Bozen – Falls es zu keiner plötzlichen Kehrtwende kommt, ist schon jetzt klar, dass die Landesregierung zumindest einen Punkt aus dem Klimaplan 2040 nicht umsetzen kann. Im Aktionsfeld Personenverkehr ist die Standseilbahn von Meran nach Schenna enthalten. Doch nachdem sich der Meraner Gemeinderat zu Jahresende gegen das Projekt aussprach, hat es die Landesregierung vergangene Woche zu den Akten gelegt.
Die Finanzierung der Standseilbahn im Ausmaß von 37,5 Millionen Euro wäre aus dem staatlichen Wiederaufbauplan PNRR erfolgt. Das Projekt hätte Meran zu einer Verkehrsentlastung in Richtung Schenna und Tirol verholfen. Merans Bürgermeister, Dario Dal Medico, sieht jedoch andere Prioritäten in der städtischen Verkehrsplanung, die vor einer eventuellen Standseilbahn zu realisieren seien.
Das versenkte Projekt weckt Erinnerungen an eine Volksbefragung in Bozen im Jahr 2019, als die Bürger:innen einer Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Nahverkehrs eine Absage erteilten.
Tra(u)m futsch
70 Prozent der Bozner:innen stimmten damals – bei einer Wahlbeteiligung von 32,6 Prozent – gegen eine Tram vom Bahnhof Bozen zum Krankenhaus und zum Bahnhof Sigmundskron. Von Sigmundskron wäre in einem zweiten Schritt eine Verlängerung ins Überetsch bis nach Kaltern angedacht gewesen. Die wichtigsten Argumente der Gegnerschaft waren die Kosten von über 200 Millionen Euro allein für den Abschnitt nach Sigmundskron und die Baustellen, die den Verkehr beeinträchtigen würden.
Das Nein zur Tram – bei einem Ja wäre sie möglicherweise ab 2026 in Betrieb gewesen – rächt sich und wird sich weiterhin rächen. Denn schon heute gehören Staus zwischen Überetsch und Bozen zur Tagesordnung. Unfälle und Baustellen – wie vor wenigen Monaten im Sigmundskroner Tunnel – können sogar zum Kollaps führen. Auf den Überetscher Metrobus ist nur ein kleiner Teil der Pendler:innen umgestiegen. Wirklich Abhilfe verschaffen dürfte nur eine straßenunabhängige Verbindung.
Unattraktive Bahnlinie
Zur täglichen Überlastung auf der westlichen Stadtzufahrt von Bozen trägt auch wesentlich der Verkehr aus dem Burggrafenamt bei. Der Großteil der Pendler:innen nutzt das Auto, da der Zug von Meran nach Bozen gegenüber der Schnellstraße Mebo schlichtweg nicht konkurrenzfähig ist. Die eingleisige, teils kurvenreiche Bahnlinie mit ihren wenigen Kreuzungspunkten ist geprägt von langen Fahrzeiten und regelmäßigen Verspätungen.
Ein zweigleisiger Ausbau mit teilweiser Begradigung steht schon seit vielen Jahren in den Mobilitätsplänen, doch eine Realisierung ist noch immer in weiter Ferne. Immerhin hat sich der italienische Schienennetzbetreiber RFI inzwischen an die Planung gemacht, doch die gleichzeitig gestartete Diskussion mit den Grundbesitzern erweist sich als schwierig. Angeführt vom Bauernbund regt sich großer Widerstand gegen den geplanten Trassenverlauf.
Es ist nicht auszuschließen, dass es zu einem jahrelangen Streit mit den Grundbesitzern kommt. Vor 2035 ist wohl nicht mit einem Bauende zu rechnen – und realistisch ist das auch nur dann, wenn mit den weiteren Planungen alles glatt läuft und der Staat das Projekt effektiv finanziert. Derzeit fehlt die Finanzierung noch.
Stellt sich die Frage, warum man nicht schon vor Jahren erste Gespräche mit den Grundbesitzern entlang der Bahntrasse führte, um jetzt – wo RFI endlich aktiv geworden ist – nicht zu viel Zeit zu verlieren. „Solange der Trassenverlauf nicht definiert ist, macht es keinen Sinn, mit jemandem zu reden“, meint dazu Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider (siehe Interview).
