Tscherms/Zürich – Lukas Schwienbacher sitzt im Homeoffice. Ein Tag pro Woche ist das drin – eine kleine Auszeit vom sonst so strukturierten Alltag. Er wirkt ruhig, offen, bescheiden. Dass Lukas heute bei BlackRock in Zürich arbeitet – dem weltweit größten Vermögensverwalter –, erzählt der 27-Jährige ganz ohne Stolz. Dass er kürzlich aufgestiegen ist, erwähnt Lukas nur beiläufig: „Nach zweieinhalb Jahren wurde ich im Dezember befördert.“
Wie in vielen Finanzhäusern gibt es auch bei BlackRock feste Karrierelevel. Der Einstieg erfolgt klassisch als Analyst nach dem Studium, je nach Unternehmen dauern die Programme 18 bis 30 Monate. Danach wird entschieden, ob man bleibt oder geht. Lukas darf bleiben.

Nie ein Einserkandidat
Sein Weg führt Lukas von Tscherms, einem kleinen Dorf mit rund 1.500 Einwohnern und Einwohnerinnen, über Hongkong und Lissabon nach Zürich. Geboren und aufgewachsen auf einem Bauernhof, will er als Kind eigentlich Verkäufer werden – so wie seine Mutter. Oder Apfelbauer wie sein Vater. Später denkt er kurz über Marketing nach. In der Schule ist Lukas, wie er selbst sagt, eher durchschnittlich: „Ich habe verstanden, warum man lernen muss, aber ich war kein Musterschüler.“
Nach der Mittelschule geht es auf die Wirtschaftsfachoberschule in Meran – auch eher zufällig, weil viele seiner Freunde die Schule besuchen. Der Schwerpunkt liegt auf Informatik – das ist aber nicht so seins. „Was mich mehr interessiert hat, war Betriebswirtschaftslehre: Wie sich Unternehmen entwickeln, das fand ich spannend.“
Zur Uni mit dem Fußball im Gepäck
Die Matura besteht Lukas mit 78 von 100 Punkten. Anstatt sich eine Auszeit zu gönnen, geht er direkt an die Uni. Nach Innsbruck, zum BWL-Studium – eine Herzensentscheidung. „Ich habe damals noch viel Fußball gespielt und wollte nahe an der Heimat bleiben.“ Heute sagt der Private Equity Spezialist: „Vielleicht hätte es mir gutgetan, früher weiter wegzugehen. Aber damals war es für mich das Richtige.“
Dass Lukas später einmal für eines der weltweit größten Finanzunternehmen arbeiten würde, ist nicht absehbar. „Ich war ein Spätzünder. Viele wussten schon im Studium, zu welchen Firmen sie wollten – ich wollte einfach studieren, lernen und weiter Fußball spielen.“
In Hongkong macht es Klick
Der entscheidende Perspektivwechsel kommt mit einem Austauschsemester in Hongkong. „Ich hab mit einem Freund einfach die Liste von möglichen Austausch-Unis durchgeschaut und gedacht: Lass uns das nehmen, was am weitesten weg ist“, erzählt Lukas. Der Kulturschock ist groß: schwüle Hitze, fremde Gerüche, ungewohnte Strukturen. „Es war am Anfang echt hart. Ich habe gelitten.“

