Salurn – Es ist ein frostiger Januarmorgen am Ansitz Dornach, oberhalb von Salurn. Auf der gegenüberliegenden Talseite kämpft sich die Sonne langsam über den Bergkamm, doch hier, auf der orografisch linken Seite des Tals, herrschen Stille und Schatten. Erst in ein paar Wochen wird die Sonne auch diesen Ort wieder erreichen. Das gefrorene Gras knirscht unter den Füßen, während Karoline T. Uccelli mit schnellen Schritten über den Hof eilt. Das Stirnband tief ins Gesicht gezogen, den Winterpulli bis obenhin geschlossen und die Arme vollbepackt. Ihre Energie füllt die Stille, während der Ansitz tief im Winterschlaf ruht. Mit seinem markanten gelben Turm wirkt er aus der Zeit gefallen. Seit über 200 Jahren ist Dornach im Besitz der Familie Uccelli, doch heute lebt er mehr denn je. „Hier ist es nie wirklich ruhig“, sagt Karoline und lacht. Der Ansitz ist Heimat mehrerer Generationen, die hier gemeinsam leben. Doch nicht nur Menschen gehören zur Hofgemeinschaft, sagt Karoline, während sie auf die Schafe zeigt, die hinter dem Hof grasen, und auf den mobilen Hühnerstall, der regelmäßig versetzt wird, um den Boden zu schonen. „Das Wichtigste zuerst: die Tiere.“
Vom Traumjob zur Berufung

Schafe, Ziegen, Hühner, Hunde, Kaninchen – alle Tiere haben ihren Platz am Hof und gehören fast zur Familie. Derzeit zieht Karoline ein kleines Lamm auf, das von seiner Mutter verstoßen wurde. „Das ist im Moment mein viertes Kind“, sagt sie halb scherzhaft, halb ernst. Die gebürtige Montanerin ist dreifache Mutter und gerade 40 geworden. Mit ihrer Wärme, Bodenständigkeit, einer Prise Spontaneität und einem Hauch Abenteuerlust wirkt sie wie geschaffen für diesen Ort. Nach einem Kommunikationsstudium und einem Biologiestudium in Deutschland arbeitete Karoline einige Jahre bei Bioland Südtirol – eigentlich ihr Traumjob. Doch die Liebe führte sie nach Salurn, an den Ansitz Dornach und zu Patrick Uccelli.
Patrick, der Hausherr, ist Winzer, Önologe, vor allem aber Visionär und Philosoph. Er hat sich und sein Leben ganz der Natürlichkeit verschrieben – im Weinberg und weiter darüber hinaus. „Dornach ist für mich mehr als ein Arbeitsplatz“, sagt er. Während des Gesprächs in seinem Büro nimmt er immer wieder die warme Mütze vom Kopf, fährt sich durch die Haare oder steckt die Hände in die Taschen seiner Arbeitshose, vor allem, wenn er überlegt. „Dornach ist ein Ort, an dem nicht nur Weine, sondern auch Ideen wachsen.“ Er fasst es mit den italienischen Worten „coltura e cultura“ zusammen – Anbau und Kultur. Dieses Prinzip prägt den Hof. Patrick will etwas Neues schaffen und sich selbst dabei verwirklichen und beweisen. Biodynamik ist hier keine Methode, sondern eine Lebensweise – ein ständiger Prozess des Lernens und Entwickelns, für die Natur, den Betrieb und die Familie selbst.
