Innsbruck/Bozen – Von HIV über die Vogelgrippe bis zur Creutzfeldt-Jakob-Krankheit – und nun Covid-19: Dies sind nur einige Beispiele für die Zoonosen, die uns in der jüngeren Vergangenheit begegnet sind. Zoonosen, das sind Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Menschen und Tieren übertragen werden können. Verursacht werden sie von Bakterien, Parasiten, Pilzen, entarteten Proteinen (sogenannten Prionen) oder Viren. Der Begriff Zoonose leitet sich aus den griechischen Wörtern für Lebewesen (zoon) und Krankheit (nosos) ab. Insgesamt sind mehr als 200 Krankheiten bekannt, die zu den Zoonosen gezählt werden.
Laut der Fachzeitschrift Nature haben 60 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten (Emerging Infectious Diseases, EIDs) einen zoonotischen Ursprung. Fast drei Viertel stammen von Wildtieren. Der Mensch infiziert sich entweder über den direkten Kontakt mit einem kranken Tier oder einem tierischen Produkt wie Milch, Eiern oder Fleisch, oder aber über sogenannte Vektoren, die Krankheiten von einer Spezies auf die andere übertragen, ohne selbst davon betroffen zu sein (abweichend von der WHO-Definition von 1958). Ein Beispiel dafür ist die Schlafkrankheit, die von Tsetsefliegen von Rindern und Antilopen auf den Menschen übertragen wird. Der Vektor handelt somit als Zwischenwirt. Bei SARS-CoV-2 werden verschiedene Tierarten als Überträger auf den Menschen diskutiert, besonders die Hufeisennasen aus der Familie der Fledertiere und der zur Pelzherstellung gezüchtete Marderhund.
Durch Zoonosen ausgelöste Krankheiten nehmen zu
Die wohl bekannteste Zoonose ist die Tollwut, die heute in Mitteleuropa ausgerottet ist. Weltweit sterben aber noch immer rund 60.000 Menschen daran. Auch wenn gegen manche Zoonosen Medikamente oder Impfungen entwickelt werden, ist ihr Siegeszug kaum aufzuhalten. Forscher*innen haben herausgefunden, dass durch Zoonosen ausgelöste Krankheiten in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen haben. Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Zum einen hat sich die Diagnostik verbessert, zum anderen gibt es globale Übertragungswege durch Warenverkehr und Tourismus. Doch wo und warum entstehen Infektionskrankheiten? Ein Faktor ist, dass der Klimawandel Voraussetzungen für die Ausbreitung nicht einheimischer Vektoren schafft, die Erreger mitbringen und auf eine Bevölkerung übertragen, die keinen Immunschutz aufweist. Zudem dringt der Mensch immer weiter in den Lebensraum wilder Tiere vor und zerstört die dortige Natur. Zusätzliche Probleme bereiten Zuchtwildtiere wie Hirsche oder Elche sowie die Umsiedlung von Wildtieren, die national, aber auch international erfolgt. Weitere Quellen für die Entstehung von Zoonosen sind Massentierhaltung, der Handel mit Wildtieren sowie der Verzehr von Wildfleisch – in Afrika bushmeat genannt. Auf entsprechenden Tiermärkten, wie jenem in Wuhan, von dem das neuartige Coronavirus sich vermutlich ausgebreitet hat, treffen Arten aufeinander, die in der Natur nie in Kontakt kommen. Sie werden auf engem Raum gehandelt und geschlachtet. Ihr Immunsystem ist nicht vorbereitet auf unbekannte Erreger. So kann es passieren, dass zum Beispiel ein Virus von einer Spezies auf die andere überspringt. Durch den Kontakt mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten der Tiere kann auch der Mensch mit den Erregern in Kontakt kommen. Mutiert der Erreger, wird er befähigt, auch auf den Menschen überzuspringen. Bei Coronaviren ist der Mechanismus für die Vervielfältigung der Erbinformationen relativ fehleranfällig. Es kann zu zahlreichen Mutationen kommen. Bisher konnten auf diese Weise sieben Coronaviren auf den Menschen überspringen.
Die Gefahr zukünftiger Pandemien durch Zoonosen
Was die Menschheit in Zukunft noch erwartet, ist unklar. Das Bild der Zoonosen, das sich bisher gezeigt hat, ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Dem Global Virome Project, einer internationalen Initiative zur Erforschung von Viren zufolge, soll es einen Pool von etwa 1,6 Millionen Viren geben, die in der Tierwelt zirkulieren. Rund die Hälfte könne das Potenzial haben, Menschen zu infizieren, wobei nicht jedes Virus krank machen muss. Manche haben überhaupt keine Auswirkungen.
Erst kürzlich warnten jedenfalls Forschende in einem Bericht des UNO-Umweltprogramms UNEP davor, dass tierische Infektionskrankheiten in Zukunft häufiger auf den Menschen überspringen könnten. UNEP-Direktorin Inger Andersen sagte: „Wenn wir weiterhin die Tierwelt ausbeuten und unsere Ökosysteme zerstören, können wir einen stetigen Strom dieser Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, in den kommenden Jahren erwarten.“ Um dem entgegenzuwirken, muss der Mensch sein Verhalten ändern.
Wie können wir das Risiko verringern?
Es gilt, den illegalen Wildtierhandel – gemeint sind exotische Wildtiere – zu unterbinden und den legalen Handel mit Wildfleisch besser zu kontrollieren. Gerade in Entwicklungsländern müssen der Bevölkerung Alternativen angeboten werden, um sich auf eine andere Art zu ernähren. Ein weiterer Schlüsselfaktor ist der Schutz von Lebensräumen und der biologischen Artenvielfalt. Nachhaltige Lieferketten und der Schutz von Regenwäldern und natürlichen Ökosystemen sollten im Fokus internationaler Gesetze und Abkommen stehen.
