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Zurück zur Realität

Die Trump-Mania nimmt kein Ende. Dabei ist hochgradig ungewiss, welche konkreten Auswirkungen die Wahl Donald Trumps auf die Welt, die Wirtschaft und die Unternehmen haben wird. Ein Plädoyer für die Rückkehr zur Realität.

Südtiroler Wirtschaftszeitung von Südtiroler Wirtschaftszeitung
25. November 2016
in International
Lesezeit: 5 mins read

Die Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika liegt nun schon mehr als zwei Wochen zurück. Trotzdem beherrscht die US-amerikanische Wahl beziehungsweise ihr für die allermeisten Beobachter überraschender Ausgang weiterhin die Medien. Offensichtlich sitzt der Schock bei vielen Journalisten und den von ihnen interviewten Politikern, Wahlforschern und Sozialwissenschaftlern speziell in Europa noch sehr tief.

Der Schock der fast totalen Überraschung, dass mit Donald Trump jemand zum Präsidenten der gegenwärtig mächtigsten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt gewählt wurde, der in seinem Wahlkampf offensichtlich bewusst in jedes Fettnäpfchen der politischen Korrektheit hineingetreten ist, das sich ihm bot. Jemand, der wie ein Rumpelstilzchen krakeelt und auf dem Boden der Meinungen und Werte herumstampft, die die führende Politik- und Gesellschaftselite der meisten westlichen Demokratien als die richtigen postulieren. Kein vernünftiger Mensch kann einen solchen Präsidenten wollen. Das war das Credo der Kommentatoren und Beobachter.

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Es erinnerte fatal an die Stellungnahmen und Prognosen vor der Brexit-Abstimmung im Vereinigten Königreich im Juni dieses Jahres. Die Buchmacherquote lag bei 3:1 für einen EU-Verbleib. Die Engländer werden doch nicht so unvernünftig sein, den Brexit zu wählen, der ihnen insbesondere wirtschaftlich deutlich mehr Nach- als Vorteile bringen wird, äußerte sich einer meiner Kollegen, ein renommierter Finanzwissenschaftler, am Vorabend der Wahl. Solche Wahlen werden aber nicht nach rationalen Gesichtspunkten entschieden, sondern maßgeblich von Emotionen, von Ängsten, Zukunftserwartungen und Ohnmachtsgefühlen geprägt, die von medial präsenten Führern instrumentalisiert werden.

Noch am 7. November konnte man zum Beispiel in der „Fortune“ lesen, dass Wettanbieter die Siegchance von Hilary Clinton mit 80 Prozent bewerten. Mit Ausnahme der „Los Angeles Times“ sahen auch alle renommierten Zeitungen und Meinungsforschungsinstitute Clinton teilweise deutlich vorne. Wie wir nun wissen, lag man – wie beim Brexit – wieder falsch, obwohl die AfD in Deutschland, Hofer in Österreich, aber auch der MoVimento 5 Stelle in Italien Warnung hätten sein können.

Welche Erkenntnisse lassen sich daraus ziehen? Die erste Erkenntnis ist, dass bewährte Methoden der Meinungsforschung offensichtlich nicht mehr in der Lage sind, Wahlergebnisse verlässlich vorauszusagen. Dies gilt vor allem für Themen, bei denen es eine als vorherrschend wahrgenommene öffentliche Meinung gibt, die Andersdenkende diffamiert und stigmatisiert. Die ‚soziale Erwünschtheit’ bestimmter Antworten führt zu verzerrten Ergebnissen. Wer outet sich gerne als jemand, der die herrschende Meinung nicht vertritt? Die als Schuldige rasch identifizierten alten weißen Männer, die Ungebildeten, die Hasserfüllten vom Land, die können Trump allein nicht zum Präsidenten machen. Matteo Renzi und seit letztem Wochenende offiziell auch Angela Merkel seien gewarnt. 55 Prozent der Deutschen wünschten sich laut einer Umfrage des „Emnid-Instituts“ für die „Bild am Sonntag“ eine erneute Kandidatur von Angela Merkel – im Internet ist nachzuvollziehen, dass hier wieder eine Wirklichkeit vorgegaukelt wird, dies es nicht gibt. Vielleicht müssen auch Unternehmen ihre Marktforschung einmal kritisch unter die Lupe nehmen.

Die zweite Erkenntnis ist, dass eben die herrschende Meinung wohl immer weniger mit der Meinung eines Großteils der jeweiligen Bevölkerung übereinstimmt, sich immer weiter entfernt und entfremdet hat. Philipp Mattheis schreibt in einem Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“ am 9. November: „Wir alle leben in einem homogenen Meinungsbrei, der uns beständig in unseren Überzeugungen bestärkt: Wir sind für den Sozialstaat und gegen gierige Banker. Für Flüchtlinge. Gegen Steueroasen. Für Demokratie. Gegen Diktatur, gegen Krieg sowieso. Für die Homo-Ehe. Gegen Diskriminierung. Gegen Ausbeutung. Für die Vernunft. Und wir sind überzeugt, die Vernunft auf unserer Seite zu haben. Die anderen – das sind die Unvernünftigen, die Ungebildeten, die Hater.“ Trotz Selbstkritik meint er es nicht ironisch. Wir sind die Guten, die anderen die Minderbemittelten. So etwas hat es in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben – mit fatalem Ausgang.