Der Verkehr ist der größte Hebel
Allein die Situation zwischen Meran, Überetsch und Bozen zeigt, dass sich die Verkehrssituation insgesamt wohl so schnell nicht verbessern wird. Es kann zwar an mehreren Stellschrauben gedreht werden – bessere Radinfrastruktur, bessere Busverbindungen, Carsharing –, doch Analysen zeigen, dass nun einmal die Bahn das größte Potenzial bietet, um die Autonutzung zu verringern. Heute werden in Südtirol 70 Prozent aller Mobilitätsbedürfnisse mit dem Auto abgedeckt und nur weniger als vier Prozent mit dem Zug.
In der Erarbeitung des Klimaplanes wurde erhoben, dass der Verkehr mit rund 44 Prozent der relevanten CO2-äquivalenten Emissionen der bedeutendste emittierende Sektor ist. Zwei Drittel davon entfallen auf den Personenverkehr, das andere Drittel auf den Güterverkehr. Um die angestrebte Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, ist also ganz besonders beim Verkehr anzusetzen.
Ambitionierte Ziele im Klimaplan
Im Klimaplan ist im Aktionsfeld Personenverkehr folgendes Ziel definiert: „Erhöhung der genutzten (nicht der angebotenen) Personenkilometer im öffentlichen Personennahverkehr um 70 Prozent bis 2030 und Verdoppelung der genutzten Personenkilometer bis 2037. Reduktion des motorisierten Individualverkehrs außerorts um 26 Prozent und innerorts um 34 Prozent (gesamt 30 Prozent).“
Ist das noch machbar? „Es liegt in unserer Hand. Tun wir nichts, geht zwar nicht die Welt unter, aber wir bleiben weiter im Stau stecken, siehe Tram ins Überetsch. Ich bin für mehr Lebensqualität und Sicherheit – und dafür brauchen wir Alternativen und ambitionierte Pläne. Wir arbeiten Schritt für Schritt daran, diese umzusetzen“, sagt Landesrat Daniel Alfreider.
Interview
„Dann bleiben wir im Stau stecken“
SWZ: Wie enttäuscht sind Sie über die Ablehnung der Standseilbahn Meran-Schenna?
Daniel Alfreider: Wir als Land können nur versuchen, Projektvorschläge voranzubringen. Vor allem Meran und Bozen haben eine ganz starke Verkehrsbelastung, sodass es unbedingt notwendig ist, Alternativen zum Auto zu schaffen. Das Projekt in Meran haben gar nicht wir erfunden, sondern die Gemeinde selbst vor 15 Jahren. Wir haben alles dafür getan, um europäische oder staatliche Geldmittel zu erhalten und – nachdem die Zusage aus Rom kam – das Projekt gemeinsam mit der Gemeinde fertigzustellen und einzureichen. Die Ablehnung ist nun eine vertane Chance, 40 Millionen Euro in eine Alternative zum Auto zu investieren. Zudem hätte Meran fast nichts von den Bauarbeiten gespürt, sondern nur den Vorteil von weniger Autos in der Stadt gehabt. Leider haben in Meran manche im letzten Moment ihre Meinung geändert. Wenn man von Anfang an gesagt hätte, dass man vom Projekt nicht überzeugt ist, hätten wir die gleiche Energie in anderen Gemeinden einsetzen können.
Der Fall erinnert an 2019, als sich die Bozner Bevölkerung gegen die Tram ins Überetsch aussprach. Ist die Tram definitiv vom Tisch – auch wissend, dass es zwischen Überetsch und Bozen ein massives Verkehrsproblem gibt und der Metrobus bislang keine sehr attraktive Alternative ist?
Dieses Beispiel zeigt eindrücklich: Wenn man gegen eine Alternative zum Auto ist, behält man sich einfach den Verkehr. Das ist eine einfache Formel. Wir haben den betroffenen Gemeinden gesagt: Wenn ihr uns eine Trassenverfügbarkeit für die Tram bringt, werden wir alles für die Planung und Finanzierung tun. Aber derzeit kann ich mir schwer vorstellen, dass es eine Trassenverfügbarkeit gibt. Und wir wollen keine Ehrenrunden drehen. In der Zwischenzeit planen wir eine Vorzugsspur für den Metrobus zwischen der Mebo-Kreuzung und Eppan, damit der Bus nicht mit dem gesamten Verkehr im Stau stehen muss. Denn schließlich muss ein öffentliches Verkehrsmittel die Fahrzeiten einhalten, damit es tatsächlich eine Alternative zum Auto ist.
Reicht das, um das Überetscher Verkehrsproblem zu lösen?
