Bozen – Es ist sieben Uhr morgens. Der Wecker klingelt. Doch anstatt sich durch den morgendlichen Berufsverkehr zu drängeln, tritt Anna auf den Balkon, blickt auf das türkisblaue Meer. Sie arbeitet am Vormittag, dann hat sie eine Surfstunde, unten, am Strand. Später stehen noch zwei Meetings in ihrem Kalender.
So oder so ähnlich könnte der Alltag in einer Workation aussehen. Workation meint die Verbindung von Arbeit („work“) und Urlaub („vacation“). Eine Person befindet sich dabei an einem anderen Ort als an ihrem üblichen Arbeitsplatz und geht von dort aus ihrer gewohnten Tätigkeit nach.
Nach wie vor ist Workation kein Konzept, das für die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung infrage kommt – man denke etwa an Ärztinnen, Handwerker oder Lehrpersonen. Dennoch ist die Verbindung von Arbeit und Urlaub heute nicht mehr ausschließlich digitalen Nomadinnen und Nomaden vorbehalten, die vom Strand in Thailand aus ein Start-up großziehen. Es ist eine Möglichkeit für weite Teile der Schreibtischgesellschaft geworden – unabhängig davon, ob jemand selbstständig oder angestellt ist.
Einige Wochen oder ein ganzes Jahr
Zahlen dazu, in wie vielen Unternehmen in Südtirol die Möglichkeit besteht, zeitweise fern vom Arbeitsplatz zu arbeiten, gibt es nicht. Man hört aber regelmäßig von Betrieben, die diesen Benefit anbieten. Einige begrenzen ihn auf einige Wochen im Jahr, in anderen Unternehmen ist es hingegen möglich, mehrere Monate am Stück remote zu arbeiten – unabhängig davon, ob von einer Stadt oder vom Liegestuhl am Strand in Griechenland aus. Ein Unternehmen aus Lana, Additive, bietet seinen Mitarbeitenden sogar Wohnungen mitsamt Arbeitsplätzen in Co-Working-Spaces in anderen Städten an, um ihnen das Arbeiten vom Ausland aus zu ermöglichen (siehe Info).
„Worauf will man sich in Südtirol noch spezialisieren? Auf Wellness? Oder Familien? Das gibt es alles schon.“ Markus Promberger
In Südtirol hat auch die Tourismusbranche Workation als mögliches Geschäftsfeld entdeckt. Eine kurze Zeit lang bewarb IDM diese Nische sogar aktiv. Workation sei interessant für Südtirols Tourismus, liest man in einer Aussendung von 2021, weil „eine neue, zum Großteil sehr zahlungskräftige Zielgruppe“ angesprochen werde, die sich zum Teil wochen- oder sogar monatelang hier aufhalte und die lokalen Infrastrukturen und Dienstleistungen nutze. „Und das vor allem in den Randsaisonen“, hieß es damals. Wie IDM auf Nachfrage der SWZ erklärt, wurde diese Kampagne mittlerweile eingestellt, man konzentriere sich auf andere Schwerpunkte.
Von diesem Vorstoß übrig geblieben ist eine Unterseite auf der offiziellen Website der Dachmarke Südtirol mit dem Titel „Workation in Südtirol“. Darunter werden rund 227 Unterkünfte gelistet, die allesamt Gäste ansprechen wollen, die Urlaub und Arbeit verbinden möchten. Die meisten führen diese Art von Urlaub als Option an. Einzelne Unterkünfte haben ihre Businessstrategie hingegen ausschließlich bzw. vorwiegend auf Workation ausgerichtet.
Ein willkommenes Alleinstellungsmerkmal

