Bozen – Allerorts wird händeringend nach Fachkräften gesucht, zugleich wird ein großes, wenn nicht gar das größte, Potenzial auf dem Arbeitsmarkt vernachlässigt: Frauen. Eine strukturelle Stärkung ihrer Erwerbstätigkeit stelle eine häufig übersehene Maßnahme dar, schrieb Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in der „Zeit“. Es sei an Politik, Unternehmen und Gesellschaft, die unzähligen Hürden für Frauen auf dem Arbeitsmarkt aus dem Weg zu räumen. Das würde nicht nur enormes wirtschaftliches Potenzial mobilisieren und die Sozialsysteme zukunftsfester machen, sondern auch mehr Freiheit und Chancengleichheit schaffen.
Beinahe die Hälfte arbeitet in Teilzeit
Momentan ist die Realität in Südtirol eine andere. Zwar ist die Erwerbsquote von Frauen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, doch arbeitet weiterhin beinahe die Hälfte in Teilzeit (44,6 Prozent der unselbstständig Beschäftigten, während es bei den Männern 8,2 Prozent sind). Laut Astat gaben für das Jahr 2022 zudem rund 18.000 Frauen an, aus Familiengründen nicht erwerbstätig zu sein.
Die Situation spiegelt wider, dass Frauen in unserer Gesellschaft weiterhin eine deutlich größere Rolle in der Care-Arbeit zukommt – und dass sich diese immer noch schwer mit bezahlter Arbeit vereinbaren lässt. Eine Strategie von Müttern besteht gar darin, die eigene Arbeitsstelle bis zum ersten Geburtstag des Kindes freiwillig zu kündigen. Dann nämlich steht es ihnen zu, das Arbeitslosengeld (Naspi) zu beantragen.
Im vergangenen Jahr kamen in Südtirol 4.908 Kinder zur Welt. 979 berufstätige Mütter beanspruchten im selben Zeitraum die Möglichkeit der Selbstkündigung. In Südtirol kündigt also eine von fünf Neu-Müttern ihre Arbeitsstelle (wobei der Grund bei etwas mehr als zehn Prozent ein Arbeitgeberwechsel war). Ihre Zahl wird erfasst, da diese Art der Kündigung vom Arbeitsinspektorat bestätigt werden muss, und zwar bis zu einem Kindesalter von drei Jahren. Dies soll sicherstellen, dass es sich bei der Kündigung tatsächlich um die Entscheidung der Arbeitnehmerin handelt und nicht des Arbeitgebers. In mehr als 90 Prozent der Fälle ist das Kind zum Zeitpunkt der Kündigung acht bis zwölf Monate alt und somit die Zeit der obligatorischen Freistellung und die Elternzeit der Frau aufgebraucht.
Bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld
Die Antragstellung läuft dabei ab wie bei normalen Kündigungen. Die Gesuchstellerin muss in den vergangenen vier Jahren mindestens 13 Versicherungswochen (also drei Versicherungsmonate) aufweisen. Im vergangenen Jahr muss sie an mindestens 30 Tagen gearbeitet haben. Ein verbreiteter Irrglaube sei, dass die Dauer der Auszahlung stets bei zwei Jahren liege, heißt es aus dem Patronat des Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbundes ASGB. Dabei handelt es sich vielmehr um das Höchstmaß – vier volle Arbeitsjahre bedeuten zwei Jahre Naspi.
Das war nicht immer so. Bis 2015 lag die maximale Bezugsdauer bei nur einem Jahr. Die Verlängerung zeigt bis heute Auswirkungen, denn seither kündigen jährlich deutlich mehr Frauen als in den Jahren zuvor. Wird die Frau im Zweijahreszeitraum erneut schwanger, so kann sie die fünf Monate bezahlten obligatorischen Mutterschaftsurlaub in Anspruch nehmen (berechnet auf den letzten Lohn vor der Arbeitslosigkeit), währenddessen das Naspi pausieren und im Anschluss weiterlaufen lassen.
Die Höhe der Zuwendung liegt bei 75 Prozent des Durchschnittslohns der vergangenen vier Arbeitsjahre mit einem Höchstbetrag von 1.300 Euro brutto pro Monat (etwa 900 bis 1.000 Euro netto). Ab dem vierten Monat der Arbeitslosigkeit wird die Naspi um drei Prozent für jeden weiteren Monat der Arbeitslosigkeit gekürzt. Nichtsdestotrotz ist das Angebot verlockend bzw. in manchen Fällen alternativlos – aus mehreren Gründen.
