Zürich – Als ich vor 2 Jahren an der Dmexco unseren letzten Stand an einer Messe mitbetreut hatte, erlebte ich folgende Szene: Ein Onlinemarketing- Suite-Hersteller bot bunt und schrill sein SaaS-Produkt an. Zwei jüngere Herren in Jeans und Sakko flanierten durch den Gang und diskutierten lautstark irgendetwas über digitales Marketing. Dann hielten sie an besagtem Stand und informierten sich auf einem Fact-Sheet über das Produkt. „O.k., damit könnten wir unsere Conversion ganz automatisch auf über 1,5 % steigern“ – „Wie pricen die das denn?“ – „Ich glaub performance mit cap“ – „O.k., und Big Data hat es auch“ – „Ja, klar Big Data ist ja Standard heute“ – „O.k., dann lass uns das nehmen“. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
Leider ist diese Konversation stellvertretend für so viele Onlinemarketing-Treibende, die ich heute antreffe. Die digitale Transformation hat ein Heer an mittelmäßigen Marketingleuten ins Spiel gebracht. Denn in den letzten Jahren ist es selbst dem zugeknöpftesten CEO klar geworden, dass man in diesem Internet wohl auch Marketing machen sollte. Und die langgedienten, auf Offlinemarketing spezialisierten älteren Semester räumten teils widerwillig, teils sehr gerne ihre Sessel. Die Wenigsten konnten sich entsprechend verändern.
Die Nachrückenden hatten aber eben meist nicht viel mehr Plan, außer dass sie die digitale Welt bereits kannten. Das ist aber lediglich eine Voraussetzung für gutes Onlinemarketing.
Diesen Monat hat Scott Brinker (chiefmartec.com) seine Marketing Technology Landscape 2016 veröffentlicht:
Es gibt, würde meine Großmutter wohl sagen, für jedes kleine Wehwehchen eine Salbe. Die oben stehende Grafik (auf der es natürlich auch eine ganze Menge guter Produkte hat), meine Damen und Herren, ist Sinnbild für die ganze Misere.
Denn ich habe ganz oft erlebt, wie in großen Firmen die Vertreter solcher Tools ganz gezielt und meist auch aggressiv auf eher schwachbrüstige Marketingleute losgegangen sind, um ihnen ihr Produkt aufzuschwatzen. Meist hatten sie leichtes Spiel, es reichte, ein paar aktuelle Buzzwords fallen zu lassen, eine haarsträubende Monetarisierung vorzulegen und treffsicher zu vermitteln, wo im Vertrag unten rechts ist.
Das Pricing dieser Tools ist meist auch entsprechend clever. Oft viel zu teuer, für was es eigentlich ist, aber genug günstig, um nicht in die „Capex-Falle“ zu laufen.
Was so in Unternehmen entsteht, ist ein schier unkontrollierbares Flickwerk an voneinander unabhängigen Lösungen. Eine Inselgruppe.
Es hat sich zweifellos viel geändert im Marketing, und diese Veränderungen sind natürlich auch herausfordernd. Was bleibt, ist, dass Vision & Strategie entscheidend sind für gutes Marketing. Und genau da hapert es bei vielen heutigen Marketingleuten.
Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, wie sich Marketing für den Kunden anfühlen soll und wie man dazu am besten vorgeht, wird in den meisten Firmen einfach Marketing as usual gemacht. Und die Quick-Wins mit Tools abgefrühstückt. Was dabei rauskommt, ist belangloser Einheitsbrei. Also genau das Gegenteil von dem, was wir mit Marketing erreichen wollen.
Eine Vision zu haben, ist aber einfach etwas vom Zentralsten, was Sie im Marketing tun können. Es macht Ihnen die täglichen Entscheidungen leichter und verschafft Ihnen Differenzierungsmerkmale. Sie verhindern damit systematisch Me-Too-Marketing, außer vielleicht Ihre Vision ist es, sich im Markt nicht abheben zu wollen. Es gibt ja nichts, was es nicht gibt.
