Bozen/Deutschnofen – Ein roter Faden läuft ein kleines Stück an Julian Stuppners Handgelenk entlang. Er entspringt einem Tattoo, das sich zwischen Gesichtern, Schriftzügen und Schachfiguren auf seinem Arm versteckt: eine Nähmaschine. Mit ihren Schnörkeln erinnert sie an historische Modelle, solche, wie sie oft noch als Dekorationsobjekte verwendet werden. „Ich liebe es, zu nähen“, sagt der 31-Jährige.
Julian Stuppner ist der Gründer des Unternehmens Second Life. Dieses haucht gebrauchten Kunststoffen neues Leben ein. Alte Banner oder Werbeplakate, die sonst wohl auf dem Müll landen würden, werden zu Rucksäcken, Beuteln oder Taschen verarbeitet. Den Materialien wird so eine zweite Chance gegeben.
Jahre mit Höhen und Tiefen
Wie kam ein junger Südtiroler auf diese Idee? Dafür muss man einen Schritt zurück machen. Julian Stuppner stammt aus Deutschnofen, wo er auch die Grundschule besucht hat. Dann wechselte er in die Mittelschule von Kloster Neustift, gewissermaßen aus Familientradition, wie er sagt. Anschließend fiel seine Wahl auf die Waldorf-Oberschule in Bozen, die inzwischen geschlossen worden ist. Die Ausbildung an dieser allgemeinbildenden Oberschule erfolgte auch mit vielen Praktika in verschiedensten Bereichen. Der Abschluss erfolgte mit einer Schweizer Matura.
Alte Banner oder Werbeplakate, die sonst wohl auf dem Müll landen würden, werden zu Rucksäcken, Beuteln oder Taschen verarbeitet. Den Materialien wird so eine zweite Chance gegeben.
In dieser Zeit entwickelte der junge Mann eine starke soziale Ader, was ihn bewog, sich in die Landesfachschule für Sozialberufe Hannah Arendt in Bozen einzuschreiben. Dabei absolvierte er Praktika in Seniorenheimen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigung. „Ich habe diese Ausbildung aber dann nicht abgeschlossen, weil ich irgendwann gemerkt habe, dass das nicht der Beruf war, der mir Freude bereitet“, sagt Julian Stuppner.
Was ihm Spaß machen würde, wusste er damals jedoch noch nicht. In dieser Zeit relativer Orientierungslosigkeit begann er, erst einmal zu reisen und anderswo Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln. Unter anderem arbeitete er in einer Surfschule in Spanien. „Es war eine sehr schwierige Lebensphase für mich – mit Höhen und Tiefen“, sagt er rückblickend, „aber vielleicht habe ich das alles gebraucht, um zu mir selbst zu finden und zu entdecken, wer ich bin und was ich will.“
Anschließend nahm er einen Job bei einer Firma in Venedig an, die Taschen herstellt. Diese gab ihm die Gelegenheit, sich in dieser Branche weiterzubilden. „Ich habe drei Jahre lang in der Produktion gearbeitet und auch Einsicht in die Produktentwicklung, in den Internetauftritt und den Vertrieb erhalten. Besonders gerne arbeitete ich bei der Gestaltung der Taschen mit. Ich durfte immer wieder Entwürfe zeichnen. Dabei habe ich gemerkt, dass ich ein recht kreativer Mensch mit viel Fantasie bin“, erzählt Stuppner.
Die Firmengründung
Als er diese Stärke erkannte, beschloss er, sie zu nutzen. Er machte sich selbstständig, mietete ein Geschäftslokal im Zentrum von Mestre. Dort wollte er eigene Taschen herstellen und verkaufen. Für seine Firma wählte er den Namen „Second Life“, der für den Umstand steht, dass den verwendeten Materialien gewissermaßen ein zweites Leben geschenkt werden sollte, eine zweite Möglichkeit, um von Nutzen zu sein.
Für seine Produkte wählte er die Bezeichnung „Two Low“. „Gegenstände aus Kunststoffen zu verwenden, um ihnen eine neue Funktion zu geben, das war meine Geschäftsidee, und hinter dem Produktnamen ,Two Low‘ – ,zweimal niedrig‘ – steht das Bemühen, im doppelten Sinne tiefzustapeln, das heißt: für wenig Geld qualitativ durchaus hochwertige Materialien zu erwerben und aus ihnen tolle Produkte zu machen, die durch Nachhaltigkeit punkten, nicht durch einen großen Markennamen.“
Stuppner begann zu produzieren, stellte aber bald einmal fest: Viele der Kundinnen und Kunden, die ins Geschäft kamen, wollten weniger neue Taschen kaufen, sondern ihre gebrauchten reparieren lassen. „Ich konnte davon leben“, sagt er, „aber mein Anspruch war das nicht.“
Mit der Zeit bekam er dann mehr Aufträge, die ihn auch erfüllten. Der erste war eine Bestellung einer deutschen Freiberuflerfirma, für die er Griffelschachteln mit deren Logo als Werbegeschenke herstellte. Ein zweiter Auftrag kam dann von einem Tourismusverband in Südtirol. Darauf folgten weitere Aufträge aus Südtirol.
