Bozen – Der Handels- und Dienstleistungsverband hds klagte vergangene Woche an: Onlineshopper retournieren fast jeden fünften Modeartikel, besagten Studien. Das ist bequem, sorgt aber für sinnlosen Verkehr. Landesrat Arnold Schuler nannte diesbezüglich unlängst bei einer Veranstaltung in Marling eine beeindruckende Zahl: „13 Prozent des Autobahnverkehrs werden mittlerweile durch den Onlinehandel verursacht.“ hds-Präsident Philipp Moser fordert daher: „Ein Umdenken und Einwirken im Konsumverhalten ist dringend notwendig.“ Ein Umdenken fällt freilich schwer, wenn die Preise online günstiger sind.
Das Beispiel zeigt, in welcher Zwickmühle sich die Gesellschaften in den Wohlstandsländern – und somit auch in Südtirol – befinden. Wir wissen, dass wir eigentlich nicht weiterkonsumieren, weiterfahren, weiterfliegen dürften wie bisher. Und wenn wir es tun, dann werden wir es womöglich nicht mehr lange tun. In Gedanken und Worten sind wir für mehr Nachhaltigkeit. In Taten fällt sie uns – zumindest den allermeisten von uns – aber schwer, abgesehen von ein paar guten Werken, die das Gewissen beruhigen, aber nicht wirklich wehtun.
Mirco Tonin, Verhaltensökonom und Professor an der Freien Universität Bozen (unibz) analysiert trocken: „Bei der Nachhaltigkeit stellt sich das klassische Problem: Alle wünschen sich das kollektive Wohl samt dessen Vorteilen, aber das Individuum möchte dafür keinen Preis bezahlen – das sollen die anderen tun.“ Das ist in wirtschaftlichen Blütezeiten wie derzeit der Fall, in denen wir dem Klima und der Umwelt am meisten zuleide tun. Das ist noch mehr in Krisenzeiten so, in denen Klima- und Umweltgedanken erfahrungsgemäß in den Hintergrund rücken.
„Ich beobachte, wie Nachhaltigkeit – genauso wie Digitalisierung und Innovation – eine leere Worthülse geworden ist. Alle schreiben sie sich auf die Fahnen, aber dahinter steckt in den meisten Fällen viel heiße Luft“, sagt Günther Reifer, der Gründer des Terra Institute.
Muss uns also die Politik zu unserem Glück zwingen, weil wir selbst nicht vernünftig genug sind? Muss die Politik ein Mehr an Nachhaltigkeit herbeiführen durch Verbote, Zwang, Verteuerungen, nach dem Motto „Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“?
Wer sich ansieht, wie wenig sich die Lippenbekenntnisse zu mehr Nachhaltigkeit im ökologischen Fußabdruck der meisten Wohlstandsbürger widerspiegeln, muss zum Schluss gelangen: ja.
Und so versucht sich die Politik in Verboten, die notwendig erscheinen, zuweilen aber wenig durchdacht sind. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter etwa ist zu einer Art Robin Hood geworden, der die Transit-Lkw – egal, wie sauber und leise – im Block abfertigt sowie nachts und an den Wochenenden stoppt, der Warengruppen auf die Schiene zwingt, der den Urlauber-Pkws die Fahrt auf der Landstraße verweigert. Die Bozner Politik ihrerseits verbietet – übrigens wie mehrere andere europäische Städte – den älteren Pkws die freie Zirkulation, mit allen unangenehmen Nebenwirkungen. Landeshauptmann Arno Kompatscher bekräftigt den festen Willen, die Dolomitenpässe zeitweise für den motorisierten Verkehr zu sperren. Und am berühmt gewordenen Pragser Wildsee sind Straßensperrungen bereits Realität.
Müssen weitere Verbote folgen? Dürfen wir bald nicht mehr in den Urlaub fliegen? Nicht mehr nach Lust und Laune online shoppen? Nicht mehr mit dem Auto pendeln? Kurzum: Muss unsere freie Gesellschaft etwas weniger frei werden, damit wir die Welt retten können? Das scheint undenkbar, denn Verbote sind dem Homo sapiens zuwider. Schon Kinder versuchen instinktiv, Verbote zu umgehen. Mit Verboten ist es im Grunde wie mit den Steuern: Werden sie zu viel, sucht (und findet) der Mensch ein Ventil.
Glücklicherweise existieren durchaus Beispiele, die darauf hoffen lassen, dass wir uns zu besseren Menschen erziehen lassen. Die Gurtpflicht im Auto sorgte einst etwa für Naserümpfen – und für Autofahrer, die kurze Strecken demonstrativ unangeschnallt zurücklegten. Mittlerweile ist das Anschnallen selbstverständlich geworden. Ähnlich war es mit dem Rauchverbot in öffentlichen Lokalen, das zunächst für lauten Protest sorgte und mittlerweile anerkannt ist.
In diesen Fällen haben die Verbote einen gesellschaftlichen Wandel bewirkt. Aber nicht nur mit Verboten lässt sich der Mensch erziehen, sondern auch mit Anreizen. Ein banales Beispiel, das hierfür oft genannt wird, ist die Fliege im Pissoir. Es ist erwiesen, dass eine aufgemalte Fliege über dem Pissoir-Abfluss den Boden sauberer bleiben lässt; die Männer lassen sich offenbar von der Fliege zu mehr Präzision verleiten.