Es würde sicherlich sehr viel helfen. Eine Vorzugsspur ist wie eine eigene ÖPNV-Linie. Laut den Zahlen bräuchte es für das Überetsch eine Bahn oder Seilbahn, aber eine Vorzugsspur für den Metrobus bringt auch schon viel – sie ist allemal nützlich.
Das nächste Problem in dieser Zone ist die nicht konkurrenzfähige Bahnlinie Meran-Bozen. Die Planungen für einen Ausbau haben begonnen, allerdings bremsen die Grundbesitzer. Gibt es ein realistisches Datum für die Fertigstellung?
Erst einmal müssen wir so schnell wie möglich zum Baubeginn kommen. Es ist so: Der Schienennetzbetreiber RFI arbeitet in ganz Italien an zahlreichen Projekten. Wir in Südtirol haben – nachdem die Bahn auf dem Brennerkorridor bereits optimiert wird – noch zwei große Bedürfnisse: die bessere Anbindung der östlichen und der westlichen Landeshälfte. Auf der Pustertaler Linie braucht es dafür unbedingt die Riggertalschleife, die in der Prioritätenliste ursprünglich weiter hinten war, aber durch Olympia 2026 in Rom angekurbelt und vorgezogen wurde. Die meisten Menschen leben in der westlichen Landeshälfte, weshalb es neben der Elektrifizierung der Vinschger Bahn einen Ausbau der Linie Meran-Bozen braucht. Es gelang uns, RFI davon zu überzeugen, sodass vor eineinhalb Jahren mit der Planung begonnen wurde. Nach den ersten Projektentwürfen tauchten Fragen auf, die dann näher untersucht wurden. Wir hätten Anfang des Jahres die ersten Ergebnisse bekommen sollen, aber es war aufwendiger als gedacht. Inzwischen sind die aktualisierten Planungsunterlagen eingetroffen und wir werden Anfang Mai die ersten Sitzungen dazu haben.
Im Vorjahr war von einer möglichen Fertigstellung im Jahr 2032 die Rede. Muss man dieses Datum nach hinten verschieben?
Das hängt großteils von uns selbst ab. 2032 wäre theoretisch möglich. Es wäre ewig schade, wenn die westliche Landeshälfte nicht gut angebunden wäre. Viele Menschen sind vom Projekt überzeugt, aber es gibt einige Zweifel, die wir im Zuge der nächsten Detailplanungen hoffentlich aus dem Weg räumen können.
Hätte man mit den Grundbesitzern nicht schon vor vielen Jahren erste Gespräche führen können, damit es jetzt schneller vorangeht?
Wir haben immer gesagt, dass ein Trassenausbau geplant ist, aber solange der Trassenverlauf nicht definiert ist, macht es keinen Sinn, mit jemandem zu reden. Man muss auch Sensibilität gegenüber den Grundstückseigentümern zeigen, denn es ist schon eine ernste Sache, wenn es um den eigenen Besitz geht.
Hat Rom mittlerweile die Finanzierung des Ausbaus der Bahnlinie effektiv zugesagt?
Nein. Es hängt ganz von uns ab: Die Planungen müssen vorankommen und wir müssen Druck aufbauen, dass Rom das Projekt vorantreibt. Auch bei der Riggertalschleife planten wir laufend weiter und es ergab sich irgendwann die Möglichkeit der Finanzierung. Dasselbe damals, als die Linie Turin-Lyon gestoppt wurde und Gelder frei wurden: Damit konnten wir die BBT-Zulaufstrecke Franzensfeste-Waidbruck finanzieren. Wir versuchen laufend, RFI und das Transportministerium zu überzeugen, dass wir gewisse Baumaßnahmen dringend brauchen. Indem wir auf den Hauptachsen mehr Menschen auf die Schiene bekommen, befreien wir die Straßen und Städte von den Autos und steigern die Lebensqualität. Mit Umfahrungsstraßen gelingt es nur, Verkehr zu verlagern, aber wir wollen auch Verkehr vermeiden.
Im Klimaplan 2040 sind dahingehend ambitionierte Ziele enthalten. Sind diese angesichts gestoppter und verzögerter Projekte überhaupt noch erreichbar?
Gesetzte Ziele kann man nur gemeinsam erreichen. Es liegt in unserer Hand. Tun wir nichts, geht zwar nicht die Welt unter, aber wir bleiben weiter im Stau stecken, siehe Tram ins Überetsch. Ich bin für mehr Lebensqualität und Sicherheit – und dafür brauchen wir Alternativen und ambitionierte Pläne. Wir arbeiten Schritt für Schritt daran, diese umzusetzen.
Interview: Heinrich Schwarz