Zurück in die Heimat
„Nach einem Jahr in Mestre habe ich gemerkt, dass es sinnvoll wäre, die Tätigkeit in Südtirol anzusiedeln, denn hier sind die Menschen und die Unternehmen viel sensibler für Umweltthemen und aufgeschlossener gegenüber allen Bemühungen, Materialien wiederzuverwenden“, sagt Stuppner. Also zog er vor etwa einem Jahr zurück nach Deutschnofen, in sein Heimatdorf.
Im unteren Stock seines Hauses hat er sich eine Werkstatt eingerichtet. Eine Nähmaschine steht in der Ecke eines Raumes, an der Wand hängen Fäden in allen möglichen Farben: gelb, violett, türkis, braun. Dazu nutzt er eine Stempelmaschine und einen Plotter. „Das ist eine Maschine, die man verwendet, um Zeichnungen, Grafiken oder Schnittmuster auf andere Materialien zu übertragen.“ Für Laserarbeiten beauftragt er Drittunternehmen.
Inzwischen hat er sogar eine Mitarbeiterin. Sie arbeitet an einer von Julians Maschinen bei sich zu Hause Auch ein Cousin ist mit an Bord.
Taschen aus Bademänteln
Was „Second life“ genau macht, fragen wir Julian Stuppner. Das Unternehmen verwende nach einer entsprechenden Sichtung alte Werbebanner, erklärt er. „Das sind solche, wie sie vielfach neben Sportplätzen hängen. Aber wir nutzen auch ähnliche Waren aus Kunststoffen wie PVC oder Polyester.“ Die Banner werden gereinigt und je nach Entwurf zurechtgeschnitten. Daraus nähen Julian und sein kleines Team dann Taschen, sogenannte Shopper oder Rucksäcke.
„Alle Produkte, die nach einer bestimmten Vorlage für einen bestimmten Auftraggeber hergestellt werden, bestehen aus dem gleichen Material und haben die gleiche Form. Sie sind aber Einzelstücke, weil sie aus verschiedenen Teilen eines Werbebanners bestehen“, so der 31-Jährige.
Für den FC Südtirol hat Julian Stuppner zum Beispiel eine ganze Kollektion genäht: Rucksäcke, ein Beauty-Täschchen, eine Federmappe und ein Kartenetui, in Weiß und Rot natürlich. „Verwendet habe ich alte Werbebanner, auf denen FC Südtirol stand“, erklärt er. Ein Video, das der Fußballclub auf Instagram geteilt hat, zeigt, wie die Fanartikel hergestellt werden. Zunächst schneidet Julian Stuppner die mehrere Meter langen Banner anhand von Schablonen in die richtige Größe. Dann werden die ausgeschnittenen Stücke gewaschen und schließlich genäht.
An die 100 Produkte hat Julian Stuppner für diesen Auftrag produziert. Sie sehen zwar ähnlich aus, seien aber allesamt Unikate, sagt er. „Alle Produkte, die nach einer bestimmten Vorlage für einen bestimmten Auftraggeber hergestellt werden, bestehen aus dem gleichen Material und haben die gleiche Form. Sie sind aber Einzelstücke, weil sie aus verschiedenen Teilen eines Werbebanners bestehen“, so der 31-Jährige. Auch Taschen aus alten Bademänteln hat Stuppner schon fabriziert.
Industrieunternehmen, Hotels und der FC Südtirol
Die Kundenliste ist inzwischen beachtlich. In ihr finden sich verschiedene Industrieunternehmen, Handelsfirmen, mehrere Hotels, ein Tourismusverein und, wie erwähnt, der FC Südtirol.
Die Mindeststückzahl sei 50, in der Regel würden aber einige Hundert Stück in Auftrag gegeben, sagt der Deutschnofner. Zur Linie „Two Low“ ist inzwischen die Linie „White Horn“ gekommen, benannt nach dem nahen Weißhorn. Dabei handelt es sich um Produkte aus Filz oder Leder. „Sie finden guten Anklang“, sagt Stuppner. Das Leder kauft er von großen Markenherstellern, die ihre Produktlinien umstellen und Restposten an eingekauftem Leder oder große Verschnittstücke veräußern.
Der Betrieb sei noch klein, alles laufe bei ihm zusammen, sagt Julian Stuppner. „Ich mache in der Firma alles, ich entwerfe, sichte Material, akquiriere Kunden, sitze an den Maschinen, kümmere mich um den Auftritt im Internet. Viel wirft die Arbeit noch nicht ab, aber ich kann davon leben. Und viel wichtiger ist: Ich mache das, was ich tue, gern. Meine Tätigkeit bereitet mir Freude. Ich merke, dass es nach bescheidenen Anfängen nach und nach aufwärts geht“, meint Stuppner. Besonders stolz ist er darauf, dass alles „Made in South Tyrol“ sei. Dass er mit seinem Unternehmen Materialien eine zweite Chance geben könne – und dass sein Unternehmen auch für ihn ein bisschen wie eine zweite Chance sei.
DIE SERIE In der Serie „Jung und hungrig“ stellt die SWZ junge Menschen in und aus Südtirol mit den verschiedensten Lebensläufen vor. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie sind jung und hungrig nach Erfolg. Alle bisher erschienenen Artikel aus der Reihe können hier oder über die SWZapp nachgelesen werden.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Eine zweite Chance




















