SWZ: Wir wissen, dass sich Glück nicht durch höheres Einkommen steigern lässt, dennoch genießt ökonomischer Wohlstand einen hohen Stellenwert. Was bleibt auf der Strecke?
Mathias Binswanger: Es sind Dinge, die für das Glück der Menschen fundamental sind, denn der materielle Wohlstand ist nur Mittel zum Zweck. Dazu zählen ein funktionierendes Sozialleben und genügend Zeit zu haben für Dinge, die man gern tut.
In südlichen Ländern gibt es ein intensiveres soziales Netzwerk als im Norden. Sind die Südländer glücklicher?
In Bezug auf diesen Aspekt sicherlich, aber es zählen noch weitere Aspekte, zum Beispiel ein sicherer Arbeitsplatz. Das ist in Krisenländern nicht unbedingt gewährleistet. Stabilität oder eine funktionierende Wirtschaft braucht es ebenso.
Es kommen also doch wieder wirtschaftliche Aspekte ins Spiel?
Glücklich ist man nie in extremen Konstellationen, wenn man sich zum Beispiel Sorgen machen muss um das tägliche Überleben. Die Ausgewogenheit ist wichtig. Aus Statistiken wissen wir, dass bei ärmeren Menschen mehr Einkommen auch zu mehr Glück führt. Aber irgendwann ist die Grenze erreicht – dann lässt sich das Glück nicht mehr von materiellem Wohlstand beeinflussen, dann erhalten andere Dinge eine zentrale Bedeutung. Bei dieser Grenze sind in entwickelten Ländern wie der Schweiz, Deutschland oder Norditalien die meisten Menschen angelangt.
Unsere Wirtschaft ist aber doch stark auf Wachstum aufgebaut. Wie könnte eine Wirtschaft funktionieren, in der Nullwachstum herrscht?
Wirtschaftswachstum muss man zumindest hinterfragen, denn es macht nur so lange Sinn, wie es zum Wohlbefinden der Menschen beiträgt. Das ist das Dilemma. Unsere Wirtschaft kann sicherlich ohne ein gewisses Wachstum nicht funktionieren. Das heißt aber nicht, dass man die maximale Wachstumsrate anstreben muss. Unsere Wirtschaft ist zu einseitig auf ein möglichst hohes Wachstum ausgerichtet. Schon eine Weile versucht man Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt als Maßstab für Wohlstand und Wohlbefinden zu konstruieren. Aber man hat keine wirklich überzeugende Lösung gefunden. Welches ist dabei das größte Problem?
Das Problem ist, dass bei solchen Versuchen meist nur ein paar zusätzliche Indikatoren erhoben werden: Man schaut noch auf die Arbeitslosigkeit oder die Einkommensverteilung, vielleicht noch auf Umweltindikatoren. Die Frage, die offen bleibt, ist: Welche Bedeutung haben diese Aspekte für die verschiedenen Menschen? Wie sollen sie deshalb gewichtet werden? Das hängt einerseits vom Individuum ab andererseits von der politischen Stoßrichtung. So verliert sich die Diskussion über diese Frage. Die unterschiedlichen Modelle berücksichtigen nur unzureichend die eigentliche Funktionsweise unserer Wirtschaft.
Was konkret meinen Sie damit?
Eine Aktiengesellschaft ist darauf ausgerichtet, Gewinne zu maximieren. Wenn sie das nicht macht, dann wird sie zum Übernahmekandidaten; also riskiert das Management, dass es ausgetauscht wird. Deshalb müsste man sich überlegen, welche anderen Organisationsformen von Unternehmen möglich sind, in denen der Wachstumsgedanke weniger ausgeprägt ist – ein Beispiel sind die Genossenschaften.
Ist der Ansatz des „Bruttosozialglücks“ im Königreich Bhutan also das überzeugendste Model?
Nicht in der praktischen Durchführung, aber er gilt als wichtiger Impuls, der die ganze Diskussion über den Zusammenhang zwischen Glück und Wachstum weiter vorangetrieben hat. Wie man das Glück dann tatsächlich messen kann, ist eine andere Frage, die unbeantwortet bleibt. Außerdem hat das Modell die Frage nicht gelöst, wie so eine Wirtschaft aussehen soll, bei der Gross National Happiness statt Gross National Product im Vordergrund steht.
Gibt es ein anderes Modell als gültige Alternative?
Bis heute noch nicht. Es gibt viele Modelle, aber alle haben die Tendenz, nur einzelne Aspekte verstärkt zu bewerten, zum Beispiel: Das Geldsystem muss geändert werden, die Zinsen gehören abgeschafft, die Umwelt muss stärker im Zentrum stehen. Doch alle diese Dinge hängen zusammen. Über viele Jahre hat das System des Bruttosozialproduktes und seines Wachstums als Indikator für Wohlstand gut funktioniert, denn die Grenzen des Wachstums waren noch weit genug weg. Wenn aber Grenzen erreicht werden, muss man umdenken. Die Frage lautet heute: Wie gehen wir mit diesen Grenzen am besten um?
Info
Bozen – Das Global Forum Südtirol (GFS) sieht sich als unabhängiges Think Tank, das Impulse für eine langfristige Vision für Südtirol gibt. Die heurige Tagung findet am Freitag, 4. Oktober 2013, in der Freien Universität Bozen statt und wird von ORF-Ressortleiter Andreas Pfeifer moderiert. Das Programm sieht vor:
- Walter Lorenz, Rektor der Freien Universität Bozen: „Die soziale Verantwortung der Universität in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels“
- Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre und Bestseller-Autor: „Wachstum und Wohlbefinden – gibt es einen Zusammenhang?“
- Tobias Pfaff, Wirtschaftswissenschaftler und Forscher: „Glück als Ziel der Politik? – Über das Bruttonationalglück in Bhutan“
- Giovanni Podini, Unternehmer: „Business mit Herz – Kann ein Unternehmen zum persönlichen Wohlbefinden beitragen?“
- Armin Broger, Bozner, Vorstand des Modekonzerns Esprit Group: „Neue Wohlstandstrends: Eine globale Perspektive“
Die anschließende Podiumsdiskussion wird vom Chefredakteur von BrandEins, Gerhard Waldherr, moderiert. Dann folgt ein Abendessen.
Informationen und Anmeldungen: www.globalforum-suedtirol.com
Drei Freikarten
Bozen – SWZ-Leser, die gern beim GFS dabei wären, können der Redaktion schreiben. Die Absender der ersten drei E-Mails, die am Montag, 16.9.2013, um Punkt 12 Uhr Mittag in der Redaktion (info@swz.it) eintreffen, erhalten eine kostenlose Eintrittskarte. E-Mails, die vor 12 Uhr eintreffen, werden nicht berücksichtigt. Ausschlaggebend sind Zeitangabe und Reihenfolge im E-Mail-Postfach der SWZ.