
Bozen – Individuell, zielgerichtet, menschlich. Das ist die Zukunft der Krebsmedizin. Bei der Diagnose Krebs geht es dank neuer Therapien immer öfter nicht mehr nur ums nackte Überleben, sondern um mehr Lebensqualität, mehr Zeit und mehr Chancen. „Wir erleben gerade bei der Krebsforschung eine fundamentale Weiterentwicklung in der Molekular-, Immun- und Zelltherapie. Es wird erfolgreich geforscht, und Behandlungsleitlinien werden stetig angepasst“, erklärt Anke Ernst vom Krebsinformationsdienst. Auch Wolfgang Janni, Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Ulm, sieht einen klaren Fortschritt: „Die Zeiten der ‚Chemotherapie für alle‘ sind glücklicherweise längst vorbei. Dank moderner Diagnostik und neuer Medikamente können wir gezielter und schonender therapieren.“
„Wir erleben gerade bei der Krebsforschung eine fundamentale Weiterentwicklung in der Molekular-, Immun- und Zelltherapie. Es wird erfolgreich geforscht, und Behandlungsleitlinien werden stetig angepasst“, erklärt Anke Ernst
Allein in Südtirol erkranken jährlich rund 3.000 Menschen neu an Krebs (2015–2019), darunter etwas mehr Männer als Frauen. Die häufigsten Krebsarten bei Männern sind Prostatakrebs (25 Prozent), gefolgt von Darm-, Blasen-, Lungenkrebs und Hautmelanomen. Bei Frauen liegt Brustkrebs mit 29 Prozent an erster Stelle, gefolgt von Darmkrebs, Lungenkrebs und Hautmelanomen. Für diese häufigsten Krebsarten werden derzeit besonders viele vielversprechende Behandlungsansätze entwickelt.
„Früher waren zielgerichtete Therapien bei sehr vielen Krebsarten nur für Menschen mit weit fortgeschrittenem Krankheitsverlauf zugelassen, bei denen herkömmliche Therapien nicht mehr angeschlagen haben“, so Ernst. „Jetzt sehen wir einen Trend dahin, dass diese zielgerichteten Therapien immer mehr Bedeutung in früheren Stadien der Krankheit gewinnen.“
„Der Trend geht dahin, dass diese zielgerichteten Therapien immer mehr Bedeutung in früheren Stadien der Krankheit gewinnen.“ Anke Ernst
Grundsätzlich heißt das nicht, dass klassische Behandlungsformen wie die Operation oder die Chemotherapie ersetzt werden. Aber mehr und mehr werden zielgerichtete Behandlungen zusätzlich angewandt, um so die Rückfallwahrscheinlichkeit zu verringern und die Prognose zu verbessern. „Das Hauptziel ist hierbei immer die Heilung. Die Chance darauf soll durch den früheren Einsatz zielgerichteter, individuell abgestimmter Therapien erhöht werden“, sagt Anke Ernst.
Brustkrebs: Präzision rettet Leben

„Die Heilungschance bei Brustkrebs hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verbessert – wir gehen heute von einer Heilungsrate von 80 bis 90 Prozent aus“, sagt Wolfgang Janni. „Bei Brustkrebs, aber auch bei Lungenkrebs wird ein früherer Einsatz zielgerichteter Therapien bereits in den Behandlungsleitlinien empfohlen“, so Anke Ernst. Ein Beispiel sei Ribociclib, ein sogenannter CDK4/6-Kinasehemmer, der inzwischen unter anderem bei Hormonrezeptor-positivem frühem Brustkrebs zum Einsatz komme. Diese personalisierte Herangehensweise verbessert nicht nur die Heilungschancen, sondern trägt auch zu einer höheren Lebensqualität bei.
Auch in der Nachsorge eröffnen sich neue Perspektiven – durch die sogenannte „liquid biopsy“. Janni: „Mittels zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) im Blut können wir künftig das Rückfallrisiko besser abschätzen und die Therapie entsprechend anpassen.“
Radioaktive Hoffnung aus dem Labor
„Bei Prostatakrebs wird gerade in Studien erforscht, inwieweit PARP-Hemmer in der frühen Therapie begleitend zu einer OP eingesetzt werden können“, so Ernst. „Sie verhindern die Reparatur von DNA-Schäden in Krebszellen. Wird die DNA nicht repariert, stirbt die Krebszelle.“
Und auch der frühere Einsatz einer radioaktiven Lutetium-177-PSMA-Therapie beim Prostata-Karzinom wird in Studien untersucht. Der Wirkstoff erkennt eine spezielle Struktur auf der Krebszelle, Radioaktivität reichert sich gezielt im Tumorgewebe an, sodass sie den Prostatakrebs von innen heraus zerstört. „Gerade in den frühen Krebsstadien, bei denen es gut etablierte Behandlungsansätze gibt, ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung wichtig, wenn neue Behandlungskonzepte eingeführt werden. Aber für die zielgerichteten Therapien und Immuntherapien, die in der letzten Zeit für den Einsatz in einem früheren Stadium zugelassen wurden, sehen Fachleute vielfach einen Nutzen, sodass sie auch Einzug in die Leitlinien halten“, so Ernst.