Auch bei den Auswirkungen des Trump’schen Wahlsiegs insbesondere für die globale Wirtschaft lagen die Auguren falsch. Im Vorfeld konnte man von dramatischen Reaktionen der internationalen Finanzmärkte lesen. Am 31. Oktober zitierte die „New York Times“ unter der Überschrift „What happens to the Markets if Donald Trump Wins?“ den Chefökonomen des MIT, Simon Johnson, der sinngemäß prophezeite, dass die Aktienmärkte zusammenbrechen und die Welt in eine Rezession reißen würden. Was geschah? Das Gegenteil! Der DAX startete nach Bekanntwerden des Wahlsiegs von Trump mit 2,5 Prozent im Minus, ging aber mit einem Plus von fast 1,6 Prozent aus dem Markt. Ähnlich sah es an anderen europäischen Börsen aus. Kurzzeitig wurde sogar von einer Trump-Rally gesprochen, aber heute scheinen die Finanzmärkte wieder im Business-as-usual-Modus zu sein (siehe Grafiken). Wie kann man dies deuten?

Vermutlich sind die von den Ökonomen so oft ob ihrer überlegenen Informationsverarbeitungskapazität gepriesenen, fiktiven „Märkte“ auch nicht schlauer als der Rest der Welt. Es wird abgewartet, wie sich die Dinge weiterentwickeln. In der Vorlesung „Internationales Management“ haben wir die Kommentare in den führenden Zeitungen und Wirtschaftsmagazinen in Italien, Deutschland, Europa und Asien ausgewertet. Die teilweise ungeschickten, undiplomatischen, um nicht zu sagen dümmlichen Äußerungen deutscher, italienischer und anderer europäischer Spitzenpolitiker während des Wahlkampfs in den USA und in Kommentierung von Donald Trumps Wahlsieg mal beiseite lassend, muss man zu folgendem Schluss kommen: Aufgrund vielfältiger, teilweise gegenläufiger Möglichkeiten und Szenarien kann man gegenwärtig auch versuchen, den Kaffeesatz zu lesen, um konkrete ökonomische Auswirkungen vorherzusagen. Es wird u.a. entscheidend davon abhängen, mit welchen Beratern und mit welchem Führungsteam sich Donald Trump umgeben wird und vor allem wie er als Newcomer die Verwaltungsstellen in Washington besetzen wird.

Wahrscheinlich wird er viele Abmachungen und Verträge unter dem Gesichtspunkt „America first“ aufschnüren und neu verhandeln lassen. Darunter werden Freihandelsabkommen wie NAFTA sein. Sich darüber zu beklagen, dass dann auch das TTIP abgeblasen wird, erscheint speziell dann heuchlerisch, wenn man sich die in Europa vorherrschende Skepsis und Ablehnung vor Augen führt, die sich diesem Abkommen entgegenstellt. Die Aufkündigung von Verträgen, Protektionismus und das Einfordern höherer Eigenbeiträge der Partner könnte für die Wirtschaft vieler europäischer Staaten, insbesondere Deutschland, aber auch China und Mexiko zumindest kurzfristig böse Folgen haben. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die globale Wirtschaft ein komplexes Gebilde von Abhängigkeiten auf nationaler, regionaler und unternehmerischer Ebene ist, welches eine hohe Systemstabilität aufweist.

Allerdings könnten ein gegenüber dem Euro abgewerteter Dollar – wonach es derzeit nicht aussieht –, Abschottungen des amerikanischen Marktes zum Beispiel durch Handelsbeschränkungen oder auch erzwungene höhere Staatsausgaben beispielsweise für das Militär oder Grenzschutz die schon jetzt unter hoher Schuldenlast ächzenden Haushalte vieler Länder (unser Vermächtnis an zukünftige Generationen!) an die Belastungsgrenze führen. Europa und speziell Italien, aber auch das noch weitgehend arglose Deutschland könnten wirtschaftlich und gesellschaftlich noch stärker unter Druck geraten. Das reflexartig von Politikern als Ausweg erkorene Mittel der Steuererhöhung wird die Kaufkraft, die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Industrie und damit die Konjunktur und die Wirtschaft abwürgen. Die Konsequenzen dürften dann zum Beispiel auch in Südtirols Tourismuswirtschaft oder für Südtiroler Unternehmer, die meist nicht auf den US-amerikanischen, aber den deutschen und europäischen Markt angewiesen sind, deutlich spürbar werden. So weit ist im Zeitalter der Globalisierung dann Amerika doch nicht weg.

Ob es so kommen wird und welche konkreten Auswirkungen die Wahl Donald Trumps auf zukünftige geopolitische Entwicklungen, auf die Weltwirtschaft bzw. einzelne Volkswirtschaften und noch spezieller einzelne Industrien und Unternehmen hat, ist hochgradig ungewiss. Dem Klimaschutz, der Stärkung von Minderheitenrechten, der politischen Auseinandersetzung in Demokratien und dem „Weiter so wie bisher“ dürfte seine Wahl nicht zuträglich sein. Es wird aber trotzdem Zeit, dass wir alle unsere Lehren aus dem Ereignis ziehen und wieder dazu übergehen, die nahestehenden ökonomischen und regionalpolitischen Probleme zu lösen. Davon gibt es sicherlich genügend viele.

Speziell wird es Südtiroler Unternehmern nicht zum Nachteil gereichen, bereits heute proaktiv alternative Internationalisierungsstrategien und Anpassungsmaßnahmen zu entwickeln.

Der Autor: Michael Nippa ist Professor für Management an der Wirtschaftsfakultät der Freien Universität Bozen.

Schlagwörter: 45-16freenomedia

Ausgabe 45-16, Seite 16

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