doch auch schon was.