„Es existiert kein Patentrezept auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Es braucht wohl eine Kombination aus Verboten und Anreizen, aus gesetzlichem Druck und gesellschaftlichem Willen, aus Besteuerung und Subventionierung“, meint unibz-Professor Tonin. Er kommt auf das Rauchen zurück: Der Gesetzgeber habe mit der Verteuerung der Zigaretten sowie mit Werbe- und Rauchverboten auf den Konsum eingewirkt, und parallel habe dies zu einer Veränderung gesellschaftlicher Normen geführt: „Früher war Rauchen cool, heute ist es uncool.“ Deswegen ist Tonin überzeugt, dass Initiativen wie „Fridays for Future“ auf gesellschaftliche Normen einwirken können: Was heute Ausdruck einer freien Gesellschaft ist, könnte morgen out sein.
Weil diese Veränderung schnell gehen muss, wird es aber nicht ohne Druck gehen, ist Tonin überzeugt. Und: Die Veränderung wird nicht völlig schmerzfrei sein, weil es immer Interessen, Kategorien und Personen gibt, denen durch die Veränderung Nachteile erwachsen.
Sonja Abrate, die Vizedirektorin des Ökoinstitutes Südtirol, pflichtet Tonin bei: „Wir brauchen eine Kombination aus Verboten und Anreizen.“ Manchmal bewirke allein die Aussicht auf ein Verbot viel, beobachtet Abrate. So habe die auf der Zielgeraden befindliche EU-Richtlinie zum Plastikverbot dazu geführt, dass vielerorts bereits freiwillig auf Plastik verzichtet wird, dass Alternativen entwickelt wurden und dass der Plastikverzicht eine positive Resonanz erfährt.
Was bei Plastik funktioniert, funktioniert nicht eins zu eins bei der Mobilität, sind Abrate und Tonin realistisch. Man könne das Fliegen und das Autofahren nicht so einfach verbieten. Man könne es – so meint Abrate – aber steuern, zum Beispiel indem Mittelstreckenflüge verteuert und damit der Zug zur besseren Alternative gemacht würde. Zusätzlich wäre es laut Reifer notwendig, eine Pflicht zum Kompensieren des CO2-Ausstoßes bei Flügen einzuführen.
Sonja Abrate findet, dass gerade jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, um mit Gesetzen die Gesellschaft sanft in Richtung mehr Nachhaltigkeit zu schubsen: „Die Motivation, etwas für das Klima zu tun, ist groß, auch bei den Unternehmen.“ Das Ökoinstitut merke dies an der steigenden Zahl an Anfragen.
Günther Reifer vom Terra Institute stellt dies ebenfalls fest: „Es tut sich – freiwillig – viel in den Unternehmen. Selbst Weltkonzerne arbeiten intensiv an der Änderung ihrer Geschäftsmodelle. Und mittlerweile gibt es immer mehr erfolgreiche Anbieter, welche die Schlagworte Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Innovation zu etwas wirklich Neuem verbinden und es zu ihrem Differenzierungsmerkmal machen.“ Das erfüllt Reifer mit Hoffnung, denn er ist überzeugt: „Das Angebot muss sich ändern, nicht die Konsumenten.“
Ist mehr Nachhaltigkeit also ohne Verzicht zu haben? „Nein“, meint Abrate, „es muss nur gelingen, den Verzicht positiv zu verpacken.“ „Ja“, hält Reifer dagegen, denn: „Verzichten will der Mensch nicht.“ In diesem Fall würde sofort ein Schattenmarkt entstehen. Genau deswegen plädiert Reifer dafür, dass Unternehmen ihre Angebote ändern: „Nachhaltigkeit muss auch Spaß machen dürfen, und dafür braucht es clevere, CO2-neutrale Produkte.“ Er spricht den Satz irgendwo in Deutschland am Steuer eines Elektroautos in ein Fairphone.
So wie die Unternehmen wollen müssen, so muss auch die Politik wollen, fordert Tonin. Die Mondlandung, deren 50-jährige Wiederkehr in diesen Wochen gefeiert wird, habe gezeigt, zu welchen technologischen Leistungen die Menschheit fähig sei, wenn die Politik den unbedingten Willen dazu habe und die Forschung finanziell unterstütze. Allerdings ist Tonin skeptisch, ob in der Nachhaltigkeitsfrage ein ähnlicher politischer Druck kommen wird wie beim damaligen Wettlauf zwischen den USA und Russland. „Solange es Präsidenten großer Industrieländer gibt, die den Klimawandel leugnen, ist das kaum realistisch“, so Tonin. Und alleine wird Europa das Klima nicht retten können, weiß Günther Reifer, der aber hinzufügt: „Das heißt allerdings nicht, dass wir resignieren und nichts tun sollen.“
Günther Reifer beobachtet, wie die Welt „einen spannenden Übergangsprozess durchlebt“. Der Ausgang ist ungewiss. Aber Optimismus darüber, dass es im Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Konsumenten der richtige Ausgang sein wird, ist angebracht – und ohnehin die einzige Option.