Was vor ein paar Jahren noch das verkrampfte Festhalten an Offlinemarketing-Maßnahmen war, ist heute deren komplette Ablehnung. Machen Sie es sich einfach und vergessen Sie doch diese Online- und Offlinekategorien. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf das, was Ihre Kunden machen oder gerne haben.
So kenne ich zum Beispiel niemanden mehr, der gerne zu Hause angerufen wird. Ich kenne auch niemanden, der jemanden kennt, der gerne angerufen wird. Also lassen Sie es sein.
Ich kenne niemanden, der gerne auf Banner klickt, und niemanden, der jemanden kennt, der gerne auf Banner klickt. Also lassen Sie es sein.
Ich kenne niemanden mehr, der gerne Newsletter erhält, und niemanden, der jemanden kennt, der Newsletter gerne erhält. Also lassen Sie es sein.
Ich könnte das Spiel unendlich weiterspielen. Und einige unter Ihnen werden mir entgegnen, doch Statistik xy sagt, noch es ist durchaus geschickt, z.B. Newsletter zu verschicken. Und da haben Sie wahrscheinlich gar nicht so unrecht.
Sie verkennen aber eine zentrale Frage: Wollen Sie auf dem absterbenden oder dem aufstrebenden Ast sitzen? Wollen Sie sich dort bewegen, wo Momentum drin ist, oder da, wo sich die Dinge ausfaden? Klar ist doch, dass die oben erwähnten Dinge, zusammen mit vielen anderen langsam aber sicher ausfaden.
In der Werbung ging es schon immer um Aufmerksamkeit. Ließen sich die Leute früher noch ablenken und stören, und konnte man so die Aufmerksamkeit auf seine Werbung lenken, ist das heute einfach vorbei. Weder lassen sich die Leute gerne in ihrer Aufmerksamkeit stören, noch lassen sie sich gerne auf Ihren Content ein.
Die heutige Aufmerksamkeit der Leute ist auf ihrem Smartphone-Screen. Da müssen Sie sein mit Ihrem Marketing. Es ist erstaunlich, wie wenig Marketingleute das wirklich begriffen haben.
Um den Kunden nicht zu stören, gibt es einen ganz einfachen Weg: Erzählen Sie ihm über Social Media Geschichten. Ich werde oft gefragt, muss ich auf LinkedIn sein, muss ich was mit Facebook machen, dieses Twitter, ist das Pflicht, Snap-what? Die Antwort ist ganz simpel: Überall dort, wo für Sie relevante Leute sind, müssen Sie auch sein. Und das ist heute nun mal Social Meda.
Eine gute Geschichte erzählen, war schon immer das A & O der Unterhaltung und der Imagepflege. Die Geschichten müssen Spaß machen, dann haben wir sie gerne. Es ist eigentlich ganz einfach.
Das sollten Sie aber jetzt nicht mit Humor verwechseln. Natürlich ist Humor gut, aber er muss nicht zwingend sein. Eine Geschichte kann auch Spass machen, ohne dass Sie sich des Humors bedient. Sie kann z. B. besonders gut erzählt, oder besonders fundiert recherchiert oder besonders schön aufbereitet sein. Nur Mittelmass, ja das darf sie nicht sein.
Es ist vor allem gut für Sie als Marketingtreibenden oder Marketingtreibende. Denn noch nie war es so kostengünstig und effektiv, gutes Marketing zu machen. Und das allgemeine Level war in den letzten Jahrzehnten selten so tief wie heute. Easy Game also.
Das heißt für Sie, dass Sie Ihren Brand mit relativ wenig Aufwand positionieren können. Dass es leicht ist, sich im Marketing-Wettbewerb durchzusetzen. Und Social Media hat erst richtig begonnen, weil es die gesellschaftliche Kommunikation auf ein ganz anderes Level bringt – qualitativ wie quantitativ.
Ich denke, es ist jetzt der richtige Moment, sich eine entsprechende Vision und Strategie zu erarbeiten und Marketing für Ihr Unternehmen neu zu definieren.
Der Autor ist Schweizer Unternehmer & Advisor im Internet-Umfeld (Artikel-Ersterscheinung: www.alainveuve.ch)