Bozen – Herbst 2019: Südtirols Tourismus hat sich enorm entwickelt, auch wurden in den vergangenen Jahren quer durchs ganze Land zahlreiche Hotelprojekte verwirklicht, über deren architektonische Güte sich die Geister scheiden. Nun sieht sich mancher Tourismustreibende mit dem Vorwurf konfrontiert, kurz vor Inkrafttreten des neuen Raumordnungsgesetzes noch schnell Hotelprojekte durchdrücken zu wollen, die eine Hypothek für die Landschaft darstellen – zum Beispiel in Latsch und Feldthurns, aber auch anderswo. Nicht nur der Heimatpflegeverband und der Dachverband für Natur- und Umweltschutz warnen, dass Südtirols Tourismus mit manchem Bauprojekt am eigenen Ast säge, auch der Hotelier- und Gastwirteverband HGV und die Landesregierung machen sich Gedanken darüber, wie viel Tourismus Südtirol noch verträgt.
Rückblende, Herbst 1969: Es ist erst wenige Wochen her, dass Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betreten hat, aber Südtirol beschäftigt in jenen Tagen vielmehr ein Hotelprojekt, das für das touristisch noch unterentwickelte Land wie eine Mondlandung anmutet. Deutsche Investoren, nämlich die Baugruppe Schergera & Co., würden gerne am Pfiffinger Köpfl auf Meran 2000 – dort, wo damals wie heute die Bergstation der Ifingerseilbahn steht – ein 120 Meter hohes Kur- und Appartementhotel bauen. 4,5 Milliarden Lire (knapp 58 Millionen Euro zu heutigen Werten) will sich Schergera den Turm kosten lassen, der von Meran aus gut sichtbar wäre.
„Das Geld ist für unsere Gesellschaft kein Problem. Wenn wir die Baugenehmigung erhalten, dann werden wir kurze Zeit später beginnen und in wenig mehr als zwei Jahren mit allen Arbeiten fertig sein.“ Das sagt damals Schergera-Geschäftsführer Ing. Ranft (nachzulesen in der SWZ vom 11. Juli 1969). Der Satz könnte gleichermaßen von René Benko stammen, der mit seiner Signa Holding 2019 gewissermaßen das ist, was Schergera 1969 war: ein landesfremder Investor, der mit seiner Zahlungskraft, seiner Risikofreudigkeit und seinem Tempo die Südtiroler erschreckt und gleichzeitig beeindruckt.
Das Schergera-Projekt ist ehrgeizig, zumal für ein Land, das 1969 nur eine knappe Million Gäste und 7,4 Millionen Nächtigungen zählt (zum Vergleich: Mittlerweile sind es über 33 Millionen). Bis zum siebten Stock soll der Turm ein Hotel sein, vom achten bis 33. Stock hingegen sollen Ferienwohnungen untergebracht sein, welche die Besitzer selbst nutzen oder aber der Hotelverwaltung zur Vermietung überlassen können. Die SWZ gibt die Argumente der Investoren damals folgendermaßen wieder: „Den Menschen, die fast durchwegs in den rauchigen und lärmenden Großstädten wohnen, ein eigenes, komfortables Heim in einer so schönen Gebirgswelt zu geben, bilde auch einen Teil des modernen Tourismus. Denn die Menschen, die mit Rucksack und Proviant die Bergwelt erwandern können, würden immer weniger.“
Nichts Normales, sondern „etwas Originelles“ schwebt den Investoren vor, ein Leuchtturm im wahrsten Sinne des Wortes, ausgestattet mit Hallenschwimmbad und Sauna, mit Behandlungsräumen für Massagen und medizinische Bäder sowie mit einer Arztstation samt Operationssaal – eine Art Medical Spa schon vor 50 Jahren also. Tageskinderhort, Mitarbeiterwohnungen, Nachtclub und eine vollelektrifizierte Kegelbahn gehören ebenfalls zum Projekt. Das Hotel – so die Investoren – könnte mit einer herrlichen Rundsicht punkten und über die Seilbahn versorgt werden. Es wäre Ausgangspunkt für viele Wanderungen, denn „Beobachtungen und Umfragen“ hätten ergeben, dass „vielen Besuchern von Meran 2000 die tägliche Berg- und Talfahrt auf die Dauer gesundheitlich nicht recht bekomme“. Kurzum, es brauche dieses Hotel!
Die SWZ befragt damals in ihrer ausführlichen Analyse fünf angesehene Touristiker zu ihrer Meinung: HGV-Präsident Otto Reiter, Max Staffler (Bozen), Hugo Dibiasi (Meran), August Gröbner (Gossensaß), Franz Kostner (Corvara). Die Meinungen gehen auseinander und reichen von „jede Initiative für die Entwicklung des Fremdenverkehrs positiv bewerten“ bis „die schöne Landschaft ist unser größtes Kapital“.
Verwirklicht wurde das Projekt nie. In erster Linie ließ sich die Politik von Landschaftsschutzargumenten überzeugen. Die gemeinsame Naturschutzkommission der Südtiroler und Trentiner Alpenvereine AVS, CAI und SAT, die im Herbst 1969 (wohl auch wegen des Hotelprojektes) entstand, bezeichnete das Appartementhotel als „monströses Hochhaus“, wie Josef Rohrer weiß. Rohrer ist der Autor des Buches „Zimmer frei“ über die Geschichte des Tourismus in Tirol und Südtirol, erschienen im Eigenverlag des Südtiroler Tourismusmuseums Schloss Trauttmansdorff.
Und 50 Jahre später? Schergera gibt es längst nicht mehr, an das damalige Hotelprojekt erinnern sich nur mehr ganz wenige. Die Erinnerung wach hält das Touriseum in Meran.