Bozen – Die Stimmung könnte wahrlich besser sein. Ständige Nachrichten über Talfahrten an den Finanzmärkten, über wankende Bankenkolosse und drohende Kreditklemmen, über horrende Staatsschulden und notwendige Steuererhöhungen, über erforderliche Sparmaßnahmen und schrumpfende Landeshaushalte drücken aufs Gemüt der Bürger – auch in Südtirol. Die Prophezeiung „2012 wird ein hartes Jahr“ ist in diesen Tagen und Wochen weit häufiger zu hören als ein optimistisches „2012 wird ein gutes Jahr“. Vielmehr äußern Unternehmer angesichts der Rahmenbedingungen die Furcht, dass diesmal auch Südtirols Konjunktur einen ernsthaften Dämpfer erleben könnte, nachdem es im Zuge der jüngsten Weltwirtschaftskrise – mit Ausnahme einzelner Branchen – mit einem blauen Auge davongekommen war. Eilen wir tatsächlich schon einer neuen Krise entgegen, nachdem die alte eben erst überwunden ist?
Wenig Grund zum Optimismus bietet derzeit der Arbeitsmarkt, der durchaus ein zuverlässiger Indikator für die Stimmung bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist. Nach einem furiosen ersten Halbjahr 2011 hat die Nachfrage sowohl nach Mitarbeitern als auch nach Jobs seit August deutlich abgenommen. Wenn aber die Suche der Selbstständigen nach Mitarbeitern abflaut, bedeutet dies, dass sich die Auftragsbücher leeren oder zumindest in naher Zukunft damit gerechnet wird. Und wenn die Suche der Unselbstständigen nach neuen Jobs abnimmt, dann lässt sich daraus schließen, dass die Arbeitsplatzsicherheit jeglichem Experiment vorgezogen wird, auch wenn der aktuelle Job vielleicht nicht ganz glücklich macht. Sigrid Strobl, die Inhaberin des Personalvermittlers Personal Consulting, nennt eine solche Situation treffend „Angststarre“. Eine solche Angststarre beobachtete Strobl auch 2008, kurz bevor im Herbst nach der Pleite von Lehman Brothers die große Krise kam.
Dabei hatte 2011 so vielversprechend begonnen. Anfang Mai gab der Arbeitsservice des Landes bekannt, dass bei den gemeldeten offenen Stellen ein Plus von satten 30 Prozent gegenüber 2010 zu verzeichnen sei. Beim (kostenlosen) Arbeitsservice werden erfahrungsgemäß knapp 25 Prozent der offenen Stellen gemeldet, was ihn zu einem vertrauenswürdigen Gradmesser für die Arbeitsmarktlage macht. Im Juli lag die Zahl noch knapp über dem Niveau von 2010, seit August wird „nur“ mehr das Niveau von 2010 erreicht, informiert Stefan Luther, der Direktor des Landesamtes für Arbeitsmarktbeobachtung. Bestätigung kommt von Sigrid Strobl: „Das erste Halbjahr war gut, aber letzthin stellen wir fest, dass sowohl die Stellenangebote als auch die Stellennachfrage weniger geworden sind.“ Hannes Mair, der Inhaber des Personalvermittlers look4you, stimmt zu und ergänzt: „Vor allem in jenen Bereichen, in denen Finanzierungen vonseiten der Banken eine große Rolle spielen, zum Beispiel im Anlagenbau, macht sich eine wachsende Vorsicht bemerkbar.“ Um das Bild abzurunden, verlautet derzeit aus den am lokalen Markt tätigen Leiharbeitsagenturen, dass die Aufträge weniger werden. Offensichtlich bleiben in den Unternehmen die Produktionsspitzen, die häufig mit Leiharbeitern abgedeckt werden, aus. Nachdenklich stimmen weiters Prognosen, wonach die europäische Automobilbranche einer nahenden Absatzkrise entgegenblickt – immerhin sitzen gar einige wichtige Zulieferer in Südtirol.
Die Abkühlung auf dem Arbeitsmarkt ist auffallend. Die große Frage lautet, ob es zulässig ist, Parallelen zur Vorkrisenzeit von 2008 zu ziehen. Die Daten über die Stellenmeldungen beim Arbeitsservice des Landes bewegen sich trotz Beruhigung nach wie vor deutlich über dem Niveau von 2009, analysiert Stefan Luther. Und Andreas Unterhofer, der Geschäftsführer von Business Pool, will von einer Abkühlung am Arbeitsmarkt gar nichts bemerkt haben. Stefan Luther geht trotz nachlassender Arbeitsmarktdynamik davon aus, dass am Ende des Jahres in Sachen Arbeitslosigkeit das Erreichen des Vorkrisenniveaus von 2008 (2,4 Prozent) realistisch ist. „Es stellt sich eher die Frage, was 2012 passiert“, kann er gewisse Bedenken aber nicht verbergen.
Kurzum: Es wäre falsch, aus der verminderten Lebhaftigkeit am Südtiroler Arbeitsmarkt gleich eine nahende Krise zu konstruieren. Vorerst handelt es sich einfach um ein Stimmungsbild, das die aktuellen Unsicherheiten widerspiegelt – nicht mehr und nicht weniger. Noch handelt es sich nur um ein kurzfristiges Abflauen des Interesses an Arbeitskräften und -plätzen, das bald wieder in eine rege Nachfrage umschlagen könnte. Ein bisschen beunruhigend ist die plötzliche Abkühlung aber doch.