Auch das Feedback aus der Heimat ist durchwachsen: „Warum tust du dir das an? Da gibt’s doch nur Reis“, heißt es. Doch seine Mutter sagt: „Schau es dir an. Und wenn es nicht passt, kannst du jederzeit heimkommen.“
„Mir wurde klar: Wenn ich da mithalten will, muss ich richtig Gas geben.“
Nach wenigen Wochen schlägt das Gefühl um. Lukas genießt die kulturelle Vielfalt, das internationale Umfeld – und den Wettbewerb. Das Notensystem ist anders: Alles wird auf einer Kurve bewertet. Durchschnitt sein reicht nicht mehr. Es ist der Moment, in dem Lukas aufwacht: „Mir wurde klar: Wenn ich da mithalten will, muss ich richtig Gas geben. Denn ich liege hinten im Rennen. Viele hatten schon mehrere Praktika bei namhaften Firmen gemacht – ich hatte bis dahin in meinen Semesterferien Obst und Gemüse ausgeliefert.“
Mit Flixbus und geliehenem Anzug Richtung Zukunft
Nach dem Bachelor entscheidet sich Lukas, ein Jahr lang Praxiserfahrung zu sammeln, „weil ich nicht viel auf dem Lebenslauf hatte, was wirklich relevant war“. Er bewirbt sich bei mehreren Unternehmen – und wird mehrfach abgelehnt. Bis Lukas ein ehrliches, unkonventionelles Bewerbungsschreiben aufsetzt: „Ich habe einfach geschrieben, wie’s ist. Dass ich nicht den klassischen Weg gegangen, aber hochmotiviert bin.“
Und plötzlich klappt es. Lukas wird eingeladen – fährt mit dem Flixbus nach München, trägt einen geliehenen Anzug, weil er keinen eigenen hat. Und er überzeugt. Hat das erste große Praktikum in der Tasche, bei Ernst & Young, einer der größten Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften. Lukas bleibt vier Monate, wechselt dann intern in die Bewertungsabteilung. „Wir analysierten große Transaktionen, zum Beispiel von Immobilienportfolios.“ Dann kommt Corona.
Im Opel Corsa zurück in die Heimat
Im März 2020 packt Lukas seine Sachen. „Ich hab meine Koffer genommen, alles in meinen alten Opel Corsa geschmissen und bin losgefahren.“ An der Grenze in Österreich wird er angehalten. „Die wollten wissen, wie viel Benzin ich noch habe – sie würden mich nur durchlassen, wenn ich genug im Tank habe, um durchzufahren. Das hatte ich Gott sei Dank.“ Und so kommt Lukas in der Heimat an, während um ihn herum die Grenzen schließen.
„Die Pandemie machte den Arbeitsmarkt unsicher. Es war niemand da, der einstellte.“
Zurück in Tscherms wächst ein neuer Plan: ein Masterstudium. „Die Pandemie machte den Arbeitsmarkt unsicher. Es war niemand da, der einstellte – also war das der ideale Moment, um weiterzustudieren.“ Lukas entscheidet sich für Lissabon. Ein Studiengang auf Englisch, praxisnah, international. In der lebendigen Hauptstadt Portugals verbringt er eineinhalb Jahre. Es folgen weitere Praktika bei der Liechtensteiner Privatbank LGT in Zürich und mehreren Unternehmen in Südtirol. Unter anderem bei Dr. Schär, das ihn nachhaltig prägt. „Super Mentoren, super Team – das war ein richtig toller Betrieb“, erinnert sich Lukas.

Dann beginnt der Bewerbungs-Marathon. Lukas schreibt über 60 Bewerbungen. Zehn Einladungen, drei Finalrunden folgen – bis BlackRock Ja sagt. „Das war mein Wunschkandidat. Ich war natürlich unglaublich froh, als ich die Zusage bekam.“ Da in der Finanzwelt Bewerbungen ein Jahr vor dem Jobeinstieg starten, nutzt Lukas die Zeit zum Reisen, Schreiben der Masterarbeit, Planen des Umzugs. Seit 2022 ist er in Zürich.
Schreibtisch in Zürich, Südtirol im Herzen
Heute lebt Lukas mit einem Freund aus Lana in einer WG im Zürcher Kreis vier – einer Mischung aus Szeneviertel und Altstadt. Die Wohnung ist „noch recht studentisch“. An den Wänden: selbst gemalte Bilder mit Italien-Flair. Turnschuhe in der Ecke, Kästen mit Südtiroler Wein neben dem Regal und viele Vorräte von zu Hause in den Schränken. „Wir bringen die mit. Ohne Pelati gehts nicht“, grinst der Private Equity Spezialist.
Was Lukas an Zürich am meisten liebt? Die Badis im Sommer. Mit dem Motorrad, einer Cafè-Racer, zum See, ein Sprung ins Wasser, dann zur Arbeit – das ist sein perfekter Start in den Tag. „Ich fange meist erst um neun Uhr an zu arbeiten, da ich viel mit London zu tun habe. Da bleibt morgens etwas Zeit für Dinge, die der Seele guttun.“
Auch seine Freundin, eine Südtirolerin, ist in der Schweiz – sie arbeitet im Modebereich. „Das ist super erfrischend. Ich finde es gut, dass wir beruflich in ganz unterschiedlichen Welten unterwegs sind.“
„Die Lernkurve ist steil, genau das mag ich.“
Bei BlackRock arbeitet Lukas als Associate im Bereich Private Equity. Sammelt Kapital von großen Investoren wie Pensionskassen, Banken, Versicherungen und Family-Offices (hoch spezialisierten Finanzinstitutionen, die das Vermögen besonders wohlhabender Familien verwalten) ein. Dabei berät er Investoren im deutschsprachigen Raum Europas sowie in den nordischen Ländern zu Investitionen in geeignete Private Equity Fonds und bei komplexen Anforderungen zu maßgeschneiderten Investmentlösungen, die er gemeinsam mit seinem Team aufsetzt. Das Kapital wird schließlich über diese Fonds in private, nicht börsennotierte Unternehmen mit Wachstumspotenzial investiert. Ziel ist es, deren Wert durch verschiedene Maßnahmen wie Expansion oder operative Verbesserungen zu steigern und somit langfristige Gewinne und potenziell attraktive Renditen zu erzielen. Lukas: „Der Austausch mit großen Pensionskassen oder Family-Offices ist extrem spannend. Die Lernkurve ist steil, genau das mag ich.“