Doch selbst wenn der Umgang des Menschen mit Tieren und Natur sich grundlegend ändert, ist dies keine Garantie dafür, dass es keine Erregersprünge mehr gibt. Umso wichtiger ist es, diese schnell zu erkennen, zu lokalisieren und möglichst rasch einzudämmen. Eine wichtige Rolle bei der Vorbeugung spielen weiterhin Hygienemaßnahmen wie das Waschen der Hände, von Obst und Gemüse sowie das ausreichende Garen von Fleisch.(sd)
Interview
„Wir hatten Glück“
SWZ: Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 gilt als Zoonose, als Infektionskrankheit, die bei Menschen und Tieren vorkommt. Warum springen Krankheitserreger von einer Spezies auf die andere über?
Dorothee von Laer*: Es gibt Krankheitserreger, die ohne Veränderung zwischen den Spezies hin- und herspringen können, zum Beispiel das Tollwutvirus. Andere Viren sind sehr spezifisch für ein bestimmtes Tier oder den Menschen, zum Beispiel das Masernvirus. Dann wiederum gibt es Viren, die in Tieren ihr Reservoir haben, Veränderungen durchlaufen und sich an den Menschen anpassen. Wenn ein Virus also mutiert und sich im Menschen vermehrt, hat man eine neue Zoonose. Relativ häufig gibt es eine Sackgasseninfektion, ein tierisches Virus springt auf den Menschen über, kann aber nicht Fuß fassen. Entscheidend ist demnach nicht nur das Überspringen, sondern auch, dass das Virus lernt, sich in einer hohen Zahl im Menschen zu vermehren. Außerdem muss das Virus lernen, von Mensch zu Mensch weitergegeben werden zu können. Dann erst spricht man von einer Zoonose.
Seit wann sind Zoonosen bekannt?
Bei der Tollwut wusste man schon, dass es sich um eine Tierseuche handelt, bevor der konkrete Erreger überhaupt bekannt war. Bei Bakterien gibt es Ähnliches. Tuberkulosebazillen beispielsweise wurden über Milch auf den Menschen übertragen. Es gibt viele bekannte Erreger, die regelmäßig auf den Menschen übertragen werden, auch wenn sie ihr Hauptreservoire im Tier haben. Doch dass neue Krankheiten für den Menschen entstehen, dadurch dass Viren sich verändern, ist erst mit HIV wirklich gut erforscht worden.
Zahlreiche Wissenschaftler*innen befürchten schon lange den Ausbruch einer Pandemie. Hatten auch Sie damit gerechnet?
Die Virolog*innen waren sich einig, dass eine Pandemie überfällig ist und dass wir Glück hatten, da SARS und MERS Eigenschaften hatten, die es für das jeweilige Virus schwierig machten, sich weltweit auszubreiten. Die Krankheiten waren zum Beispiel erst ansteckend, als der Mensch schon krank war, dementsprechend Symptome zeigte. Für eine globale Ausbreitung ist es entscheidend, dass jemand infektiös ist, aber noch reisen kann, so wie bei SARS-CoV-2. Wer im Bett liegt, steckt höchstens die eigene Verwandtschaft an. Wir haben lange vor einer Pandemie gewarnt. Es war ein reines Lottospiel, bis ein Virus auf den Menschen übergehen würde, das über die genannte Eigenschaft verfügt. Oder dass ein neuer Influenzastamm auftritt, der eben nicht so wenig pathogen ist wie jener der sogenannten Schweinegrippe von 2009.
Das UNO-Umweltprogramm UNEP warnte kürzlich in einem Bericht, dass es vermehrt zu Pandemien durch Zoonosen kommen könnte. Was kann der Mensch beitragen, um dies zu vermeiden?
Bestimmte exotische Wildtiere sind Reservoirs für Zoonosen, deshalb sollte man den Kontakt mit ihnen weitgehend minimieren. Gerade in Asien oder Afrika wird mit dem Fleisch solcher Tiere hantiert, bevor es auch verspeist wird. Beim Fleischkonsum sollte der Mensch sich deshalb auf domestizierte Tiere fokussieren, wie es in Westeuropa getan wird. Selbst das Wild ist bei uns semidomestiziert. Hinzu kommt, dass wir Methoden entwickeln müssen, um ein neues Virus früh zu erkennen. Wir brauchen ein globales Netzwerk mit einer funktionierenden Pipeline: den Erreger entdecken, Informationen bekanntgeben und austauschen, Testsysteme entwickeln. Auf diese Weise könnte die Entstehung einer Pandemie unterbunden werden.
Sind wir in Westeuropa tatsächlich sicher, wenn wir Fleisch konsumieren?
Es gibt ein paar ausgefallene, seltene Dinge. Aber die Arten, mit denen wir täglich zu tun haben, einschließlich Schwarz- und Rotwild, haben keine gravierenden Zoonosen in sich, die zu großen Ausbrüchen führen könnten. Einzelne Fälle sind natürlich möglich. Selbst dann weiß man aber, womit man es zu tun hat, und es ist keine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich. Eine Übertragung über durchgegartes Fleisch gibt es übrigens nicht. Dazu kommt es vorher, wenn mit dem rohen Fleisch hantiert wird, über Risse in der Haut zum Beispiel. Hierzulande Fleisch zu essen, ist deshalb völlig unbedenklich.
Interview: Sabina Drescher
* Direktorin Institut für Virologie am Departement für Hygiene, Mikrobiologie und Public Health der Medizinischen Universität Innsbruck