Einer dieser Betriebe ist das Vier-Sterne-Hotel Ama Stay in St. Vigil in Enneberg. Das Hotel, dessen Inhaberin die Seilbahn St. Vigil ist, eröffnete Ende 2022. Zunächst sei die Idee belächelt worden, weil sie im ländlichen Raum neu war, sagt der Geschäftsführer des Hotels, Markus Promberger. „Aber worauf will man sich in Südtirol noch spezialisieren? Auf Wellness? Oder Familien? Das gibt es alles schon.“ Sich vorwiegend auf Gäste zu konzentrieren, die Urlaub und Arbeit miteinander kombinieren wollen, genauso wie auf Unternehmen, die mit ihrer Belegschaft eine Workation unternehmen möchten, sei der richtige Weg gewesen. „Wir sind mit unserer Auslastung zufrieden“, so Promberger. Zu den Referenzen seines Hotels zählen Kunden wie Mercedes-Benz, Hewlett Packard oder Hugo Boss.
Um den Bedürfnissen von Gästen, die Urlaub und Arbeit kombinieren, gerecht zu werden, wurden im Hotel in St. Vigil in Enneberg Co-Working-Spaces und Meetingräume eingerichtet. „Dazu braucht man ein stabiles, schnelles WLAN und Steckdosen ohne Ende“, sagt Markus Promberger.
Als Hotel in dieser Nische spreche man eine sehr internationale Zielgruppe an – „vor Kurzem hatten wir 25 Nationalitäten im Haus“ – und eine Zielgruppe, die oft länger bleibt als der Durchschnittsgast. „Manche Gäste bleiben drei oder vier Wochen. Mit Workation schaffen wir es, die Aufenthalte zu verlängern, insbesondere in den Nebensaisonen. Wir haben deshalb eine sehr lange Saison.“
Mindestaufenthaltsdauer: Zwei Wochen

Noch einen Schritt weiter als das auf Workation spezialisierte Hotel Ama Stay geht Franz&Mathilde in Tisens. Auf der Website wird die Unterkunft als „coliving and workation retreat“ beworben. Nachdem die ehemalige Pension zuvor jahrelang leer gestanden war, eröffneten sie Philipp Grem und Sarah Lena Tribus 2021 neu. Das Ergebnis: sieben Zimmer, dazu mehrere Arbeitsbereiche mit Schreibtischen und Bildschirmen. Das Konzept sieht aber nicht nur „work“ vor, sondern eben auch „coliving“, sprich gemeinsames Leben. „Wir unternehmen mit den Gästen etwas, veranstalten gemeinsame Events. Die Gäste lernen sich untereinander kennen. So entsteht eine Gemeinschaft“, sagt Philipp Grem. Damit aus den Gästen eine Gemeinschaft werden könne, sei eine längere Aufenthaltsdauer als in klassischen Hotels notwendig. „Wir haben deshalb zwei Wochen als Mindestaufenthaltsdauer festgelegt.“ Damit ist Franz&Mathilde eine Ausnahme in Südtirol.
Was Philipp Grem besonders freut: Einzelne Gäste bleiben für immer. „Drei unserer Gäste sind nach ihrem Urlaub nach Südtirol gezogen, weil sie gemerkt haben, dass man hier gut leben und arbeiten kann.“
Und wie sieht es mit der Auslastung aus? Sehr gut, sagt Grem. „Es ist zwar eine Nische, aber sie ist relativ groß. Außerdem hätten wir als klassische Pension sehr starke Konkurrenz. Mit unserem Konzept sind wir in Südtirol hingegen allein.“
Arbeiten im Urlaub als Zusatzangebot
Neben Unterkünften, die sich ausschließlich oder vorwiegend auf arbeitende Gäste konzentrieren, gibt es auch Betriebe, die Workation als zusätzliches Angebot in ihrem Repertoire haben.

Zu ihnen gehört das Hotel Pacher in Vahrn. Nach einem größeren Umbau wurde es im Juni 2024 wiedereröffnet. Im Zuge dessen wurden mehrere Anpassungen gemacht, damit das Hotel auch für Gäste attraktiver ist, die im Urlaub arbeiten. „Wir haben dabei auf die Nachfrage und die Bedürfnisse der Gäste reagiert, denn wir hatten schon vorher gemerkt, dass die Leute gerne im Urlaub arbeiten“, sagt Johanna Huber, die mit ihren Brüdern das Hotel führt. Nun stehen den Hotelgästen vier Nischen zur Verfügung, die mit Steckdosen und guten Lichtverhältnissen für die Arbeit am Laptop ausgestattet sind. Die meisten sitzen aber nicht den ganzen Tag am Laptop, erklärt Johanna Huber, sondern für einige Stunden. Beispielsweise, um abends die Mails zu checken oder um an einem wichtigen Meeting teilzunehmen. „Das ist sicher nicht unser wichtigstes Angebot, aber wir machen sehr gute Erfahrungen damit“, sagt Johanna Huber.
„Die Leute kommen mit neuen Ideen und Kreativität zurück. Das erweitert ihren persönlichen und beruflichen Horizont.“ Petra Enrich