Zwischen Klischee und Realität
Vor Kurzem wurde Lukas befördert. „Man bekommt mehr Verantwortung, ist Ansprechpartner für Junioren – aber man lernt auch selbst ständig weiter.“ Die Unternehmenskultur beschreibt er als offen: „Man kann und soll alles fragen. Es wird erwartet, dass man lernt.“
„Die Erwartungen sind oft überzogen. Ja, das Gehalt ist attraktiv und die Steuern in der Schweiz auch. Aber reich bin ich bisher nicht geworden.“
Ein klassischer 40-Stunden-Job sei es nicht, aber auch nicht das Investmentbanking-Klischee von 7 bis 3 Uhr früh. „Klar gibt es stressige Phasen, aber es ist machbar. Und wir dürfen einen Tag pro Woche im Homeoffice bleiben – flexibel, auch mal Montag statt Freitag.“ Verdient man in der Branche wirklich so viel? „Die Erwartungen sind oft überzogen. Ja, das Gehalt ist attraktiv und die Steuern in der Schweiz auch. Aber reich bin ich bisher nicht geworden.“ Auch weil Lukas für sein Masterstudium einen Kredit aufnehmen musste. „Den möchte ich jetzt ausgleichen.“
Sein Rat an junge Südtiroler:innen: „Traut euch“, sagt Lukas. „Es gibt viele Talente bei uns – aber oft fehlt der letzte Schritt aus der Komfortzone. Ich bin dankbar für jeden, der mir damals geholfen hat. Und ich versuche, das weiterzugeben.“ Lukas hat zusammen mit seiner Schwester als Erster in der Familie studiert, sein Weg war also nicht klassisch. „Aber man muss nicht in eine Schublade passen. Authentisch bleiben, Hilfe suchen, neue Dinge versuchen – das ist viel wichtiger.“
Und irgendwann zurück zu den Apfelbäumen

Irgendwann aber – sagt Lukas ganz klar – möchte er zurück nach Südtirol. „In welcher Form weiß ich nicht, vielleicht bei einem Unternehmen, vielleicht als Selbstständiger.“
Abends, wenn er schlafen geht, denkt Lukas nicht an Märkte oder Meetings. Sondern an Apfelbäume. An die alten Bäume, durch deren Wiesen er als Kind rannte. Die Familie hat den Hof verpachtet, seit sein Vater früh an Krebs verstarb. Lukas war damals neun. Seine Mutter hat ihn und seine beiden Geschwister allein großgezogen. Heute lebt sie noch immer dort – in Tscherms, mitten im Grünen. Dorthin zieht es den 27-Jährigen alle sechs Wochen. Heimkommen – wenigstens für ein verlängertes Wochenende. Und vielleicht, sagt Lukas, führt ihn sein Weg irgendwann auch für immer hierhin zurück.
DIE SERIE In der Serie „Jung & hungrig“ stellt die SWZ junge Menschen in und aus Südtirol mit den verschiedensten Lebensläufen vor. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie sind jung und hungrig nach Erfolg. Alle bisher erschienenen Artikel aus der Reihe finden Sie auf SWZonline und in der SWZapp.