Weine, die Geschichten erzählen
Das Herzstück des Hofes sind die Weine. 2008 begannen Patrick und Karoline, ihre Trauben selbst zu verarbeiten – damals füllten sie rund 1.400 Flaschen ab. Mittlerweile produziert der Ansitz jährlich etwa 40.000 Flaschen. Es sind alles biodynamische Weine, die auf sechs Hektar Rebflächen rund um den Ansitz angebaut werden. Es ist eine zusammenhängende Fläche, die von Bäumen abgeschirmt wird – die ideale Voraussetzung für den Anbau dieser speziellen Weine. In biodynamischen Betrieben geht es auf den ersten Blick zwar vor allem um den Verzicht auf Pestizide und chemische Pflanzenschutzmittel. Auf den zweiten Blick steckt aber viel mehr dahinter: In der biodynamischen Landwirtschaft wird der Betrieb als eigenständiger Organismus betrachtet. Alles hängt zusammen: Der Boden wird mit natürlichen Präparaten gestärkt, Tiere sind Teil des Kreislaufs, und sogar Mondphasen spielen eine Rolle für Aussaat und Ernte. Ziel ist es, nicht nur gesunde Lebensmittel zu produzieren, sondern ein stabiles, fruchtbares Ökosystem zu schaffen, das langfristig ohne künstliche Hilfsmittel auskommt. Dieses ganzheitliche Denken und Handeln spiegelt sich in Dornach auch in jeder Weinflasche wider. Seit 2019 hat jede Sorte eine Nummer, bei 1 ist man gestartet, nun wurde der Wein mit der Nummer 50 eingefüllt. „Jeder Wein ist einzigartig. Wenn eine Nummer ausgetrunken ist, gibt es sie nie wieder“, erklärt Karoline. „Es gibt keine festen Rezepte, wir sind nicht Coca-Cola. Wir arbeiten mit dem, was der Weinberg uns schenkt, und schaffen daraus das bestmögliche Produkt. Deshalb ist jeder Jahrgang ein bisschen anders.“

Diese Philosophie hat Dornach zu einer gefragten Adresse in der gehobenen Gastronomie gemacht. Die Weine finden ihren Weg in Spitzenrestaurants von Venedig über Paris bis nach New York – während ihre Macher selbst selten Zeit für weite Reisen haben. „Unsere Weine sehen mehr von der Welt als wir“, sagt Karoline und man hört fast ein bisschen Neid mitschwingen.
Mehr als nur Wein
Der kleine Hofladen am Eingang von Dornach ist Karolines Reich, hier ist sie in ihrem Element. Während sie spricht, rückt sie ein Glas zurecht, prüft den Bestand oder räumt schnell etwas weg. Auf den Regalen unter den Weinen stehen ihre persönlichen Errungenschaften: selbst gemachte Marmeladen, Aufstriche, Mais-Cracker und Säfte. Die Produkte sind so abwechslungsreich wie die Jahreszeiten. „Ich mache, was der Garten hergibt“, erklärt Karoline. Vergangenes Jahr war es ein Gurkenaufstrich, dieses Jahr wird es wohl etwas ganz anderes. Zusätzlich verkauft Karoline Produkte von befreundeten Bio-Betrieben, Vernetzung ist für sie entscheidend. „Wir wachsen mit der Natur und den Menschen um uns herum“, sagt sie. „Unser Ansatz ist kein fertiges Konzept, sondern eine Haltung, die mit den Menschen wächst, die uns umgeben: Wir sind flexibel, nachhaltig und echt.“
Vision für die Zukunft
Nach diesem Prinzip gestalten Karoline und Patrick auch ihr neuestes Projekt. Unter dem Hofladen und der weitläufigen Terrasse wurde ein großer Raum gebaut mit einer Küche für Veranstaltungen, zum Feiern und zum Essen. Ab Ostern soll dort gekocht werden, was genau, ist offen. „Wir schauen, wer zu uns stößt und welche Ideen jemand mitbringt“, sagt Karoline.
Wo Karoline und Patrick ihren Betrieb in zehn Jahren sehen? Das wissen beide nicht wirklich, aber das macht es für sie aus. „Wir sind noch lange nicht am Ziel“, sagt Patrick. „Und genau das treibt uns an: immer weiter zu wachsen – mit der Natur, unseren Kunden und uns selbst.“
Karin Köhl
DIE AUTORIN ist Redakteurin bei Rai Südtirol und freie Journalistin.
Info
Karoline und Patrick Uccelli
Karoline T. Uccelli, 40, gebürtig aus Montan, lebt und studiert acht Jahre lang in München, zuerst Kommunikationswissenschaften und Ethnologie an der LMU, dann Biologie an der TMU. Zurück in Südtirol ist sie drei Jahre lang Biodiversitätsberaterin bei Bioland Südtirol, bevor sie nach Dornach geht und mit ihrem Mann Patrick den Familienbetrieb aufbaut.
Patrick Uccelli, 50, wächst in Bozen auf, erwirbt Abschlüsse in Önologie und Weinbau in Geisenheim in Deutschland und an der Universität in Udine. Zwölf Jahre lang ist Patrick in der Weinbranche im In- und Ausland tätig, bevor er 2008 in Salurn den Ansitz Dornach übernimmt und leitet.