Wohin mit dem Nachwuchs?
Da wäre zum einen das Fehlen helfender Familienangehöriger. Dies wurde in den vergangenen Jahren laut Landesabteilung für Arbeit am häufigsten als Grund für die freiwillige Selbstkündigung genannt, von einem Drittel der Frauen. Der Wunsch, ein ganzes Dorf für die Kindererziehung hinter sich zu haben, wie es in einem afrikanischen Sprichwort heißt, ist für die meisten in weite Ferne gerückt, und selbst helfende Großelternhände werden immer seltener, sei es durch größere Entfernungen durch die erhöhte Mobilität, sei es, weil Oma und Opa noch voll im Berufsleben stehen. So verteilt sich die Last zumeist auf vier Schultern, jene der Eltern, oder gar nur auf die der Mutter.
Hinzu kommt, dass Plätze in Kitas, bei Tagesmüttern und bei anderen Fremdbetreuungsanbietern weiterhin rar sind – oder für manche schlicht zu teuer. Nach der Geburt des ersten Kindes zahlt es sich mitunter noch finanziell aus, an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Die meisten machen dies in Teilzeit (laut Arbeitsmarkt News der Landesabteilung Arbeit 2/2020 waren es 86 Prozent jener Frauen, die 2015 bis 2017 gekündigt hatten), verdienen also weniger als zuvor. Zugleich ist aber gerade die Kleinkindbetreuung besonders kostspielig.
Wahlfreiheit in beide Richtungen
Doch längst nicht allen Interessierten wird ein Arbeiten im reduzierten Ausmaß ermöglicht. Ulrike Oberhammer, Präsidentin des Landesbeirats für Chancengleichheit, sieht hier zumindest eine leicht positive Tendenz: „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind seit der Pandemie deutlich entgegenkommender geworden, was das Gewähren von flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice betrifft.“ Dies führt Oberhammer unter anderem auf den starken Arbeitnehmermarkt zurück, auf dem sich die Unternehmen überlegen müssen, was sie anbieten können.
Nichtsdestotrotz würden sich nach wie vor zahlreiche Frauen beim Landesbeirat für Chancengleichheit melden, die keine Einigung mit der eigenen Führungskraft erzielen können und dadurch nicht arbeiten können. Ähnliches berichtet Gleichstellungsrätin Michela Morandini (siehe Interview auf dieser Seite).
„Wir sprechen immer von Wahlfreiheit, die muss es in beide Richtungen geben. Wer zu Hause bleiben will beim Kind, soll das können, wer arbeiten will oder darauf angewiesen ist, aber auch“, sagt Oberhammer. Und sie ergänzt: „Jede Frau, die gezwungen wird zu kündigen, ist eine zu viel.“
Das Bildungsniveau entscheidet mit
Wieso manche Arbeitgeber nach wie vor keine flexiblen Optionen bieten oder Teilzeit nicht gewähren, bleibt Oberhammer ein Rätsel. „Es ist doch wohl besser, eine eingelernte Fachkraft zu halten, selbst wenn diese weniger Stunden arbeitet, als jemand Neues suchen und aufbauen zu müssen“, sagt Oberhammer.
Tatsächlich kehren gerade gut ausgebildete Frauen schneller in den Beruf zurück. Neben der Dauer der Erwerbsunterbrechung hängt auch die Rückkehrfähigkeit vom Bildungsniveau ab. Es sei wahrscheinlich, dass Betriebe bei höher qualifizierten Mitarbeiterinnen stärker dazu neigen, individuelle Arbeitszeitmodelle zu vereinbaren, heißt es im bereits zitieren Bericht der Landesabteilung Arbeit.
Obwohl die Zahl der Wiedereinsteigerinnen in den Beruf in den vergangenen Jahren gestiegen ist (gemessen drei Jahre nach dem Zeitpunkt der Kündigung), zeigte sich in der Analyse der Landesabteilung Arbeit, dass selbst 13 Jahre nach der Kündigung (im Untersuchungszeitraum 2005 bis 2009) fast ein Drittel der Frauen nicht wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß gefasst hatte.