Auch das Hotel Seehof in Natz wirbt nicht vorwiegend um Workationer, führt die Kombination aus Arbeit und Urlaub aber auf der Website als Angebot an und gibt auch Tipps dazu, wie Workation gelingt. Bei Bedarf werde den Gästen ein Raum für Meetings zur Verfügung gestellt, sagt der Inhaber des Hotels, Andreas Auer. „Wir bieten den Gästen die Möglichkeit, sich ein ruhiges Plätzchen zu suchen, zum Beispiel auf der Terrasse oder in der Bibliothek, sodass sie nicht im Zimmer am Laptop sitzen müssen.“ In der Regel spreche das Hotel nicht solche Gäste an, die acht Stunden am Tag arbeiten, sondern eher jene, die ein paar Stunden am Tag am Laptop verbringen. „Das Bedürfnis, im Urlaub zu arbeiten, ist da – und wir reagieren darauf.“
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Die Welt als Büro
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„Die Leute kommen mit neuen Ideen und Kreativität zurück“

Ein Südtiroler Unternehmen, das Workation für sich entdeckt hat, ist Additive. Die Firma ist in den Bereichen Onlinemarketing und Automatisierung tätig und hat Niederlassungen in Lana, Bozen und Innsbruck. Seit 2022 können die 70 Mitarbeitenden aber auch an weiteren Standorten arbeiten, nämlich in Barcelona, Berlin und Stockholm. Heuer soll eine weitere Stadt dazukommen. „Unsere Mitarbeitenden haben die Möglichkeit, bis zu vier Wochen am Stück in einer der Städte zu arbeiten, auch mehrmals jährlich“, erklärt Petra Enrich, die bei Additive für den Bereich Unternehmenskultur zuständig ist.
Die Kosten für die Anreise tragen die Mitarbeitenden selbst, jene für die Unterkunft übernimmt hingegen der Betrieb. Vor Ort verfügt er über je eine Wohnung, die von zwei Paaren oder einer größeren Familie genutzt werden kann – Familienmitglieder bzw. der oder die Partnerin können in der Zeit des Aufenthalts kostenlos in der Wohnung leben.
Gearbeitet wird in Co-Working-Spaces. Oft teile man sich die Räumlichkeiten mit Start-ups oder anderen Unternehmen, erklärt Petra Enrich. „Das bietet interessante Möglichkeiten zum Austausch.“ Bei diesem Benefit stehe nicht der Urlaub im Vordergrund, sondern das Arbeiten. So müssen die Mitarbeitenden dieselben Wochenstunden leisten wie in Südtirol. „Aber nach Feierabend oder an den Wochenenden steht es ihnen natürlich frei, die Stadt zu erkunden“, sagt Enrich. Das Angebot gilt für alle Mitarbeitenden. „Im Prinzip kann jeder nach der dreimonatigen Einarbeitungszeit gehen. Man fragt bei den Vorgesetzten und bucht sich dann ein.“ Insbesondere bei jüngeren Mitarbeitenden komme das Angebot gut an. „Wir haben gemerkt, dass wir eine Zeit lang einige Abgänge hatten. Die Leute wechselten aber nicht zu anderen Südtiroler Unternehmen, sondern zu solchen im Ausland, weil sie diese Erfahrung machen wollten. Um dem entgegenzuwirken, haben wir dieses Angebot ins Leben gerufen.“ Und es funktioniere, sagt Petra Enrich. Weitere Vorteile für das Unternehmen: „Die Leute kommen mit neuen Ideen und Kreativität zurück. Das erweitert ihren persönlichen und beruflichen Horizont.“