Aber auch für Patienten mit metastasiertem Prostatakrebs gibt es neue Behandlungsansätze. Axel Merseburger, Leiter der Urologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und zweiter Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), sagt: „Die Kombination aus Androgensignalunterdrückung und neueren antihormonellen Substanzen ist eine der vielversprechendsten Innovationen bei metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinomen.“ Diese Ansätze erweitern die Wirksamkeit der klassischen Hormontherapie, indem sie das Tumorwachstum durch gezieltere Hemmung der androgenabhängigen Signalwege erheblich reduzieren.
Patienten profitieren durch eine signifikante Reduktion der Tumorlast, was eine Verbesserung der Lebensqualität und ein längeres Überleben zur Folge habe. Besonders bei Betroffenen mit fortgeschrittenen Erkrankungen, die auf Standardtherapien nicht mehr ansprechen, zeige diese Methode vielversprechende Ergebnisse.
Immuntherapie revolutioniert die Behandlung

Bei Darmkrebs zeigt eine Weiterentwicklung der Immuntherapie beeindruckende Ergebnisse. „Im vergangenen Jahr hat eine Studie gezeigt, dass eine kurze Doppelimmuntherapie bei bestimmten Formen des Darmkrebses – den sogenannten Mikrosatelliten-instabilen Tumoren – nach nur vier Wochen Therapie vor einer Operation zu einem rückfallfreien Überleben von 100 Prozent innerhalb der ersten drei Jahre führt“, erklärt Anke Reinacher-Schick, Direktorin der Klinik für Hämatologie und Onkologie am Katholischen Klinikum Bochum. „Solche Ergebnisse haben wir in der Darmkrebsbehandlung bisher noch nie gesehen.“
„Solche Ergebnisse haben wir in der Darmkrebsbehandlung bisher noch nie gesehen.“ Anke Reinacher-Schick
Die Hoffnung bei Mikrosatelliten-stabilen Darmtumoren liegt auf der mRNA-Impfung, in deren Forschung und Marktzulassung gerade viel investiert wird. Ernst: „Hier darf das Wort Impfung nicht missverstanden werden. Es ist keine vorbeugende, sondern eine therapeutische Impfung.“ Das bedeutet, sie wird nur bei Menschen angewandt, die schon an Krebs erkrankt sind. „Eine Weiterentwicklung ist die personalisierte mRNA-Impfung. Sie wird exakt auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten und soll das Immunsystem darauf trainieren, die Krebszellen im Körper zu erkennen, zu bekämpfen und zu zerstören. Dies ist auch beim schwarzen Hautkrebs vielversprechend.“
Ein weiterer Durchbruch betrifft Menschen mit Enddarmkrebs, bei denen im Zuge der Krebstherapie oftmals der Schließmuskel entfernt werden muss. Dank der sogenannten „totalen neoadjuvanten Therapie“, neuer Strahlenchemotherapie-Konzepte, kann dieser in zahlreichen Fällen erhalten bleiben.
Melanom: Personalisierte Impfung als Hoffnungsträger

„Große Hoffnungen haben wir bei der individualisierten mRNA-Impfung gegen Melanome, die sich spezifisch gegen Tumormerkmale des jeweiligen Krebsbetroffenen richten. Patienten und Patientinnen könnten bald eine personalisierte, auf ihre Erkrankung zugeschnittene Impfung erhalten“, erklärt Ralf Gutzmer, Direktor der Universitätsklinik für Dermatologie am Johannes- Wesling-Klinikum Minden. Diese Methode zeigt vielversprechende Ergebnisse in Studien: Sie bietet Betroffenen bessere Überlebensraten, eine sehr gute Verträglichkeit, und die Immunreaktion gegen den Tumor erfolgt spezifisch. Die Daten der Phase-3-Studie, in der die Wirksamkeit und Sicherheit des Medikaments an einer großen Personengruppe geprüft werden, werden spätestens Anfang 2026 erwartet.
Und auch in der zellularen Therapie gibt es deutliche Forschungsfortschritte, die Menschen mit schwarzem Hautkrebs, aber auch besonders Blutkrebspatienten helfen können. Bei dem sogenannten adaptiven T-Zell-Transfer werden aus dem Blut des Patienten T-Zellen entnommen und im Labor verändert. Die veränderten Zellen werden dann dem Patienten wieder zugeführt. Dort können sie gezielt Krebszellen abtöten. Anke Ernst: „Hier sehen wir jetzt schon einen großen Erfolg bei bestimmten Blutkrebserkrankungen. Ärzte sprechen mittlerweile sogar schon von Heilung, da viele Patienten nach zehn Jahren noch krebsfrei sind.“ Dieser Therapieansatz wird auch gerade bei schwarzem Hautkrebs erforscht, mit ebenfalls vielversprechenden Ergebnissen.
Generell gilt: Je mehr Mutationen Tumorzellen aufweisen, desto mehr Angriffspunkte bieten sie – was insbesondere die Wirksamkeit immunonkologischer Therapien erhöht.
„Wir haben immer mehr Cancer-Survivor“, so Anke Ernst
Krebs als chronische Krankheit
Auch das Thema Nachsorge ist in der Forschung angekommen. „Wir haben immer mehr Cancer-Survivor“, so Anke Ernst: „Krebs wird zunehmend zu einer chronischen Krankheit. Daher wird auch mehr Augenmerk auf die Nachsorge gelegt.“
Menschen, die eine Krebsdiagnose bekommen, sollten sich, wenn möglich, immer an ein spezialisiertes Krebszentrum für ihre Behandlung wenden. „Studien haben gezeigt, dass Krebskranke länger überleben, wenn ihre Erstbehandlung in einem zertifizierten Krebszentrum stattfindet“, so Ernst.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Gezielt gegen Krebs