Innsbruck/Bozen – Zeig mir deine Gene und ich sag’ dir, wie klug du bist. Wie es um den Wahrheitsgehalt dieses Satzes bestellt ist, beschäftigt die Psychologie und Humangenetik seit jeher. Bewiesen ist, dass intelligente Menschen viele Vorteile haben. Sie sind körperlich gesünder, werden älter und haben bessere Karrierechancen. Belegt ist auch, dass Intelligenz zum Teil erblich ist. Eine Reihe von Studien mit Zwillingen zeigt, dass die Erblichkeit von Intelligenz etwa bei 50 bis 60 Prozent liegt. Diese Ergebnisse sind allerdings nicht unumstritten. Kluge Eltern müssen auf jeden Fall nicht notgedrungen kluge Kinder haben – im Gegenteil. In der Regel ist der Intelligenzquotient von Kindern hochintelligenter Eltern niedriger. Umgekehrt sind die Kinder von weniger intelligenten Menschen im Schnitt klüger. Dieser Effekt nennt sich Regression zur Mitte. Das liegt daran, dass eben nur etwa 50 Prozent der Intelligenz erblich sind. Ohne Einfluss der Eltern läge der durchschnittliche IQ bei 100. Eltern mit einem IQ von 80 können laut Statistik bei ihrem Kind einen Wert von 90 erwarten – genau zwischen dem Mittel und ihrem eigenen Wert.
Neben der Frage, ob Intelligenz vererbbar ist, beschäftigt die Forscher auch die Frage nach dem Wie. Die genetische Basis der menschlichen Intelligenz gibt noch große Rätsel auf, denn die kognitiven Fähigkeiten des Gehirns sind nicht nach den simplen Mendel’schen Regeln gesteuert, die aus dem Biologieunterricht bekannt sind. „Wir wissen, dass es nicht ein sogenanntes Intelligenzgen gibt, sondern dass viele Gene jeweils kleine Beiträge leisten“, erklärt Georg Dechant, Direktor der Gemeinsamen Einrichtung für Neurowissenschaften an der Medizinischen Universität Innsbruck. Manche Merkmale funktionieren nach einem Ja- oder Nein-Schema wie zum Beispiel die Bluterkrankheit. Ihre Ausprägung wird von einem einzigen Gen bestimmt. Bei anderen, wie eben bei der Intelligenz oder auch der Körpergröße, ist der Vererbungsvorgang komplexer. Die Differenz zwischen einem sehr kleinen und einem sehr großen Menschen ist zum Teil genetisch bedingt. Die Gene setzen ein oberes und unteres Limit. Innerhalb dieser Grenzen entscheiden verschiedene Faktoren, ob der Mensch mehr oder weniger wächst. Ähnlich verhält es sich bei der Intelligenz. Ein Kind mit einem geringeren Intelligenzpotenzial kann mit der richtigen Förderung schlauer werden als ein Kind mit höherem Potenzial, das nicht gefördert wird.
Christof Kuhbandner, Professor für Pädagogische Psychologie, formulierte in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung einen treffenden Vergleich zwischen der menschlichen Intelligenz und einem Computer. Je größer das Potenzial der Hardware und je besser die installierte Software, desto größer ist die Problemlösefähigkeit eines PCs. Analog dazu besteht die Intelligenz des Menschen ebenfalls aus zwei Komponenten. Die Hardware bilden die biologisch vermittelten Fähigkeiten des Gehirns wie die neuronalen Speicherkapazitäten. Die Wissensinhalte, die im Laufe des Lebens erworben werden, entsprechen hingegen der Software. Diese entstammen der Umwelt. Die beste Hardware, schließt Kuhbandner, nützt nichts ohne entsprechende Software. Für ihn ist deshalb der Einfluss der Software, also der Umwelt, entscheidender als jener der Hardware, also der Gene.
Für Kuhbandners Standpunkt spricht das Ergebnis einer Überblicksstudie. Sie zeigt, dass die Menschheit immer schlauer wird. Von 1909 bis 2013 ist der durchschnittliche IQ demnach um mehr als 29 Punkte gestiegen. Eine Entwicklung, die hauptsächlich auf Umwelteffekte wie bessere Bildung und Ernährung beruht.
Nichtsdestotrotz bleibt die Frage, wie genau die Intelligenz-Hardware aussieht. Forscher der Medizinischen Universität Innsbruck haben nun einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der molekularen Grundlagen von menschlicher Intelligenz geliefert. Das Team um Galina Apostolova identifizierte eine Gruppe von Genen, welche die kognitiven Fähigkeiten regeln. Konkret handelt es sich um eine Gruppe von Proteinen im Zellkern. Eine zentrale Rolle spielt das Protein SATB2, welches für die Auffaltung des Erbgutes verantwortlich ist. Eine Mutation dieses Gens führt zu geistiger Beeinträchtigung und Schulleistungsversagen. „Bisher war aber nicht bekannt, welche molekularen Mechanismen dafür verantwortlich sind“, sagt Studienautorin Galina Apostolova. „Mit modernen biochemischen Methoden haben wir nun eine Gruppe von Proteinen bestimmen können, die mit SATB2 in Nervenzellen des Großhirns zusammenarbeiten.“ Ob diese Proteine maßgeblich für unsere Intelligenz sind, wurde schließlich in sogenannten genomweiten Assoziationsstudien in verschiedenen Gruppen untersucht. Das Ergebnis: Varianten der entsprechenden Gene sind eindeutig mit Unterschieden in der menschlichen Intelligenz gekoppelt.
Im Wissenschaftsjournal PLOS Genetics wurden die Erkenntnisse veröffentlicht. Sie tragen dazu bei, die höheren Gehirnfunktionen besser zu verstehen. Gleichzeitig wird ersichtlich, dass es kaum möglich sein wird, Intelligenz auf molekularer Ebene zu beeinflussen, da derart viele Gene involviert sind. „Unsere Erkenntnisse sind jedenfalls wichtig für die Entwicklung von neuen Therapien für psychiatrische oder neurologische Erkrankungen, bei denen häufig Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit beobachtet werden“, sagt Georg Dechant. (sd)