Die Politik in Südtirol versucht mit dem Gleichstellungsaktionsplan gegenzusteuern. Darin seien neun Handlungsfelder definiert worden, erklärt Oberhammer. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf komme in allen vor. „Wir brauchen“, so Oberhammer, „mehr Personal für die Kinderbetreuung und für dieses eine gerechte Bezahlung. Dann können wir auch mehr Plätze schaffen mit verlängerten und flexiblen Öffnungszeiten. Wir müssen endlich aufhören, alles andere zu priorisieren, und in die Vereinbarkeit investieren.“
Interview
Unmögliche Bedingungen
SWZ: Frau Morandini, Sie sind seit 2014 Gleichstellungsrätin der Provinz. Welche Erfahrungen haben Sie seitdem mit dem Phänomen der Selbstkündigung von Müttern gemacht?
Michela Morandini: Das Thema war von Beginn an in den Beratungen, die wir anbieten, vorherrschend. Es kommen zahlreiche Mütter zu uns, die entweder bereits gekündigt haben oder die kurz davor sind. Gar einige dieser Kündigungen kommt zustande, weil die Unternehmen nicht die Bedingungen bieten, die es den Frauen erlauben würden, Beruf und Familie zu vereinbaren. Teilzeit ist immer noch etwas, das vom Arbeitgeber abhängt, sehen wir mal von den Stillstunden und der Möglichkeit ab, Elternzeit stundenweise in Anspruch zu nehmen.
Sagen die Arbeitgeber, von denen sie sprechen, dann einfach nein, wenn eine Mitarbeiterin um eine Stundenreduzierung bittet?
Nicht unbedingt. Manche bieten Teilzeit an, aber zu unmöglichen Bedingungen. Kürzlich kam eine Frau mit einer besonders dreisten Geschichte zu mir. Der Arbeitgeber verlangte, dass sie täglich von 14 Uhr bis 19 Uhr arbeiten sollte, also dann, wenn es am schwierigsten ist, Kinderbetreuung zu organisieren, weil die meisten Dienstleister diese Zeiten nicht abdecken. Andere gestalten es subtiler, aber es ist dennoch offensichtlich, dass sie die betroffene Frau eigentlich lieber loswerden wollen. Meine Erfahrung sagt – und das belegen auch Studien –, dass es nach dem ersten Kind noch irgendwie geht, spätestens beim zweiten ist der Einschnitt dann aber zu groß, auch in den Köpfen der Unternehmen.
Das scheint erstaunlich, gerade in Hinblick auf den Fachkräftemangel. Wie kann es da sein, dass nicht versucht wird, eine ausgebildete Mitarbeiterin zu halten?
Diese Frage stelle ich mir tatsächlich oft. Eigentlich kann sich das heute niemand mehr erlauben. In der Praxis ist es oft so, dass die Person, die die Mutter temporär ersetzen sollte, am Ende deren Stelle fix übernimmt. Oder es wurde eine andere Lösung für den Übergang gefunden, bei der Aufgaben neu aufgeteilt wurden und das wird dann beibehalten. Manche wollen auch präventiv keine Mütter einstellen, aus Angst, dass diese in Zukunft zu oft fehlen könnten.
Ist diese Sorge berechtigt?
Ihr liegt ein tiefliegendes Denkmuster zugrunde: Eine Frau, die Mutter ist, übernimmt zu Hause die unbezahlte Familienarbeit, ist unflexibel und somit eine unattraktive Arbeitnehmerin. Wir müssten diese Stereotype ändern – und natürlich die tatsächliche Aufgabenverteilung in den Familien. Aus anderen Ländern wissen wir, dass eine Mischung aus breiten Dienstleistungsangeboten und einer ausgewogenen Kultur der unbezahlten Familienarbeit am besten funktioniert.
Flexible Kinderbetreuungsangebote sind in Südtirol allerdings vielerorts Mangelware …
… und hier muss die Sozialpolitik dringend Maßnahmen ergreifen. Die Versorgung der Kinder ist ja nur ein offener Punkt, der nächste ist die Pflege. Neben der Sozialpolitik und dem genannten Abbau von Stereotypen sehe ich die Unternehmen in der Pflicht. Es gibt viele, die bereits verstanden haben, dass sie etwas ändern müssen bzw. das auch schon getan haben. Der Rest sollte nachziehen, denn auch das Bild des Arbeitgebers – ich wähle bewusst die männliche Form –, der nur für die Arbeit lebt, verliert zunehmend an Reiz. Vereinbarkeit zu ermöglichen, betrifft somit alle Mitarbeitenden.