Ein Journalist darf Fremdwörter, Anglizismen, Italianismen oder unverständliche Fachausdrücke verwenden, wie ihm beliebt: er wird höchstens Bewunderung wegen seines Allgemeinwissens ernten und kaum Kritik wegen der Schwierigkeiten, die er manchen seiner Leser damit bereitet. Leser? Da haben wir schon das Problem: Leserinnen und Leser oder Leser/-innen muss es heute heißen! Mit jedem Satz, denn wir schreiben, riskieren wir gegen das zu verstoßen, was Gender Correctness genannt wird, also die Gleichberechtigung der Geschlechter im Sprachgebrauch. Das Wort „Schüler“ als Oberbegriff für alle Kinder und Jugendliche verwenden zu wollen, die eine Schule besuchen, das kann ins Auge gehen, denn aufmerksame (oder empfindliche) Leser/ -innen wenden in diesem Fall ein, man/frau könnte doch abwechselnd auch das Wort „Schülerinnen“ als Oberbegriff verwenden, dann sei die Welt wieder in Ordnung. Allerdings birgt das Fallstricke; wenn ich nämlich schreibe, dass beispielsweise die Mittelschule Klausen 234 Schülerinnen zählt, würde ich sicherlich missverstanden, weil diese Information veranlasst anzunehmen, dass es daneben auch noch etwa gleich viele (männliche) Schüler gibt. Wer ein ruhiges Gewissen haben will, schreibt deshalb immer von Südtirolerinnen und Südtirolern, Wählerinnen und Wählern, Bürgerinnen und Bürgern, Kandidaten und Kandidatinnen, Arbeitern und Arbeiterinnen, Denkern und Denkerinnen – bis den Leserinnen und Lesern das „-innen“ beim Hals heraushängt. Oft bete ich zu Gott und Göttin, der Teufel und die Teufelin (diese muss es geben, denn ein Film trägt den Titel „Der Club der Teufelinnen“) mögen die ganze geschlechtliche Gleichstellungskorrektheit holen. Aber dann fange ich mich wieder, und brav übernehme ich den Unsinn, von einer Doktorin der Rechtswissenschaften zu sprechen – als ob man den akademischen Titel Doktor verweiblichen könnte. Ich fürchte mich schon vor dem Tag, an dem in Südtirol zum ersten Mal eine Frau zum Landeshauptmann gewählt wird. Sollen wir sie dann Landeshauptfrau nennen und damit den Eindruck erwecken, sie sei nur die Frauenchefin? Oder sollten wird lieber gleich einfach vom Landeshauptmensch sprechen? Und was ist mit dem Bürgermeister oder der Bürgermeisterin? Müssen wir da nicht ganz korrekt von einem Bürger/-innenmeister oder einer Bürger/-innenmeisterin sprechen? Und wenn eine Frau auf die Pirsch geht und hinterher bei der Schilderung ihrer Erlebnisse kräftig aufträgt, dürfen wir dann von Jägerinnenlatein sprechen?
Um den sprachlichen Konflikten und Entgleisungen zu entfliehen, die sich da auftun, biege ich um die nächste Ecke, und schon befinde ich mich auf dem Feld der Political Correctness. Was darf ich sagen – und was ist unpassend oder mit welchem Begriff entlarve ich mich als Rassist, unsensibler Schreiberling oder unbelehrbarer Macho? Ist – um ein Beispiel zu nennen – der Begriff „Weiber“ überhaupt zulässig, und wenn ja: in welchem Zusammenhang? Dürfen wir Zigeuner sagen, ohne rot zu werden, oder müssen wir allgemein von Nomaden sprechen oder andere nichtssagende Umschreibungen erfinden? Und wie ist es mit der Zigeunermusik, die ich liebe? Ein Schelm der Wirt, der noch ein Zigeunerschnitzel auf die Speisenkarte setzt und das Radio nicht ausschaltet, wenn dort „Ein Zigeuner verlässt seine Heimat“ gespielt wird.
Wir alle wissen auch: Neger sagt man nicht, denn Neger ist abwertend – genauso wie Mohr. Ich finde nicht, dass „Schwarzer“ oder „Farbiger“ besser wäre, im Gegenteil. Oder sollten Menschen aus Ghana oder dem Kongo ganz einfach „Bumi“ genannt und damit mit einem Kürzel bezeichnet werden, das für „bunter Mitmensch“ steht? Meine Probleme habe ich in der Konditorei, denn einen Negerkuss oder Mohrenkopf darf ich nicht mehr bestellen, ohne mich einer diskriminierenden Aussage schuldig zu machen. Deshalb habe ich mir eingebläut, nur noch Schokokuss zu sagen.
Ein einziges Minenfeld ist der Sprachgebrauch, wenn wir über „Behinderte“ sprechen. Und schon ist es passiert: „Behinderte“ gibt es ganz einfach nicht mehr, sondern wir sagen „Menschen mit Behinderung“ oder – noch besser – „Menschen mit Beeinträchtigung“. Von einem „Behinderten“ kann man angeblich deshalb nicht sprechen, weil auf diese Weise ein Mensch auf eine einzige Eigenschaft reduziert wird, während alle anderen nicht zählen. Der „Zeit“-Kolumnist Harald Martenstein hat diesbezüglich einmal treffend angemerkt, dass man dann auch nicht mehr von einem Juden sprechen kann, weil der Jude ja vielleicht auch Arzt, Münchner oder Hobbygärtner ist. Solle man da also besser sagen „Mensch mit jüdischer Religion“ und statt Bankräuber „Mensch mit Legalitätsferne“?
Je „einfacher“ der Beruf, desto fantasievoller sind die Bezeichnungen geworden, um zu verschleiern, was Sache ist. Die Putzfrau ist längst eine Reinigungskraft, der Verkäufer ein Einzelhandelskaufmann, die Arzthelferin eine „medizinische Fachkraft“, der Magazinarbeiter ein „Mitunternehmer im Sektor Logistik“.
Ich bin manchmal müde vor lauter Bemühen um das, was man Political-Correctness-Diktionen nennt, moralisch einwandfreie Begriffe, die niemanden wegen der Hautfarbe, des Geschlechts, des Berufs, der Religion, der geschlechtlichen Neigungen oder sonstiger Vorlieben diskriminieren, aber nichtssagend und langweilig sind. Deshalb tut es zuweilen einfach gut, ohne Scheu „Lesbe“ sagen zu können oder „Sandler“.
Und wenn ich am Ostersonntag ein paar Schokoladeneier im Nest finde, behaupte ich, dass sie der Osterhase gebracht hat, weil ich die Existenz einer Osterhäsin ganz einfach leugne.